WGM Jana Schneider: Nur noch Medaillen zählen

WGM Jana Schneider: Nur noch Medaillen zählen

Jana Schneider spricht offen über ihren Alltag zwischen Turnierstress, Kadergrenzen und Masterarbeit – und ordnet dabei World Cup, Kandidatenchaos und Carlsens Blitz-Comeback aus der Sicht einer aktiven Spitzenspielerin ein.

Der Mann, der eine Weltkarte des Schachs schuf Du liest WGM Jana Schneider: Nur noch Medaillen zählen 6 Minuten

In dieser Ausgabe von „Schachtalk am Sonntag“ sprechen Michael Busse und Jonathan „Jonny“ Carlstedt mit WGM Jana Schneider – über ihren Weg von der Deutschen Meisterin zur Nationalspielerin, ihr Psychologiestudium, Förderstrukturen im deutschen Schach, Elo-Druck, den World Cup, das Kandidatenturnier und Magnus Carlsen.

Frühe Erfolge, Mannschaften und Turnierjahr

Mit 14 wird Jana Deutsche Meisterin – das Label „Wunderkind“ mag sie nicht, wichtig war ihr vor allem der Stolz auf diesen Titel. Vereinsmäßig ist sie fest verankert: In der Frauenbundesliga spielt sie seit Jahren für Bad Königshofen, wurde dort mehrfach Deutsche Meisterin und gehört trotz ihres Alters zu den dienstältesten im Team. In der 2. Bundesliga Süd startet sie für Bavaria Regensburg, wo ihr die Doppelrunden am Wochenende organisatorisch entgegenkommen. Sie versucht fast jede Runde zu spielen, weil ihr Teamgeist und Zuverlässigkeit wichtig sind. Es gab Saisons mit WGM-Norm in der Frauenbundesliga, aber auch solche, in denen es bei ihr schlecht lief und sie froh war, wenn wenigstens die Mannschaft punktete.

Ihr Turnierjahr ist dicht: Frauen-Europameisterschaft, grenke, Deutsche Meisterschaft, Normturniere, Turniere in Norwegen und am Tegernsee. Mit Spielerinnen wie Fiona Sieber und Josefine Heinemann plant sie häufig gemeinsam, teilt bei großen Turnieren auch schon mal die Ferienwohnung.

Psychologiestudium, „Schachsemester“ und Einkommen

Jana studiert Psychologie im Master, Prüfungen sind erledigt, die Masterarbeit läuft. Das letzte Semester war für sie ein bewusstes „Schachsemester“ mit viel Zeit zum Spielen und Trainieren. Inhaltlich verbindet sie Studium und Schach: In der Bachelorarbeit untersuchte sie 2D- vs. 3D-Schach online, in der Masterarbeit den Einfluss von Schach als Hobby auf das Arbeitsleben (geplant als Online-Experiment).

Lange war für sie klar, dass eine klassische Schachprofi-Karriere nicht infrage kommt – zu viel Reisen, zu viel Stress. Inzwischen denkt sie ernster darüber nach, eine Zeit lang vom Schach zu leben, stößt aber vor allem auf finanzielle Grenzen. Von Preisgeldern allein kann sie nicht leben, und selbst als WGM bekommt sie nicht überall Konditionen, sodass viele Turniere kaum kostendeckend sind. Parallel arbeitet sie an Einnahmequellen wie ChessBase-Videokursen (Französisch Vorstoß, Spanisch mit Weiß) und Training.

Powergirls, Kaderumbau und Elo-Druck

Ein zentraler Block der Sendung dreht sich um Förderung. Jana war Teil der „Powergirls“, für sie vor allem wertvoll durch finanziertes Training bei Michael Prusikin und Zuschüsse zu Turnieren. Gleichzeitig kritisiert sie, dass Ziele zwar abgefragt, aber wenig nachgehalten wurden und im Programm auch Spielerinnen waren, die kaum aktiv waren. Es gab Erfolge in dieser Zeit – etwa ihre WGM-Norm und Olympia-Einzelmedaille sowie Fionas Studentenweltmeistertitel –, trotzdem wurden die Powergirls ohne Ersatz eingestellt. Jana hätte sich eher eine Weiterentwicklung als ein komplettes Aus gewünscht, weil Trainingserfolge oft erst langfristig sichtbar werden.

Parallel dazu wird das Kadersystem bundesweit umgebaut. Aus A-/B-/C-Kadern werden ein Leistungskader für Medaillenkandidaten und ein Potenzialkader mit altersabhängigen Elo-Mindestzahlen. Für ihre Altersgruppe liegt die Grenze bei 2350 Elo im laufenden Jahr. Diese Marke hat sie nicht erreicht, wobei die konkrete Zahl erst spät veröffentlicht wurde – zu einem Zeitpunkt, an dem sie praktisch keine Chance mehr hatte, gezielt darauf hinzuarbeiten. Erreicht werden sollen mit dem neuen System vor allem olympische Medaillen. Doch ausgerechnet Jana, die 2022 eine Goldmedaille für Deutschland am 5. Brett gewonnen hat, scheidet dadurch möglicherweise aus dem Kader aus. 

World Cup, Esipenkos Turmeinsteller und Tie-Break-Struktur

Vom Fördersystem geht der Talk zum World Cup. Jana kennt viele deutsche Teilnehmer persönlich, war selbst einmal dabei und beschreibt das Event als extrem belastend: Man ist teils einen Monat vor Ort, anfangs in großer Halle, später fast allein an wenigen verbliebenen Brettern.

Das sichtbarste Beispiel für diese Belastung ist der Turmeinsteller von Andrei Esipenko gegen Wei Yi.

Jana führt den Fehler auf die Kombination aus Turnierlänge, Dauerdruck und der Situation „kurz vor der Kandidatenqualifikation“ zurück: ein Fehler, der die Stellung verschlechtert, dann ein mentaler Kurzschluss – der angegriffene Turm gerät aus dem Fokus. Wahrscheinlich war es Esipenkos erster grober Fehler im gesamten Turnier, was ihm die Einordnung als Ausrutscher fast erleichtert.

Im Anschluss wird die Struktur des World Cup diskutiert. Ausgangspunkt ist ein ARD-Interview mit Vincent Keymer, der kritisiert, dass viele Matches in Schnell- und Blitzschach-Tie-Breaks entschieden werden, obwohl es um Plätze für ein klassisches Kandidatenturnier geht. Jonny verweist darauf, dass nicht alle ständig in Tie-Breaks landen und manche bewusst auf schnelle Remisen in der Klassik setzen, um es im Rapid auszuspielen – was nach drei Wochen Dauerbelastung nachvollziehbar ist. Jana setzt an anderer Stelle an: Sie findet vor allem, dass zu viele Kandidatenplätze über den World Cup vergeben werden. Fast die Hälfte des Feldes über ein K.-o.-Event zu ermitteln, hält sie für unausgewogen.

Kandidatenturnier, FIDE Circuit und chinesisches Modell

Über Peter Heine Nielsens Hinweis, dass im kommenden Kandidatenturnier mehrere Spieler außerhalb der Top 20 stehen, während Top-10-Spieler wie Keymer oder Abdusattorov fehlen, kommt die Runde zur Grundfrage: Sind die Qualifikationskriterien stimmig? Jana stellt fest, dass die FIDE bei jedem Zyklus die Regeln ändert – zuletzt der Wegfall des automatischen Startplatzes für den Verlierer des letzten WM-Matches. Gerade diese alte Regel fand sie sinnvoll, weil der Matchverlierer oft kaum Zeit hat, sich über andere Wege zu qualifizieren; Beispiele wie Anand oder Gelfand, die nach verlorenen Matches wieder in den Zyklus zurückkehren konnten, dienen Jonny als Argument.

Im Zusammenhang mit Wei Yi sprechen die Teilnehmer kurz über das chinesische Modell: Viele Spitzenspieler:innen aus China spielen nur ein bis zwei Turniere im Jahr außerhalb des Landes, der Großteil des Turnierlebens findet im Inland statt. Besonders im Frauenschach ist das ausgeprägt – Spielerinnen wie Hou Yifan, Xu Wenjun oder Tan Zhongyi lassen internationale Events aus, arbeiten als Trainerinnen oder treten nur punktuell auf.

Rapid-/Blitz-WM, Dresscode, Chess Tigers und Ausblick

Zum Abschluss geht es um die anstehende Schnell- und Blitz-WM, bei der Magnus Carlsen – trotz der Dresscode-Diskussion im Vorjahr – startet. Jana freut sich darüber: Gerade im Rapid und Blitz ist Carlsen für sie der Maßstab, und wenn er dabei ist, „zählt der Titel mehr“, sowohl für ihn als auch für alle, die gegen ihn punkten.

Jonny stellt aktuelle Chess-Tigers-Aktivitäten vor: Das ZDF-Mittagsmagazin war mehrere Stunden im Chess Tigers Store in Berlin und dreht einen Beitrag über den Schachboom, für den der Laden als Beispiel dient – inklusive Twitch-Streamer Robert Krieger, der während der Pandemie mit Schach begonnen hat. Außerdem kündigt er Seminare an: Jonny’s Englisch-Seminar (13./14.12.) sowie ein Training mit Michael Prusikin zum Thema Vorteilsverwertung (20./21.12.). 

Jana blickt auf volle Wochen mit Frauenbundesliga und 2. Bundesliga, bedankt sich bei allen, die live oder später in den Stream schauen, und wünscht alles Gute. 

Nächsten Sonntag (20:15 Uhr) wird der Schachjournalist Hartmut Metz zu Gast sein. 

Zum Talk mit Jana Schneider auf YouTube: 

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