25 Lektionen aus 25 Jahren Schach

25 Lektionen aus 25 Jahren Schach

Der australische Schachspieler Junta Ikeda hat 25 Lektionen aus einem Vierteljahrhundert Schach gesammelt und daraus einen klaren Kompass erstellt, der zeigt, wie echte Verbesserung entsteht und worauf es im Training wirklich ankommt.

25 Lektionen aus 25 Jahren Schach – Was IM Junta Ikeda wirklich gelernt hat

Der australische Internationale Meister Junta Ikeda gehört seit zwei Jahrzehnten zu den prägenden Figuren der Schachszene Ozeaniens. Mit über 1.500 Turnierpartien, internationalen Erfolgen und jahrelanger Coaching-Erfahrung hat er mehr Spieler begleitet als viele Großmeister. Ikeda ist bekannt für seinen direkten, ungeschönten Stil: kein Hype, keine Wunderwaffen, sondern ehrliche Arbeit und klare Gewohnheiten.

In seinem Newsletter veröffentlichte er nun „25 Lessons from 25 Years of Chess“ – ein schonungsloses Resümee seiner eigenen Fehler, Aha-Momente und Trainingsprinzipien. Wer echten Fortschritt sucht, nicht nur Ratingschwankungen, findet hier ein Kompass-Papier für die nächsten Jahre.


Die 25 Lektionen – ausführlich erklärt

1. Nimm das Remis nicht – wenn du gewinnen kannst

Ikeda bereut hunderte Niederlagen nicht, aber zwei Unentschieden, die er in gewonnenen Stellungen annahm. Beide Male tauschte er Wachstum gegen Sicherheit. Sein Punkt: Wenn du eine reale Chance auf Gewinn hast, ist „Auf Nummer sicher spielen“ ein langfristiger Rückschritt. Risiko zu vermeiden bedeutet, Lernchancen zu vermeiden.

2. Baue dir eine eigene Schachbibliothek auf

Täglich sieht man Ideen, elegante Stellungen, brillante Züge – und vergisst sie. Ikeda schlägt vor, ein einziges Archiv zu führen: Lichess-Studie, Google Doc oder Notizbuch. Jeden Tag ein Fundstück speichern plus ein Satz, warum es wichtig ist. Ein Jahr später hat man ein persönliches Schatzarchiv, das tiefer wirkt als jedes gekaufte Repertoire.

3. Schlechte Stellungen sind kein Weltuntergang – sondern ein Trainingscamp

Als Jugendspieler hatte Ikeda miserable Eröffnungstheorie – daher oft schlechte Stellungen. Der Effekt: Er lernte zu verteidigen wie ein Terrier, Ressourcen zu finden, Fallen zu stellen, hartnäckig zu bleiben. Wer das kann, wird unberechenbar gefährlich. Schlechte Stellungen lehren Widerstandskraft und Kreativität wie kaum etwas anderes.

4. Taktik schlägt Theorie

Viele Spieler kaufen Eröffnungskurse und wundern sich, dass sie weiter einfache Taktik übersehen. Ikeda betont: Ohne taktische Basis sind alle strategischen Pläne wertlos. Schach ist ein taktisches Spiel im Kern. Tausende Muster, Motive, kleine Fallen – wer sie schneller und klarer sieht, steigt automatisch in jeder Phase des Spiels auf.

5. Eine Lektion pro Verlust

Die härteste Wahrheit: Die meisten Spieler lernen nicht aus ihren Niederlagen. Sie erklären sie weg. Ikeda empfiehlt: Nach jeder ernsten Partie ein konkretes Lernziel formulieren. Nicht zehn Punkte, nicht ein Roman – ein Satz. Das ist genug, um Woche für Woche besser zu werden.

6. Studiere die Klassiker

Die „alten Meister“ sind der Boden, auf dem moderne Spieler stehen. Capablancas Klarheit, Tals Magie, Petrosians Präzision – diese Partien formen das strategische Gefühl. Die Klassiker erklären Schach mit einer Deutlichkeit, die Engines niemals bieten. Ikeda erinnert daran, wie er einige Bücher als Kind so oft las, bis sie auseinanderfielen.

7. Finde deine schachliche „Crew“

Schach ist ein einsamer Sport – aber Fortschritt entsteht in der Gemeinschaft. Rivalen, Trainingspartner, Freunde, die mit dir turnieren. Wer Menschen um sich hat, die ähnlich brennen, trainiert automatisch härter, konsequenter und motivierter. Die richtige Umgebung hebt dein Niveau.

8. Suche starke Gegner

Wenn du der Beste im Raum bist, wächst du nicht mehr. Ikeda beschreibt, wie das Weltjugendturnier U12 seine Welt veränderte: Gleichaltrige waren ihm deutlich voraus. Statt frustriert zu sein, nutzte er es als Antrieb. Starke Gegner zeigen gnadenlos, wo die Lücken sind – und was möglich wäre, wenn man das Niveau erreicht.

9. Mach den ersten Zug – auch im Leben

Viele Menschen stecken fest, weil sie Entscheidungen verschieben: Studium, Training, Turniere, Projekte. Ikeda selbst hat Jahre verloren, weil er Angst vor dem Scheitern hatte. Die Lektion: Dinge werden erst besser, wenn man anfängt, nicht wenn man wartet. Der erste Schritt ist immer wichtiger als der perfekte Plan.

10. Mache die harte Arbeit – nicht die bequeme

Blitz spielen fühlt sich nach Training an. Zufällige Puzzle lösen auch. Aber echte Verbesserung passiert bei den Dingen, die weh tun: detaillierte Analyse, tiefe Berechnung, echte Konzentration. Wer diese unangenehmen Bereiche meidet, bleibt stehen. Tiefenarbeit ist der Schlüssel.

11. Tiefe schlägt Breite

Viele versuchen, alles gleichzeitig zu verbessern: Taktik, Endspiel, Strategie, Eröffnung. Ergebnis: Nichts verbessert sich wirklich. Ikedas Tipp: Pro Monat ein Fokus-Thema. So entstehen echte Fortschritte – und echte Freude.

12. Prozess- statt Ratingziele

Rating ist ein Wetterbericht: Es schwankt. Sich davon abhängig zu machen, macht unglücklich. Prozessziele hingegen – Zeitmanagement, Eröffnungsdisziplin, konkrete Trainingsminuten – sind kontrollierbar. Sie sind der leise, aber sichere Weg zu langfristigem Wachstum.

13. Red weniger, mach mehr

Wer seine Ziele öffentlich ankündigt, bekommt oft ein falsches Gefühl von Fortschritt. Das Gehirn denkt: „Ich habe es ja schon gesagt – halb erledigt.“
Ikedas Rat: Schweigen. Arbeiten. Ergebnisse sprechen lassen.

14. Talent ist nett – aber überschätzt

Er hat unzählige Talente scheitern gesehen. Spieler, die nie lernen mussten zu arbeiten, fallen beim ersten Plateau zurück. Fleiss ist antifragil. Talent nicht. Die Lektion: Wer glaubt, ohne Anstrengung auszukommen, bereut es später.

15. Lerne das zu lieben, was du bisher gemieden hast

Meiden ist kein Zeichen von Schwäche – sondern von mangelnder Erfahrung. Ob Endspiele, Öffnungen oder Berechnung: Sobald man ein paar Prinzipien verstanden hat, verschwindet Angst und entsteht Neugier. Oft wird das Gehasste dann zum Lieblingsgebiet.

16. Tiefe vor Geschwindigkeit

Zu früh exzessiv Blitz zu spielen, verdirbt Gewohnheiten: Raten, Hektik, schlechte Struktur. Zuerst langsame Partien verstehen, dann Geschwindigkeit hinzufügen. Blitz ist ein Werkzeug – aber nur dann, wenn man bereits stabil denkt.

17. Verstehen, nicht auswendig pauken

Schach ist kein Memory-Spiel. Wer nur Eröffnungsvarianten auswendig lernt, wird in echten Partien überfahren. Ikeda selbst wurde IM ohne jemals ein „Eröffnungsvideo“ zu besitzen. Sein Ansatz: Eine Variante pro Farbe, tiefer verstehen, eigene Notizen pflegen, neugierig bleiben.

18. Engine später einschalten – nicht sofort

Stockfish zu früh einzuschalten ist Lernvermeidung. Erst eigene Fehler erkennen. Erst nachdenken, dann prüfen. Nur so entsteht echtes schachliches Urteilsvermögen. Ikeda schlägt sogar eine „Engine-Diät“ von einer Woche vor, um die eigene Wahrnehmung zu schärfen.

19. Intuition pflegen

Intuition ist kein Zauber, sondern Musterwissen. Durch viele gute Partien, Varianten, Strukturen. Wer eigene Muster aufbaut, findet Züge schneller, klarer, mutiger. Intuition ist das Ergebnis jahrelanger unbewusster Datensammlung – und muss gepflegt werden.

20. Um Hilfe bitten – klug und respektvoll

Niemand schafft Schach allein. Ein kurzer Hinweis eines stärkeren Spielers kann Monate ersparen. Aber: klar, kurz, respektvoll fragen. „Was würdest du in dieser Stellung anschauen?“ reicht oft völlig. Fragen kostet wenig – nicht fragen kostet Jahre.

21. Spiele den Zug, an den du glaubst

Die größte Blockade im Schach ist Angst: Angst zu verlieren, Angst falsch zu liegen. Doch wer immer die sichere Variante wählt, bleibt mittelmäßig. Mutige Entscheidungen – selbst wenn sie schiefgehen – sind Entwicklungssprünge. Mut kultiviert man, indem man ihn lebt.

22. Spiel nicht auf Sicherheit

Ikeda selbst erreichte 2460 Elo – und begann „Rating zu beschützen“. Er spielte ruhiger, weniger kreativ, weniger mutig. Ergebnis: Er fiel zurück. Sein Appell: Die gefährlichste Entscheidung ist, keine Entscheidungen zu treffen. Wachstum = Risiko.

23. Liebe Schach, aber vergöttere es nicht

Viele Spieler koppeln ihr Selbstwertgefühl an Ergebnisse. Das ist gefährlich. Schach ist ein Spiel – ein wundervolles, tiefes, aber eben ein Spiel. Wer Pausen macht, andere Hobbys entdeckt oder Abstand gewinnt, kommt oft stärker zurück.

24. Kreiere etwas – sei nicht nur Konsument

Schach ist mehr als Partien spielen: Man kann unterrichten, Videos machen, bloggen, Events organisieren, Streamer werden. Wer kreativ am Spiel teilnimmt, stärkt seine Beziehung zu Schach. Und oft hilft man anderen – selbst mit kleinen Dingen.

25. Du bist mehr als deine Partien

Auch Genies sind Menschen. Manche sogar sehr fehlerhafte. Ein brillantes Brett macht keinen brillanten Charakter. Ikedas letzte Lektion ist persönlich: Verknüpfe nicht dein Selbstwertgefühl mit deinen Fehlern – weder auf dem Brett noch im Leben. Schach ist ein Teil von dir, nicht deine Identität.

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