1. Hallo Holger, du bist ein langjähriger Sammler von Schachsets und hast über die Jahre hinweg eine große Expertise aufgebaut. Wie kamst du zum Sammeln?
Das war purer Zufall. Ich wollte mir ein neues Schachspiel kaufen und stieß dabei auf ein antikes holländisches Spiel aus dem 18. Jahrhundert. Die ungewöhnlichen Figuren faszinierten mich sofort. Danach wollte ich mehr über solche Figuren wissen und fing an zu recherchieren. Am Anfang kaufte ich sehr schnell und sehr viel. Nach kurzer Zeit verlor ich den Überblick und beschloss, eine Webseite aufzubauen, auf der ich meine Figurensätze präsentiere und zu ihrem Hintergrund schreibe (www.chess-collection.de). Über die Jahre habe ich dabei die von Dir angesprochene Expertise erworben. Neben dem eigentlichen Spielmaterial, also Figuren, Brettern usw., sammele ich auch Bücher über Schachfiguren und entsprechende Auktionskataloge.
2. Wieviele Schachbretter und -figuren hast du gesammelt, und wo bringst du das Ganze unter?
Bis heute habe ich etwa 370 Schachfigurensätze gesammelt. Das ist weniger, als es klingt. Es gibt Sammler, deren Sammlung mehrere tausend Schachspiele umfasst. Ich habe aber über die Jahre meinen Sammlungsfokus etwas verändert. Es gilt mittlerweile die Devise „Qualität vor Quantität“. Ich habe keine Probleme, mich von Früherwerbungen, die nicht mehr in den Fokus passen, auch wieder zu trennen, um Platz für Neues zu schaffen. Derzeit dürfte die Sammlung daher eher ca. 250 Figurensätze umfassen. Hinzu kommen rund 70-80 Schachbretter. Das nimmt so viel Platz ein, dass ich nicht alles „ausstellen“ kann. Ich habe zwei Glasvitrinen für die schönsten Stücke. Diese bieten Platz für etwa 15-20 Spiele. In meinem Arbeitszimmer habe ich dann noch ein paar Vitrinenschränke, in denen noch einmal rund 50 ausgestellt sind. Der Rest fristet leider sein Dasein weitestgehend in Schränken und Schubladen. Aber wenn ich Lust habe, nehme ich mir einfach ein Spiel aus dem Schrank und bewundere es aus der Nähe oder spiele auch mal eine Partie Schach damit.
3. Auf deiner Webseite chess-collection.de präsentierst du einige schöne Ausstellungsstücke. Welche haben es dir besonders angetan?
Das bereits oben erwähnte antike holländische Schachspiel ist bis heute einer meiner Favoriten. Ich habe aber auch filigrane indische Schachfiguren, die ich sehr bewundere. Sie wurden vor fast 200 Jahren aus Elfenbein mit einer Kunstfertigkeit hergestellt, die man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann. Man muss sich immer bewusst machen, dass diese Figuren aus der vorindustriellen Zeit stammen und vor Ort mit einfachsten Werkzeugen in mühsamer Handarbeit hergestellt wurden. Handwerker haben damals nicht selten mehrere Monate an einem einzigen Figurensatz gearbeitet. Besonders angetan haben es mir aber auch Schachfiguren von deutschen Herstellern des 18. und 19. Jahrhunderts.
Deutsches „Spielzeug“-Schachspiel, frühes 19. Jahrhundert, in der Tradition der Nürnberger Spielzeugmacher. Quelle: German "Toy" Chess Set
4. Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen glauben, sie besitzen ein wertvolles Schachbrett oder wertvolle Figuren. Aber wenn man dann bei Sammlern wie dir nachfragt, ist der Wert doch nicht so hoch. Ist der Eindruck richtig? Und wenn ja, warum ist das so?
Der Eindruck ist sicherlich nicht falsch, kann aber auch kaum verwundern. Wäre ich nicht zufällig zum Sammeln gekommen, wüsste ich das auch nicht verlässlich einzuschätzen. Viele Menschen halten, wenn sie Figuren jenseits der Norm sehen, diese erst einmal für ungewöhnlich und selten und verknüpfen dies mit einer bestimmten Wertvorstellung. Als Sammler beobachte ich aber den Markt kontinuierlich und seit langer Zeit. Daher habe ich ein gewisses Gespür dafür entwickelt und weiß in der Regel, woran ich den Unterschied zwischen Wertvollem und weniger Wertvollem erkenne. Dieses Wissen muss dem Laien aber zwangsläufig fehlen. Das fällt selbst vermeintlichen Profis, wie Auktionshäusern, mitunter schwer.
Ich spreche hier nur vom finanziellen Wert. Es gibt daneben natürlich auch einen ideellen Wert, z.B. wenn ein Schachspiel mit Erinnerungen verbunden ist. Dieser Wert lässt sich auch mit noch so viel Expertenwissen nicht bemessen.
5. Sammelst du für dich ganz alleine oder triffst du dich hin und wieder mit Gleichgesinnten?
Ich bin seit vielen Jahren Mitglied von Chess Collectors International (CCI), einer Vereinigung, der mehrere hundert Schachsammler aus aller Welt angehören. Dort gibt es regelmäßige Treffen, von der deutschen Sektion einmal pro Jahr, international alle zwei Jahre.
Außerdem bin ich sehr stark in den sozialen Medien in Sammlergruppen und -foren unterwegs. Gerade bei Facebook gibt es einige sehr große Gruppen von Schachsammlern, bei denen ich auch Administrator bin. Die größte von mir administrierte Gruppe hat knapp 27.000 Mitglieder. In den angesprochenen Gruppen gibt es erfahrungsgemäß ein extrem großes Schwarmwissen. Das hat mir schon oft geholfen, wenn ich auf der Suche nach Informationen zu meinen Schachspielen war.
Ich habe auch Freundschaften zu anderen Sammlern aufgebaut. Wenn es meine Zeit erlaubt, besuche ich hin und wieder den einen oder anderen von ihnen und bewundere ihre Sammlungen.
6. Warst du schon mal in einem Schachmuseum und kannst du eines empfehlen? Das Schachmuseum in Klagenfurt hat ja leider mittlerweile geschlossen.
Es gibt nicht viele Museen, die sich komplett dem Thema Schach widmen. Ich war bislang in keinem von ihnen. In Ankara gibt es eines, das qualitativ aber ähnlich dem Schachmuseum in Klagenfurt ist und sehr in die Breite geht, mehr Quantität als Qualität. Wertvolle antike Schachfiguren findet man dort eher nicht. Dass das Schachmuseum in Klagenfurt so plötzlich geschlossen wurde, hat mich überrascht. Das Museum ist erst vor einigen Jahren von Zoltan Mali gegründet worden, der dort mehr als 3.000 Schachspiele ausgestellt hat. Es gibt zwar private Sammlungen, die größer und bedeutender sind. Aber für eine öffentliche Ausstellung dürfte das unübertroffen gewesen sein. Das Schachmuseum in Moskau soll auch gut sein.
Die besten Ausstellungen von Schachfiguren findet man aber bei Chess Collectors International, die jeweils anlässlich der oben angesprochenen Treffen organisiert werden.
7. Du hast sogar ein Buch über das Sammeln von Schachsets geschrieben. Erzähl doch gerne etwas mehr über das Buch.
Das Buch, welches den Titel „On the Collecting of Chess Sets” trägt und in englischer Sprache erschienen ist, war mein Corona-Projekt. Es gibt eigentlich drei Gründe, warum ich das Buch geschrieben habe.
- Es gab bislang kein Buch, das halbwegs strukturiert wenigstens ein Basiswissen über diese Themen vermittelte. Insofern war da eine Lücke.
- Viele bisher erschiene Bücher schreckten potentielle neue Sammler ab, weil sie nur die wertvollsten und exklusivsten Figuren zeigten. Um diese möglichen Barrieren bei neuen Sammlern abzubauen, zeige ich in meinem Buch bewusst nicht nur wertvolle Schachsets.
- Und schließlich kann ich im Buch besser systematisieren, was ich auf der Webseite nicht in der gleichen Art abbilden kann. Es gibt eigene Kapitel über die wichtigsten Figurenmuster, die wichtigsten Materialien, die wichtigsten Hersteller usw., jeweils mit vielen Beispielfotos. Außerdem enthält das Buch ein sehr umfangreiches Literatur- und Quellenverzeichnis, das in dieser Art für Schachfiguren bislang einzigartig sein dürfte.
Wer Interesse an dem Buch hat, kann dieses als Paperback oder als gebundene Ausgabe entweder über den Buchhandel (auch online über Amazon, Thalia, Hugendubel etc.) oder über meine Webseite direkt von mir erwerben. Über den Buchhandel ist es auch als eBook verfügbar. Wer sich einen Eindruck vom Inhalt verschaffen möchte, findet Leseproben auf Amazon (https://www.amazon.de/Collecting-Chess-Sets-Holger-Langer/dp/3985274703/) oder meiner Webseite (https://www.chess-collection.de/booksale).
Englisches Elfenbein-Schachspiel von Charles Hastilow, um 1850 – massive, fein geschnitzte Figuren mit auffälliger Farbgebung und hohem Spielgewicht, Quelle: English Ivory Chess Set
8. Kunstvolle Schachsets werden und wurden auf der ganzen Welt hergestellt. Hat dieser interkulturelle Aspekt für dich über das Schachspiel hinaus irgendeine Bedeutung?
Unbedingt. Schach ist wohl das einflussreichste Spiel aller Zeiten und hat in unzähligen Kulturkreisen einen so großen Einfluss gehabt, dass es wie ein Spiegel der Zeit und der Kultur ist. In Indien gibt es beispielsweise Schachspiele, die den heute noch existierenden Konflikt zwischen Hindus und Muslimen schon im 19. Jahrhundert abgebildet haben.
Auch innerhalb Europas gibt es viele kulturelle Unterschiede, gerade bei den Läufern. Im deutschen sprechen wir vom „Läufer“ und dieser wird in vielen figürlichen Schachspielen auch genauso dargestellt, nämlich als laufender Bote. In England heißt dieselbe Figur jedoch „bishop“ (Bischof) und wird in der Regel durch die Mitra eines Bischofs dargestellt. In figürlichen Schachspielen aus Frankreich ist der Läufer häufig als Narr dargestellt, denn im französischen heißt der Läufer „fou“ (Narr). Die Liste an (inter-)kulturellen Beeinflussungen des Schachspiels ließe sich beliebig fortsetzen.
9. Kann man dich eigentlich für Vorträge über Schachgeschichte buchen?
Grundsätzlich sehr gerne, aber ich müsste das Thema etwas einschränken. Ich kann nur begrenzt etwas zur Schachgeschichte beitragen, soweit es um die Geschichte des Spiels selber geht. Was mich primär interessiert, ist die Geschichte des Spielmaterials, also der Figuren, der Bretter usw. und das Kunsthandwerk dahinter. Hier gibt es natürlich unzählige Verbindungen zum Spiel selber.
10. Sind Schachfigurensammler eigentlich auch gute Schachspieler?
Das ist sehr unterschiedlich. Viele Sammler sind über das Spiel zum Sammeln gekommen. Ein bekannter Sammler aus den USA mit einer sehr beeindruckenden Sammlung hat beispielsweise den Titel eines USCF National Masters und hat auch schon Bücher zum Schach veröffentlicht, die nichts mit Figuren oder dergleichen zu tun haben. Viele Sammler haben daher mindestens einmal in der Jugend intensiv Schach gespielt. Aber genauso gibt es Sammler, die wenig oder gar kein Schach spielen und deren Interesse fast ausschließlich historisch oder künstlerisch ist. Ich selber gehöre eher in die zweite Kategorie.