Ein Gentleman, ein Genie und ein Gambit: Ulrich Gass über Spassky, Hort und ein Leben zwischen Schach und Tennis
In der 270. Folge des Podcasts Schachgeflüster by Chess Tigers gewährt Ulrich Gass seltene Einblicke in eine Schachwelt, wie sie heute kaum noch existiert – persönlich, anekdotenreich und überraschend menschlich. Moderator Michael Busse spricht mit dem Rechtsanwalt, Tennisturnierdirektor, Blitz-Gambit-Erfinder und lebenslangen Amateur-Schachliebhaber über seine Freundschaften zu zwei der größten Figuren des internationalen Schachs: Boris Spassky und Vlastimil Hort.
Spassky: Weltmeister mit Tennisschläger
Boris Spassky, der legendäre 10. Schachweltmeister, ist vielen durch das Match des Jahrhunderts 1972 gegen Bobby Fischer ein Begriff. Doch Gass zeichnet in diesem Gespräch das intime Porträt eines Mannes, der mehr war als ein Schachidol. „Er hatte seinen Tennisschläger immer dabei“, erzählt Gass, der Spassky erstmals 1980 bei einem Einladungsturnier in Bad Kissingen begegnete. Was als lockerer Smalltalk unter Kiebitzen begann, endete noch am selben Tag mit einer spontanen gemeinsamen Tenniseinheit – und war der Beginn einer langjährigen Freundschaft.
Schach-Tennis-Turnier Zürich 1994
Gass wurde für Spassky zum Fixpunkt während seiner Bundesliga-Auftritte für Solingen. Die beiden spielten regelmäßig Tennis – sogar während der Bundesliga-Wochenenden mieteten sie sich Hallen, oder Gass lud ihn privat ein. Der Weltmeister übernachtete bei ihm, half als „hochkarätigster Babysitter“ beim Tragen seiner Tochter, lobte die Nouvelle Cuisine seiner Frau und genoss französischen Rotwein. „Er war ein Gentleman“, sagt Gass. „Er brachte kleine Geschenke mit, war charmant, gebildet und sehr humorvoll.“
Aber auch tiefergehende Gespräche prägten die Freundschaft. Spassky äußerte sich oft kritisch über das sowjetische Regime, das ihn zwar förderte, aber auch einengte. Nach dem Umzug nach Paris sei er „wie eine Tiefkühltruhe aufgetaut“, schrieb er einmal.
Das Ende eines Weltstars – zwischen Rückzug und Rätsel
Die letzten Jahre von Spassky bleiben mysteriös. Nach zwei Schlaganfällen verlor Gass zunehmend den Kontakt. Spasskys Rückkehr nach Russland wurde von dessen Sohn als „Entführung“ bezeichnet – Spassky selbst erklärte, er habe sich in Frankreich im Krankenhaus unwohl gefühlt. Eines seiner letzten Zitate gegenüber Gass: „I’m in the endgame now.“ Dass sein Geist bis zuletzt klar blieb, tröstet Gass – ebenso wie die Erinnerungen an gemeinsame Partien, Briefe, Postkarten und einen unerschütterlichen menschlichen Draht über Jahrzehnte hinweg.
Hort: Freundschaft und letzter Gruß
Auch zu Vlastimil Hort, dem Publikumsliebling der WDR-Sendung Schach der Großmeister, pflegte Ulrich Gass eine enge Verbindung. Als dieser im Mai 2025 verstarb, verfasste Gass nicht nur einen bewegenden Nachruf, sondern übergab Horts Witwe Brigitte einen liebevoll zusammengestellten Bildband mit privaten Aufnahmen. Über Hort spricht Gass mit Respekt und Wärme – ein Freund, ein Witzbold, ein feinsinniger Analytiker mit Handschlagqualität.
Vlastimil Hort, Brigitte Hort, Ulrich Gass
Ein Leben zwischen Schachbrett, Gerichtssaal und Tenniscourt
Ulrich Gass ist ein Paradebeispiel für ein Leben jenseits der Titel. Er war nie Großmeister, aber spielte Bundesliga – ein „Kaffeehausspieler“, wie er sich selbst nennt, der das berüchtigte „Busch-Gass-Gambit“ in Blitzpartien perfektionierte. Ein Mann, der Federer als Jugendlicher die Wildcard für ein Tennisturnier gab – gegen den Willen des Deutschen Tennisbundes. Ein Rechtsanwalt, der mehrere Großmeister bei Scheidungen vertrat. Und ein Mensch, dessen verbindende Kraft zwischen Welten – Schach, Tennis, Jura, Familie – in jeder Anekdote aufscheint.
Fazit: Mehr als Nostalgie
Was dieses Interview so besonders macht, ist nicht nur der Rückblick auf Persönlichkeiten wie Spassky und Hort, sondern die gelebte Nähe eines Zeitzeugen, der Geschichte nicht nur beobachtet, sondern gestaltet hat – mit Freundschaft, Augenmaß und einem Tennisschläger in der Hand. Es ist eine Episode, die in Erinnerung bleibt – nicht nur für Schachfans, sondern für alle, die an Menschen interessiert sind.
Boris Spassky zuhause bei Familie Gass
Preisrätsel - Champagner zu gewinnen
Anlässlich des 200-jährigen Jubiläums der Schachgesellschaft Zürich fand 2009 eine Simultanveranstaltung mit verschiedenen Weltmeistern statt.
Ulrich Gass lobt eine Flasche Champagner aus seinem Keller als Prämie aus für denjenigen, der alle Weltmeister (auch FIDE-Weltmeister etc.) aus dem folgenden Bild erkennt und aufzählen kann. Einsendungen bitte an michael.busse@chess-tigers.de. Der Preis wird unter allen richtigen Antworten verlost.
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