Chess Classic Blick zurück Die Chess Classic komprimiert
12.09.2008 - Der Rauch ist verzogen, die Chess Classic liegen einen Monat zurück. Beim größten Schnellschachfestival der Welt gab es in sieben Tagen acht Entscheidungen. Bei so vielen Highlights verliert man schnell den Überblick. Daher folgend noch einmal eine Zusammenfassung der Ereignisse.
TAG 1
Den Auftakt in der Rheingoldhalle machte Weltmeister Vishy Anand. Das Zugpferd der Chess Classic überbot beim von den Stadtwerken Mainz gesponserten Simultan an 40 Brettern seinen eigenen Rekord aus dem Jahr 1994, als er nur vier Remisen abgab - eine Marke, an der Kasparov, Kramnik, Ivanchuk & Co. scheiterten. Jetzt schraubte der Inder mit 39 Punkten die Bestmarke auf wahrlich weltmeisterliche Höhen. Nur Roland Dürmeier und Dimitrij Bondarew konnten ihm ein Remis abknöpfen.
Weltmeister Anand beim Simultan
TAG 2
Der zweite Tag gehörte der Jugend. Im 2. Mini-Ordix Open maßen sich 104 Kinder im Alter unter 14 Jahren unter professionellen Bedingungen. Sie spielten im selben Modus wie die Großen und die Besten durften auf der Bühne spielen. Zudem wurden die Partien der vorderen Bretter live ins Internet übertragen. Viele Eltern nahmen die Gelegenheit wahr, sich von Großmeister Klaus Bischoff, der als Ansprechpartner das Turnier betreute, Tipps und Tricks zum Training und der Förderung ihrer Schützlinge geben zu lassen. Am Ende hatte der Deutsche U-10 Meister Dennis Wagner mit 6/7 und der besten Wertung knapp die Nase vorne vor den Punktgleichen Joshua Aarash Hager, Johannes Carow, Philipp Wenninger.
Gesamtsieger des Mini-Ordix Open 2008 - Dennis Wagner
TAG 3
Am dritten Tag begann die Zeit des Chess960. Die Spielvariante des Schachs, in der die Figurenaufstellung auf der ersten Reihe vor Beginn ausgelost wird, wurde einst von Bobby Fischer angeregt. Erst durch die Chess Classic ist die Idee allerdings auch von professionellen Topspielern angenommen worden. Aus Ehrerbietung vor dem kürzlich verstorbenen 11. Weltmeister rief Organisator Hans-Walter Schmitt vor jedem Chess960-Turnier zu einer Gedenkminute auf.
Beim 2. Mini-FiNet Open stand noch einmal die Jugend im Mittelpunkt. Dieses Mal setzte sich der Turnierfavorit Sebastian Kaphle, der mit seinen 13 Jahren bereits eine beachtliche Elozahl von 2122 vorzuweisen hat, souverän durch. Mit 6/7 blieb er bei zwei Remisen ungeschlagen und verwies Carlo Pauli, sowie die Brüder Frederik und Julian Eigenmann, die je 5 Punkte ereichten, auf die Plätze.
2. Mini-FiNet Sieger Sebastian Kaphle
TAG 4
Es wurde langsam Ernst. Mit den 2. FiNet Chess960 Women's Rapid World Championship ging die erste abendliche Topveranstaltung zu Ende. Chess960-Weltmeisterin Alexandra Kosteniuk verteidigte ihren Titel erfolgreich gegen Natalia Zhukova, Viktorija Cmilyte und Kateryna Lahno. Letztlich war die Russin die verdiente Siegerin des dreitägigen Events. An den ersten beiden Tagen wurde in der Gruppenphase die Teilnehmer für das Finalmatch bzw. das Match um den dritten Platz ermittelt. Kosteniuk setzte sich schon hier klar durch. Nur ein einziges Remis gestattete sie ihren Kontrahentinnen. Ihre härteste Widersacherin Katerina Lahno, die all ihre anderen Partien gewinnen konnte, besiegte sie gleich zweimal.
Im über vier Partien angesetzten Finale war die Sache dann aber nicht so klar. Zwar konnte die Weltmeisterin noch in der ersten Partie voll punkten, die zweite verlor sie aber unglücklich. Nach einem folgenden Remis musste die letzte Partie die Entscheidung bringen. Obwohl Kosteniuk in den ersten drei Partien die dominierende Spielerin war, stand sie nun am Rande einer Niederlage. Doch gerade hier versagte Lahnos taktisches Sehvermögen. Sie stellte eine Figur ein und Kosteniuk war erneut Chess960-Königin.
Zweifache Chess960 Weltmeisterin Alexandra Kosteniuk
Im Kampf um Platz drei siegte Viktorija Cmylite mit 3-1 gegen Natalia Zhukova, die in diesem Turnier völlig neben sich stand und keine Partie gewinnen konnte.
TAG 5
Am Freitag gab es gleich zwei Entscheidungen. Mit der 4. Livingston Chess960 Computer-Weltmeisterschaft boten die Chess Classic das stärkste Schachturnier aller Zeiten auf. Mit Rybka, Shredder, Naum, Deep Sjeng waren die vier im Moment führenden Computerprogramme am Start. Sie boten einen Elo-Schnitt von 2981, was einer Fide Kategorie 29 entspricht.
Die Gruppenphase wurde in zwei doppelrundigen Durchgängen an zwei Tagen durchgeführt. Nach dem ersten Tag überraschte Naum, der zusammen mit Rybka mit 3,5 Punkten Rang 1 teilte. Am zweiten Tag drehte aber Rybka auf, gab nur noch ein Remis ab und gewann mit 9 Punkten souverän vor Shredder mit 6,5 Punkten, Naum 4,5 und Deep Sjeng 4. Bei Naum lief am zweiten Tag nichts mehr zusammen. Ergebnis war die magere Punktausbeute von nur zwei Remisen. Und da sage noch einer, Computer hätten keine Tagesform ...
Im Finale war Rybka klarer Favorit gegen das deutsche Programm Shredder von Meyer Kahlen. Doch der Matchverlauf gestaltete sich nicht so, wie sich das Rybka-Programmierer Vasik Raijlich vorgestellt hatte. Nach drei Runden stand es bei je einem Sieg 1,5-1,5. Die letzte Partie musste die Entscheidung bringen. Ein sichtlich nervöser Raijlich fürchtete wohl schon um einen Imageverlust seines Produktes, das als bestes Programm der Welt gilt und das nur wenige Tage nach den Chess Classic mit der Version 3 auf den Markt kam. Der Amerikaner machte nach einer spannenden Schlusspartie, die Rybka schließlich nach einem positionellen Bauernopfer mit Schwarz gewann, keinen Hehl aus seiner großen Erleichterung. Im kleinen Finale setzte sich Deep Sijeng nach spannendem Verlauf in der Verlängerung im Armageddon durch.
Rybka Programmierer Vasik Raijlich mit seiner Trophäe
Die zweite Entscheidung des Tages verlief nicht weniger dramatisch. Mit dem 7. FiNet Chess960 Open endete die Chess960 Phase der Chess Classic. Das bärenstark besetzte Turnier mit 235 Teilnehmern, darunter 83 Titelträger, gewann Hakiru Nakamura. Den ersten Auftritt in Deutschland hatte sich der Amerikaner durch den Sieg des Qualifikationsturniers im ICC verdient. Der Schnellschachspezialist setzte sich von Beginn an die Spitze des Feldes. Am ersten Tag holte er 100 %, doch am zweiten Tag musste er in der vorletzten Runde eine Niederlage gegen den deutschen Hoffnungsträger Arkadi Naiditsch hinnehmen, als er unnötig eine ausgeglichene Stellung überzog. So endete ein zunächst einseitiges Turnier auf der Schlussgeraden hoch dramatisch. Als Nakamura über ein Remis nicht hinaus kam, beobachtete er nun mit Bangen auf der großen Übertragungsleinwand das absurde Theater der Begegnung Motylev und Naiditsch. Mit einem Gewinn hätte der Dortmunder den Turniersieg und die damit verbundene Qualifikation für die nächstjährige Chess960-WM errungen. Nachdem Motylev in Zeitnot einzügig die Dame einstellte, schien die Partie beendet. Der Russe spielte jedoch weiter, weil er einen kleinen Trick sah. Und Naiditsch, der nach einer weiteren Figur griff, fiel darauf hinein - ein leicht variiertes Grundlinienmatt, das auf diesem Niveau äußerst ungewöhnlich ist. Somit siegte Nakamura mit 9/11 und bester Wertung vor den Punktgleichen Movsesian und Motylev.
Hikaru Nakamura - verdienter Turniersieger mit mächtigem Dusel
TAG 6 & 7
Am Wochenende gipfelt die Chess Classic mit dem großen 15. Ordix Open und der Hauptveranstaltung, der 13. GRENKELEASING Rapid World Championship.
Das Ordix Open erreichte in diesem Jahr nicht die Rekordmarke vom letzten Jahr. Das ist allerdings nicht verwunderlich, da bekanntlich der Termin der Chess Classic wegen der Olympiade verschoben wurde und nun mehrere große Turniere und Festivals gleichzeitig stattfanden. Nichts desto trotz gehört das Turnier mit 692 Teilnehmern zu den größten in diesem Jahr.
An Spannung mangelte es den Chess Classic wahrlich in diesem Jahr nicht. Auch das Ordix endete spannend, ja dramatisch. Lange Zeit führte Ian Nepomniachtchi das Feld an, das mit 163 Titelträger – darunter 53 Großmeister – wieder fantastisch besetzt war. Der russische Shootingstar war bis zur 8 Runde der dominierende Spieler, dann remisierte er gegen Eljanow und verlor durch Zeit gegen Kasimdzhanov. Dadurch setzte sich Elofavorit Eljanov vor der letzten Runde mit 9 Punkten an die Spitze, dahinter folgte eine Gruppe von 6 Spielern mit 8,5 Punkten. Der Führende willigte in ein schnelles Remis gegen die großartig spielende Kateryna Lahno ein. Eingedenk des großen Elounterschieds und der Tatsache, dass ein Turniersieg nicht nur einen erheblichen Preisunterschied macht, sondern auch noch eine lukrative Einladung zum nächstjährigen GRENKELEASING Rapid World Championship mit sich bringt, eine völlig unverständliche Entscheidung, die sich rächte. Die Ergebnisse liefen zunächst ganz im Sinne des Russen. In der letzten noch relevanten Partie konnte einzig Nepomniachtchi noch zu Eljanov aufschließen – und der stand auf Verlust. Mit einem frühen fadenscheinigen Figurenopfer ging „Nepo“ aufs Ganze, doch Bareev verteidigte sich gut. Die Tragödie nahm ihren Lauf, als Bareev immer länger überlegte, um die vielen Fallstricke zu umgehen. Und plötzlich hatte er durch Zeit-Überschreitung verloren. Nun hatte Ian Nepomniachtchi ebenfalls 9,5 Punkte und die bessere Wertung. Er war der verdiente Sieger des Turniers.
Sieger des 15. Ordix Open und damit qualifiziert für die 14. GRENKELEASING Rapid World Championship: Ian Nepomniachtchi
Den Gesamtsieg der Kombinationswertung, bei der die Ergebnisse des FiNet und es Ordix Opens zusammengerechnet werden, gewann Nakmura, für den es nach seinem Turniersieg im Chess960 noch zu Platz 6 im Schnellschach langte.
Traditionell endet die Chess Classic am Sonntagabend mit dem Highlight, der Entscheidung der 13. GRENKELEASING Rapid World Championship. Die diesjährige Besetzung war ein absoluter „Knaller“. Neben Seriensieger, Titelverteidiger und Weltmeister Vishy Anand waren mit Magnus Carlsen und Alexander Morozevich die beiden in der virtuellen Weltrangliste auf Platz 2 und 3 liegenden Spieler am Start. Ergänzt wurde das Feld durch die beste Frau der Schachgeschichte, Judit Polgar. Wie gelungen diese Mischung war, zeigten die fast 600 Zuschauer, die allabendlich dem Geschehen in der vollbesetzten Rheingoldhalle in Mainz beiwohnten – von den Tausenden, die die Partien live im Internet verfolgten, ganz zu schweigen.
Die Vorrunde der ersten beiden Abende zeigte, dass Judit Polgar die Praxis fehlte. Während des ganzen Turniers konnte sie eröffnungstheoretisch mit den anderen nicht mithalten. Einzig ihr Kampfgeist bewahrte sie vor einem Desaster. Am letzten Platz konnte aber auch er nichts ändern. Um den Turniersieg spielten die anderen. Morozevich hatte die beiden Vorrundenpartien gegen Polgar gewinnen können und stand zweimal gegen Carlsen klar besser. Allerdings entkam der freitags direkt vom Turnier in Biel angereiste Norweger dem Russen knapp. Vishy, der gegen Carlsen und Polgar alle Partien remisierte, schien sich auf Morozevich zu konzentrieren. Durch zwei Siege eliminierte er fast im Alleingang den kreativen Russen. Dadurch kam es zum Traumfinale zwischen dem indischen Tiger und dem norwegischen Kronprinzen. Doch die erhoffte Spannung, die fast jedes Event der Chess Classic 2008 auszeichnete, kam Dank des Weltmeisters nie auf. In der ersten Partie überraschte Anand seinen 18-jährigen Kontrahenten mit einer Neuerung in dessen geliebten Drachen der Sizilianischen Verteidigung. Carlsen fand nicht die rechte Erwiderung und stand schon kurz darauf auf Verlust. Dieser Schlag hatte gesessen. Psychologisch angeschlagen fand Carlsen auch in der zweiten Partie nicht zu seinem Spiel und wurde erneut überspielt. Selbst die dritte Partie hätte Anand gewinnen müssen, entschied sich dann aber, mit einer Remisabwicklung den neunten Erfolg in Serie und den insgesamt elften Titel bei den Chess Classic klar zu machen. Eine Siegesserie, die im professionellen Schach seines gleichen sucht!
Im kleinen Finale wehrte sich Judit nach Kräften, doch in der letzten Partie setzte sich „Moro“ schließlich durch und konnte mit 2,5-1,5 den dritten Platz beanspruchen.
Sprengt alle Superlativen - Vishy Anand
Damit ging eine wunderbare Veranstaltung zu Ende, die in Sachen Organisation, Präsentation und Unterhaltung wieder einmal Dank des gesamten Chess Tigers Teams keine Wünsche offen ließ.