Sternstunde in Georgien - Sturmwolken daheim

Sternstunde in Georgien - Sturmwolken daheim

Die Mannschafts-EM 2025 in Batumi verspricht packende Duelle mit Europas besten Teams – und bietet dem deutschen Aufgebot die Chance auf große sportliche Glanzmomente und vielleicht sogar eine neue Schach-Sternstunde.

Schachtalk #25 – Jubiläum mit Raj Tischbierek Du liest Sternstunde in Georgien - Sturmwolken daheim 10 Minuten

Schachfans, macht Euch bereit!

Vom 4. bis 15. Oktober 2025 trifft sich die Schachelite Europas in Batumi (Georgien) zur Mannschafts-Europameisterschaft. Gespielt wird in zwei Wettbewerben – Offen und Frauen – jeweils neun Runden im Schweizer System. 

Wichtig für alle, die von zu Hause mit den deutschen Mannschaften mitfiebern: Die Runden beginnen in Batumi meist 15:00 Uhr Ortszeit – das ist 13:00 Uhr in Deutschland (Finalrunde am 14. Oktober bereits um 12:00 Uhr Ortszeit / 10:00 Uhr deutscher Zeit).

schachbegeistert, lebendig: Batumi (Foto: Europäische Schachunion ECU)


Deutschland im Open: Nummer 1 der Setzliste und heiß auf Gold

Der Deutsche Schachbund schickt im offenen Wettbewerb eine Mannschaft, die es in sich hat – und die Setzliste anführt (Durchschnitts-Elo 2678):

  • GM Vincent Keymer – Deutschlands Nummer eins, in der Live-Weltrangliste durch seinen Turniersieg in Chennai und die starke Performance in Usbekistan mittlerweile auf Rang 8 vorgerückt

  • GM Matthias Blübaum – Europameister 2022, amtierender Einzel-Europameister 2025 und zuletzt mit der sensationellen Qualifikation fürs Kandidatenturnier im kommenden Jahr

  • GM Frederik Svane – der Gewinner der individuellen Goldmedaille am Reservebrett bei der Schacholympiade 2024, wenn auch zuletzt mit schwankenden Leistungen

  • GM Dmitrij Kollars – jüngst Sieger beim Schlosspark Open 2025 in Wiesbaden

  • GM Rasmus Svane – bekannt für seine ruhige und solide Spielweise

Bundestrainer Jan Gustafsson musste diesmal eine harte Wahl treffen. Zwischen Rasmus Svane und Dennis Wagner entschieden am Ende zwei Elo-Punkte. Auch Alexander Donchenko war in der engeren Auswahl. Gustafsson betonte: „Alle sind stark, ich hätte mich mit allen wohlgefühlt. Aber ich kann halt nur fünf nominieren." (Quelle: DSB.)

Nach dem hauchdünnen Vize-Titel 2023 – damals fehlte nur ein halber Brettpunkt zu Gold – ist das Ziel klar: diesmal ganz oben stehen.

Vize-Europameister Deutschland 2023 (Foto: DSB)


Rückblick: Grand Swiss – deutsche Sternstunden im Frühjahr

Das Selbstvertrauen der Nationalspieler kommt nicht von ungefähr. Beim FIDE Grand Swiss 2025 in Samarkand glänzten gleich mehrere Deutsche:

Matthias Blübaum spielte ein herausragendes Turnier, besiegte u. a. Praggnanandhaa und Erigaisi, spielte gegen die Weltelite fast fehlerfrei und qualifizierte sich sensationell für das Kandidatenturnier 2026.

Vincent Keymer kämpfte bis zuletzt um denselben Platz, spielte viele Gewinnpartien, zeigte enorme Widerstandskraft und verpasste die Qualifikation nur knapp.

Die restlichen Teammitglieder konnten nicht ganz mithalten, aber hielten solide durch – wichtig für die mannschaftliche Balance.

Mit einem Doppel-Europameister (2022 und 2025), einem fast-Kandidaten Keymer und junger Verstärkung ist Deutschland so stark wie selten zuvor.


Wer holte in der Vergangenheit den Titel? – Ein Blick zurück

Die Mannschafts-Europameisterschaft hat eine lange Tradition – und auch Deutschland durfte schon ganz oben jubeln.

  • 2011 feierte das deutsche Herrenteam in Porto Carras (Griechenland) seinen bislang größten Mannschaftserfolg: Gold mit Arkadij Naiditsch, Georg Meier, Daniel Fridman, Jan Gustafsson und Rainer Buhmann. Gustafsson weiß also aus eigener Erfahrung, wie man sich als Europameister fühlt. 

  • Danach dominierten meist die Schachmächte Russland, Aserbaidschan und zuletzt Ukraine und Armenien.

  • 2023 holte Serbien überraschend den Titel, Deutschland landete knapp dahinter auf Silber.

Gerade dieser Silber-Coup 2023 ist für das aktuelle Team eine große Motivation: Noch einmal so nah dran sein, nur diesmal den letzten Schritt machen.


Die Konkurrenz – wer will Deutschland stoppen?

Laut chess-results sind die Niederlande und Ungarn die stärksten Gegner. 

Für die Niederlande treten folgende Spieler an: 

  • Anish Giri (2746),
  • Jorden van Foreest (2692)
  • Max Warmerdam (2591)
  • Erwin L’Ami (2616)
  • Loek van Wely (2628)

Insbesondere Anish Giri befindet sich gerade auf einem Höhenflug. Er gewann das FIDE Grand Swiss in Usbekistan und qualifizierte sich damit fürs Kandidatenturnier. Aber auch der Rest der Mannschaft, insbesondere mit dem Wijk-aan-Zee-Sieger von 2021, Jorden van Foreest, ist nicht zu unterschätzen. 

An Nummer drei der Setzliste befindet sich Ungarn. Stärkster Spieler ist Ding-Sekundant Richard Rapport, der nach seinem "Kurzausflug" ins rumänische Team nun wieder für Ungarn antritt. 

Besonders brisant: An Brett zwei der Ungarn spielt Peter Leko. Der Ex-Vizeweltmeister trainiert seit Jahren Vincent Keymer und bereitet aktuell auch die gesamte Nationalmannschaft vor. Beim Trainingslager im August 2025 in Kienbaum ging es laut DSB-Sportdirektor Kevin Högy „bis spät in die Nacht“. Keymer schwärmt von seinem Coach: „Peter investiert als Trainer sehr viel. Er unterstützt mich dabei, meinen eigenen Weg zu gehen." (Quelle: DSB)

Wenn Leko - der sich eigentlich schon im spielerischen Ruhestand befindet - wirklich antritt, könnte er auf die deutsche Nummer zwei Matthias Blübaum treffen. Die beiden kennen sich nicht nur über den Schachbund, sondern kämpften auch schon Seite an Seite für die Schachfreunde Deizisau in der Bundesliga. Das Match der beiden könnte zum Schlüsselduell werden. 


Frauen-Team: Außenseiter mit neuer Energie

Bei den deutschen Frauen gibt es einen doppelten Umbruch: Zum einen ist Elisabeth Pähtz nicht mehr von der Partie, zum anderen ersetzt der Ukrainer GM Zahar Efimenko seinen russischen Vorgänger Yuri Yakovich. 

Pähtz führte über viele Jahre das Frauenteam an. Nun ist endgültig Schluss. “Ich habe die Energie nicht mehr", sagt sie. (Quelle: DSB/Schachticker).

Frischen Wind versprüht dagegen der 40-jährige Efimenko, der seit drei Jahren in Deutschland lebt. Efimenko ist Team-Olympiasieger 2010, war Teil der Trainerteams von Vladimir Kramnik, Ruslan Ponomariov und Pavel Eljanov und hat internationale Talente wie Zhansaya Abdumalik betreut.

Efimenko überzeugte in mehreren Auswahlrunden, fachlich wie menschlich. Bei einem Probe-Online-Training gewann er sofort das Vertrauen der Nationalspielerinnen: „Wir empfanden ihn durchweg als sehr sympathisch und fanden es auch gut, dass er das Training auf Deutsch durchgeführt hat", lobte Aktivensprecherin Josefine Safarli.  DSB-Präsidentin Ingrid Lauterbach nannte ihn „die Wunschlösung“ für den Neuanfang. (Quelle: DSB).

Für Deutschland gehen folgende Spielerinnen an den Start: 

  • Dinara Wagner (2400)
  • Kateryna Dolzykova (2308)
  • Hanna Marie Klek (2338)
  • Lara Schule (2324)
  • Josefine Safarli (2286)

Nicht gereicht hat es dieses Mal für Jana Schneider, die 2022 bei der Schacholympiade eine individuelle Goldmedaille für ihre Leistung an Brett 5 gewann. 

Der deutsche EM-Kader 2025: motiviert und ambitioniert (Foto: Stev Bonhage / DSB)


Favoritinnen bei den Frauen

Die topgesetzten Mannschaften sind Georgien Ø-Elo 2461), Polen (Ø-Elo 2390) und die Ukraine (Ø-Elo 2358). Viele der Spielerinnen sind bei den Topteams der Frauenbundesliga (Baden-Baden, Bad Königshof, Schwäbisch Hall) unter Vertrag.

Georgien wird versuchen, vor heimischem Publikum die Goldmedaille zu erzielen und die georgische Schachtradition mit Weltmeisterinnen wie Nona Gaprindashvili fortzuschreiben. Bei den Ukrainerinnen fehlen (wieder) die Muzychuk-Schwestern, was einen deutlichen Einschnitt bedeutet. 

Deutschland befindet sich mit einem Eloschnitt von 2343 auf Platz 7 der Setzliste. Das bedeutet aber auch: In guter Form ist ein Podestplatz mehr als nur möglich. 


Kulisse Batumi: Schach & Schwarzes Meer

Austragungsort ist der 5-Sterne-Komplex „Grand Bellagio Convention“, der Spielsaal und Hotel unter einem Dach vereint – perfekte Bedingungen für Höchstleistungen.
Batumi ist außerdem eine schachbegeisterte Stadt: Erst im Juli 2025 fand hier der FIDE Women’s World Cup statt, den die Inderin Divya Deshmukh nach spannenden Tie-Breaks gegen Humpy Koneru gewann. 

Schwarzmeerkulisse (Foto: ECU)


Sternstunde in Georgien - Sturmwolken daheim

Während die deutschen Nationalspieler und -spielerinnen also womöglich vor einer sportlichen Sternstunde stehen, ziehen zuhause Sturmwolken auf. Im Deutschen Schachbund ist die Stimmung angespannt. Geschäftsführerin Dr. Anja Gering wurde nach 19 Jahren gekündigt, ihr Abgang wird kaschiert.

Am 4. Oktober - dem Anreisetag der Europameisterschaft - findet in Hofgeismar der Hauptausschuss des DSB statt. Der Präsident des Berliner Schachverbandes Paul Meyer-Dunker, zuletzt bei der Wahl zum DSB-Präsidenten knapp gegen Amtsinhaberin Ingrid Lauterbach unterlegen, möchte die Gering-Thematik aufarbeiten und sogar den Betriebsrat anhören. Die DSB-Führung wird sich - mindestens - deutliche Kritik anhören müssen. 

Doch während das deutsche Verbandsgeschehen gerade kriselt, zeigt die Nationalmannschaft ein anderes Bild: klare Strukturen, gemeinsames Ziel, Teamspirit.
Vielleicht wird genau diese Diskrepanz zum Katalysator für einen sportlichen Glanzmoment. 


Wertung:

Es zählen zunächst die Mannschaftspunkte (2 für Sieg, 1 für Remis). Bei Gleichstand entscheidet die Sonneborn-Berger-Wertung. Die Mannschaftspunkte aus jedem Match – ausgenommen das Ergebnis gegen den Gegner, der am wenigsten Mannschaftspunkte erzielt hat – werden jeweils mit der Zahl der Brettpunkte multipliziert, die man gegen diesen Gegner erzielt hat. Die höchste Summe gewinnt. Falls zwei oder mehr Mannschaften dieselbe Gesamtzahl an Mannschaftspunkten haben, werden die niedrigsten Ergebnisse dieser Multiplikationen noch einmal ausgeschlossen.

Die Eigenart der Sonneborn-Berger-Wertung führt dazu, dass manchmal Partien von völlig unbeteiligten Mannschaften über den Ausgang des Wettbewerbs entscheiden, weil ihre Ergebnisse aus mathematischen Gründen relevant sind. Dies wirkt manchmal willkürlich, doch hat jede andere Art der Zweitwertung genauso ihre Nachteile. 

Die genaue Berechnung sowie die weiteren Feinwertungen - falls benötigt - ergeben sich aus den offiziellen Regularien


So könnt ihr mitfiebern

Runden

  • 5.–10. Oktober und 12.–14. Oktober (meist 15:00 Uhr Batumi / 13:00 Uhr Deutschland).

  • Letzte Runde: 14. Oktober um 12:00 Uhr Batumi / 10:00 Uhr Deutschland.

Spielplan & Modus

Datum Uhrzeit Batumi Uhrzeit Deutschland Runde / Ereignis
4. Okt Anreisetag
4. Okt 21:00 19:00 Technisches Meeting
5. Okt 14:30 12:30 Eröffnungsfeier
5. Okt 15:00 13:00 Runde 1
6. Okt 15:00 13:00 Runde 2
7. Okt 15:00 13:00 Runde 3
8. Okt 15:00 13:00 Runde 4
9. Okt 15:00 13:00 Runde 5
10. Okt 15:00 13:00 Runde 6
11. Okt Ruhetag
12. Okt 15:00 13:00 Runde 7
13. Okt 15:00 13:00 Runde 8
14. Okt 12:00 10:00 Runde 9
14. Okt 20:00 18:00 Siegerehrung
15. Okt Abreise

 

Gespielt wird übrigens mit klassischer Bedenkzeit: 90 Minuten für 40 Züge plus 30 Minuten für den Rest der Partie, dazu 30 Sekunden Bonus pro Zug ab dem ersten.

Wo ihr zuschauen könnt

Die Partien werden voraussichtlich live gestreamt auf dem offiziellen YouTube-Kanal der European Chess Union.
Außerdem könnt ihr die Spiele direkt verfolgen – etwa auf Chess.com und  auf Lichess (Turnierseite ist noch nicht angelegt).
Zusammenfassungen und Analysen dürfte es abends auf bekannten Kanälen geben – etwa bei Gunny’s Chessalyze oder The Big Greek. 

Ob Nationalspielerin Josefine Safarli oder Bundestrainer Jan Gustafsson (JanistanTV) selbst abends auf ihren Kanälen Analysen liefern, ist mehr als fraglich. 

Alle offiziellen Infos gibt es außerdem auf der Website der European Chess Union. Eine ausführliche Aufarbeitung folgt in der Novemberausgabe der Zeitschrift SCHACH


Fazit:

Die Rahmenbedingungen sind perfekt, das deutsche Open-Team geht als Topfavorit ins Rennen, die Frauen starten mit neuem Trainer und frischer Energie. Nach dem Drama von 2023, dem Grand-Swiss-Erfolg von Blübaum und dem historischen Gold von 2011 ist die Zeit reif für eine deutsche Schachsternstunde in Batumi

Eine ausführliche Aufarbeitung folgt in der Novemberausgabe der Zeitschrift SCHACH


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