Chess Classic 3:3 in dramatischen Duellen Anand gleicht erneut Rückstand gegen Radjabow aus / Kein Remis in Chess960-WM
20.08.2006 - Weiß hat ein Problem! Nach sechs Partien in der GrenkeLeasing Schnellschach-WM kam bis auf die letzte Begegnung stets Schwarz deutlich besser aus der Eröffnung heraus. Einmal konnte Teimour Radjabow das Ruder noch herumreißen und den Anzugsvorteil zur Geltung bringen. Ansonsten hätte Schwarz sogar viermal die Oberhand behalten. Am dritten Tag unterstrich Radjabow erneut die Stärke seiner Sweschnikow-Verteidigung im Sizilianer. Die 3:2-Führung büßte der 19-Jährige jedoch gegen Viswanathan Anand ein, obwohl dieser erstmals mit Schwarz nichts herausholen konnte und ein „Endspiel, das ich remis halten sollte“ (Radjabow), aufs Brett kam. Dieses behandelte der Schnellschach-Weltmeister aber virtuos.
Radjabov (links) und Anand (rechts)
Das krasse Gegenteil schien der Inder vorher
abzuliefern. „Ich habe lausig gespielt. Mehr will ich zu der Partie nicht
sagen“, erklärte Anand.
Nach den ersten 20 Zügen, die beide
herunterblitzten, übernahm bald der Herausforderer die Regie. Wie schon
bei seinem ersten Sieg bewies Radjabow, dass ungleichfarbige Läufer keinen
Friedensschluss garantieren, wenn noch ein Turm mit auf dem Brett ist.
Zum zweiten Mal drückte das „neue Ungeheuer von
Baku“ (in Anlehnung an die zurückgetretene Legende Garri Kasparow) einen
Freibauern durch. Anand musste wieder den Läufer dafür geben und streckte
kurz danach die Waffen. „34.Kf1 war schlecht. Mir entging dabei 38…Ld2“,
erläuterte der Schnellschach-Weltmeister seinen Fauxpas. Radjabow war
hingegen mit seiner Spielanlage zufrieden und wertete 33…Lf8 als
„besonders starken Zug“, der ihm Gewinnversuche erlaubte.
Bei der Pressekonferenz gerieten die Partien ins
Hintertreffen. Der Aserbaidschaner echauffierte sich, weil seine Uhr um 20
Uhr gedrückt wurde. Er glaubte, der Beginn würde sich wie bei der ersten
Partie verzögern. Die Unpünktlichkeit entsteht zuweilen um 18.30 Uhr wegen
der länger dauernden Open beziehungsweise der erforderlichen
Umbauarbeiten. Schiedsrichter Sven Noppes hielt im Foyer Ausschau nach
Radjabow, der mit rund vier Minuten Verspätung eintraf. Die Zeit fehlte
ihm am Schluss zwar nicht auf der Uhr, beeinträchtigte aber sein
Innenleben. Ohne die nötige Ruhe konnte der Weltranglistenelfte das
Turm-Läufer-Endspiel – zu Anands Glück diesmal mit gleichfarbigen Läufern!
– nicht halten. Obwohl in der Schlussstellung Weiß nichts weniger hat,
reichte Radjabow ebenfalls im 46. Zug die Hand zur Aufgabe übers Brett.
Materialverlust und die Aktivierung des schwarzen Königs waren
unvermeidlich, da die weiße Majestät auf h1 eingeklemmt auf ein Matt
wartete.
Ein spannender letzter Tag scheint einmal mehr in
der Mainzer Rheingoldhalle programmiert zu sein. „Die Weiß-Performance ist
von mir bisher wirklich nicht beeindruckend“, räumte Anand ein und schloss
mit den Worten, „aber ich habe noch einen Tag, um das zu ändern.“
Vielleicht wäre es jedoch klüger, am Sonntag um 20 Uhr mit 1.Sf3 zu
beginnen – das wird der „Tiger von Madras“ aber sicher auch davon abhängig
machen, wie er seinen letzten „Schwarz-Vorteil“ in diesem Match ab 18.30
Uhr nutzen kann.
Svidler (links) gegen Aronian (rechts)
Bei der Clerical Medical Chess960-WM steht es
ebenfalls 3:3. Erneut schenkten sich Peter Swidler und Levon Aronjan
nichts. Selbst ausgeglichene Stellungen werden weitergekämpft – und auch
noch von einer Seite irgendwie verpatzt. Deshalb gab es bisher kein
einziges Remis! „Unglaublich, dass ich die fünfte Partie noch verlor“,
bestätigte Swidler. Das tödliche Damenschach Aronjans auf c3 „ist mir
nicht entgangen – ich hatte jedoch übersehen, dass es Matt wird“, erzählte
der Chess960-Weltmeister. Der Herausforderer machte die Zeitnot seines
Kontrahenten für den Patzer verantwortlich. „Erst glaubte ich, brillant zu
stehen. Als mir gezeigt wurde, dass ich falsch lag, war eigentlich nicht
mehr viel zu wollen“, berichtete Aronjan von seinen Gedanken.
Ähnlich gut fühlte sich der Berliner bei seinem
Zug c5 im zweiten Duell des Abends. „Nach c4 stand ich jedoch schlecht,
weil die Dame im Abseits stand. Ich spielte schrecklich. Das war meine
schlechteste Partie in diesem Match“, resümierte Aronjan. Sein Widersacher
geißelte sein a4 „als wirklich hässlichen Zug. Danach hätte Levon c4
spielen müssen. Als er mich aber zu c4 kommen ließ, war die Stellung
gewonnen – allerdings nur, weil seine Dame so schlecht stand“, erläuterte
Swidler. Die schwarze Turmverdoppelung auf der h-Linie verpuffte. Einen
Bauern ließ der Russe gerne Bauersein, um ein entscheidendes Tempo zu
gewinnen. „Levon bereitete die Position offensichtlich nicht viel Freude –
und so stellte er rasch alles ein“, konstatierte Swidler.
Sollte es bei einem remislosen Wettkampf bleiben,
dürfen sich die Fans eventuell auf eine Tiebreak-Verlängerung freuen. Zu
dieser könnte es auch bei Anand – Radjabow kommen. Zuletzt benötigte der
achtfache Mainz-Sieger 2001 gegen Weltmeister Wladimir Kramnik
Blitzpartien, um nach einem 4:4 für die Entscheidung zu sorgen.