Hallo Ufuk, du hast mir erzählt, dass Schach dein Beruf ist. In welchen Bereichen des Schachs bist du genau aktiv?
Ich bin in mehreren Bereichen des Schachs aktiv – das ist auch das Spannende an meinem Beruf. Einerseits bin ich als DGT-Techniker bei Turnieren für die Live-Übertragung von Partien zuständig, andererseits arbeite ich als Schachtrainer mit Spielern verschiedener Spielstärken – vom motivierten Einsteiger bis zum ambitionierten Turnierspieler.
Wie kamst du ursprünglich zur Live-Übertragung von Schachpartien?
Das war eine klassische Mischung aus Leidenschaft und Gelegenheit. Ich habe selbst Turniere gespielt und war immer an der Technik interessiert. Als bei einem Event spontan Hilfe bei der DGT-Technik gebraucht wurde, habe ich eingesprungen – und gemerkt: Das liegt mir! Daraus hat sich dann Stück für Stück eine professionelle Tätigkeit entwickelt.
Du warst unter anderem beim grenke Chess Open und beim grenke Freestyle Chess Open für die DGT-Liveübertragungen verantwortlich. Wie fühlt es sich an, bei solch großen Events eine zentrale technische Rolle zu übernehmen?
grenke Chess 2025, Schwarzwaldhalle Karlsruhe
Es ist eine große Verantwortung – aber auch eine große Ehre. Wenn alles läuft, nimmt es keiner wahr. Aber wenn ein Brett ausfällt, schauen plötzlich alle auf dich. Das motiviert mich, extrem präzise zu arbeiten. Gerade bei Events wie dem Grenke Freestyle, wo Weltklassespieler wie Carlsen oder Keymer spielen, ist das ein echtes Highlight.
Auch wenn es dir nur selten passiert – manchmal funktioniert bei einem Brett die Übertragung nicht korrekt. Woran erkennst du solche Probleme, und was sind die häufigsten Ursachen?
Ein geübtes Auge sieht schnell, wenn Züge nicht übermittelt werden oder die Figurenstellung plötzlich „unlogisch“ wirkt. Häufige Ursachen sind defekte Kabel, verrutschte Figuren oder Softwareprobleme – zum Beispiel bei der Verbindung mit dem Turnier-Server. Wichtig ist, schnell zu reagieren, ohne den Spielfluss zu stören.
Können Turnierveranstalter dich direkt für DGT-Übertragungen engagieren? Und: Verfügst du in solchen Fällen über eigenes Equipment wie DGT-Bretter?
Ja, Turnierveranstalter können mich direkt anfragen – ich bin mittlerweile gut vernetzt in der Szene. Ich arbeite mit meinem eigenen Equipment, darunter DGT-Bretter, PTZ Kameras, Uhren, Verbindungseinheiten und Software. Das macht es einfacher, unabhängig und professionell aufzutreten.
Wie sieht deine Arbeit als Schachtrainer aus? Bietest du eher Einzel- oder Gruppentraining an, und welches Spielniveau sprichst du an?
Ich biete überwiegend Einzeltraining an, weil ich dort individuell auf Stärken und Schwächen eingehen kann. Aber auch Gruppentrainings oder Vereinskadermaßnahmen gehören dazu. Mein Fokus liegt auf ambitionierten Spielern zwischen 1400 und 2100 Elo, die gezielt an ihrem Spiel arbeiten wollen.
Logo Schachschule Tuncer, Quelle: Ufuk Tuncer
Was ist der wichtigste Ratschlag, den du deinen Schülern regelmäßig mitgibst?
“Verstehen ist stärker als Auswendiglernen.” Viele Spieler wollen sofort Eröffnungen auswendig lernen – ich lege Wert auf Verständnis. Warum funktioniert ein Plan? Was ist das Ziel eines Manövers? Wer das warum hinter dem was kennt, wird langfristig stärker.
Deine Partnerin Ebru Ceylan ist Mentaltrainerin und unterstützt unter dem Namen MindChess Schachspieler bei mentalen Herausforderungen. Was kannst du über ihre Arbeit berichten?
Die Arbeit von Ebru beeindruckt mich jeden Tag aufs Neue. Ebru arbeitet mit MindChess als Mentalcoach gezielt mit Schachspielern an ihrer mentalen Stärke. Ihre Methode ist individuell – sie passt sich an Spielstärke, Persönlichkeit und konkrete Herausforderungen an. Dabei kombiniert sie systemisches Coaching, achtsamkeitsbasierte Techniken und leistungspsychologische Ansätze. Ob Angst vor Fehlern, Blackouts in Zeitnot oder fehlender Fokus – sie hilft ihren Klienten, mentale Hürden zu erkennen und zu überwinden.
MindChess Logo, Quelle: Mentalcoaching für Schachspieler
Zu ihren Coachees zählen inzwischen Großmeister, IMs, FMs sowie Nachwuchstalente aus dem Kaderbereich, junge „Rising Stars“, die regelmäßig auf nationalen und internationalen Turnieren auftreten. Besonders beeindruckend finde ich, wie schnell und tiefgreifend ihre Arbeit wirkt – viele berichten schon nach wenigen Sitzungen von mehr innerer Ruhe, Klarheit und Selbstvertrauen am Brett.
Habt Ihr auch gemeinsame Projekte?
Wir arbeiten punktuell zusammen: Wenn ich merke, dass ein Spieler nicht an der Eröffnung, sondern am Selbstbild scheitert, empfehle ich MindChess. Umgekehrt fließen ihre Erkenntnisse auch in mein Training ein. Diese Verbindung aus Technik und Mentalarbeit ist für viele Spieler ein echter Gamechanger. Wir ergänzen uns perfekt: ich bringe das Schach, sie bringt die Tiefe.
Durch ihre eigene Spielerfahrung hat sie zudem einen ganz besonderen Zugang und begegnet ihren Coachees mit echter Nähe und einem tiefen Verständnis für das, was am Brett – und dahinter – passiert.
Coacht unter anderem den autistischen amerikanischen GM Christopher Yoo: Ebru Ceylan (Quelle: ChessBase India
MindChess ist kein Nebenprojekt – es ist eine echte Bereicherung für die Schachwelt. Und ich bin überzeugt: Der mentale Bereich wird in Zukunft noch viel stärker darüber entscheiden, wer nicht nur gut spielt – sondern konstant sein volles Potenzial abrufen kann.
Wie läuft es aktuell mit deinem eigenen Schach? Du bist immerhin FIDE-Meister mit einer beachtlichen Spielstärke.
Ich spiele aktuell weniger Turniere, weil ich viel unterwegs bin als Trainer und Techniker. Aber wenn ich spiele, bin ich voll dabei. Mein Ziel ist nicht nur die IM-Norm, sondern nachhaltige Freude am Spiel. Und ich merke: Diese Erfahrung hilft mir auch in meiner Trainerarbeit – weil ich weiß, wie sich Druck und Ambition anfühlen.
Du hast 2014 an einem Eröffnungsbuch über die Damenindische Verteidigung mitgearbeitet. Was ist aus dem Gambit geworden, das du darin vorgestellt hast – wird es noch gespielt?
Ja, das sogenannte “Ufuk-Gambit” (lacht) lebt noch! Es ist kein Mainstream-System, aber eine spannende Waffe für Spieler, die Komplexität suchen. Ich bekomme immer wieder Mails von Leuten, die es ausprobiert haben – und überraschend gute Ergebnisse damit erzielen. Das freut mich natürlich sehr.
Vielen Dank für das Gespräch, alles Gute und weiterhin viel Erfolg!
Danke dir! Es hat Spaß gemacht – und ich freue mich, wenn wir mit dem Interview andere für die vielen Facetten des Schachs begeistern können.
Beitragsbild Ufuk Tuncer: by Dariusz Gorzinski für grenke Chess