Abschied von GM Daniel Naroditsky (1995-2025)

Abschied von GM Daniel Naroditsky (1995-2025)

Zwei Wochen vor seinem 30. Geburtstag ist Großmeister Daniel Naroditsky gestorben – ein Verlust, der die Schachwelt tief bewegt.

The Big Greek im Schachtalk Du liest Abschied von GM Daniel Naroditsky (1995-2025) 6 Minuten

Die Schachwelt trauert um einen Lehrer, Denker und Freund

Die Nachricht kam völlig unerwartet: Zwei Wochen vor seinem 30. Geburtstag ist der amerikanische Großmeister Daniel Naroditsky gestorben. Seine Familie teilte die Nachricht am 20. Oktober über das Charlotte Chess Center mit, wo Naroditsky seit Jahren als Trainer und Kommentator wirkte. 

Naroditsky, geboren am 9. November 1995 in San Mateo, Kalifornien, galt als eines der größten US-Talente seiner Generation – und als einer der beliebtesten Schachlehrer der Welt. Auf Twitch und YouTube erreichte der unter dem Spitznamen "Danya" bekannte Streamer über 800.000 Follower. Dabei begeisterte mit klarer Stimme, tiefem Wissen und einem ansteckenden Humor Millionen von Schachfans weltweit.


Vom Wunderkind zum Großmeister

Mit sechs Jahren brachte ihm sein Vater, der aus der Ukraine in die USA eingewanderte Mathematiker Vladimir Naroditsky, das Schachspiel bei. Daniel selbst erzählte später in der New York Times, dass es keine Liebe auf den ersten Blick gewesen sei, sondern eine allmähliche Annäherung – „eine von vielen Möglichkeiten, Zeit mit meinem Bruder Alan zu verbringen“.

Sein Aufstieg verlief dennoch rasant. 2007 gewann er die U-12-Weltmeisterschaft, wurde FIDE-Meister, später Internationaler Meister (2011) und schließlich Großmeister im Jahr 2013. Im selben Jahr gewann er die US-Juniorenmeisterschaft, erreichte seine höchste klassische Elo von 2647 (2017) und spielte mehrfach bei den US-Championships mit.

Während Naroditsky im klassischen Schach nie zur absoluten Weltspitze gehört, war dies in den kurzen Online-Zeitformaten anders. Er war einer der besten Blitzspieler der Welt – und im Bullet (1 Minute pro Partie) einer der besten, die es je gab. Auf Lichess.org hatte Naroditsky (Benutzername RebeccaHarris) über lange Zeit eine Bullet-Wertung von über 3100, was ihn mehrfach an die Spitze der inoffiziellen Lichess-Bullet-Rangliste brachte. Auch auf Chess.com gehörte er konstant zu den Top 3–5 Bullet-Spielern, oft direkt hinter Hikaru Nakamura und Alireza Firouzja. 

Auch abseits des Schachbretts beeindruckte Naroditsky mit Vielseitigkeit. Er schloss ein Geschichtsstudium an der Stanford University ab und spielte leidenschaftlich Basketball – Susan Polgar erinnerte sich auf Facebook daran, wie er bei ihr zu Hause „den ganzen Tag Dreier geworfen“ habe.


Ein Lehrer, der Millionen erreichte

Schon mit 14 veröffentlichte Naroditsky sein erstes Buch, Mastering Positional Chess – verfasst in einer Sprache, die fortgeschrittene Spieler wie Einsteiger gleichermaßen verstand. Später folgten Mastering Complex Endgames und zahlreiche Kolumnen in Chess Life und der New York Times.

Als Kommentator für Chess.com war er bei vielen internationalen Turnieren die ruhige, präzise Stimme, die komplizierte Stellungen verständlich machte. Seine Videoreihen auf YouTube – besonders die legendäre Speedrun-Serie – gelten als Lehrwerke einer neuen Generation.

Die Kasparov Chess Foundation schrieb:

„Danya’s Talent, Kreativität und Liebe zum Schach inspirierten jeden, der ihn kannte – von Schülern bis zu Mitspielern.“ (Quelle)


Trauer und Anteilnahme aus aller Welt

Die Nachricht seines Todes löste in der Schachgemeinschaft tiefe Bestürzung aus.
Großmeister Hikaru Nakamura veröffentlichte ein bewegendes Video, in dem ihm mehrfach die Stimme versagte: „Das ist ein riesiger Verlust für die Welt des Schachs.“
Auch Praggnanandhaa, Levon Aronian, Susan Polgar, GothamChess und viele andere würdigten Naroditsky als Lehrer, Mentor und Freund.

Die FIDE schrieb in ihrem Nachruf:

„Es gibt nicht viele Menschen, die vor ihrem 30. Geburtstag so viel erreicht haben. Daniel Naroditsky wird für immer einer von ihnen bleiben.“ (Quelle)


Menschlichkeit in einem stillen Moment

Welche menschlichen Qualitäten in Daniel Naroditsky steckten, zeigte sich bei der Blitz-Weltmeisterschaft 2024. In Runde 11 stand Vassily Ivanchuk gegen ihn auf Gewinn – eine Partie, die dem ukrainischen Altmeister fast den Einzug in die Medaillenrunde gesichert hätte. Doch Ivanchuk verlor auf Zeit.

Was danach geschah, berührte die Schachwelt: Ivanchuk weinte. Naroditsky blieb still sitzen – voller Mitgefühl. Kein Jubel, kein Erleichterungsausbruch. Nur Verständnis.
Ein Moment, der um die Welt ging: der junge Amerikaner, der mitfühlend neben einer lebenden Legende sitzt, weil er versteht, was Schach für sie bedeutet.


Entertainer Naroditsky

Neben all seinen schachlichen und pädagogischen Fähigkeiten hatte Daniel Naroditsky auch ein ausgeprägtes Talent zur Unterhaltung. In einem viel geteilten Video zeigte er sich als glänzender Imitator – unter anderem der Stimmen von Wesley So und Garry Kasparov (vgl. Video).

Auch als Kommentator brachte er immer wieder Begeisterung und Leichtigkeit ins Spiel. Er verband präzise Analysen mit Witz und Spontaneität – ein Stil, der sowohl Profis als auch Einsteiger fesselte und ihn zu einem der beliebtesten Schach-Kommentatoren seiner Generation machte.


Spekulationen und Anteilnahme

In den sozialen Netzwerken wird viel über die Todesursache spekuliert. Offiziell ist nichts bekannt. Fest steht, dass Naroditsky – wie viele andere aktive Spieler – in den vergangenen Monaten Ziel unbegründeter Cheating-Anschuldigungen von Wladimir Kramnik wurde. In Teilen der Community wird über einen möglichen Suizid im Zusammenhang mit diesen Anschuldigungen spekuliert. Dafür gibt es keine bestätigten Hinweise.

Die Familie bat in ihrem offiziellen Statement ausdrücklich darum, seine Privatsphäre zu respektieren und sich auf das zu besinnen, was Daniel der Schachwelt gegeben hat.

Das Charlotte Chess Center, das die traurige Nachricht veröffentlichte, bat darum, in dieser schwierigen Zeit vor allem an seine Familie zu denken. (Quelle)


Ein Vermächtnis von Menschlichkeit

Daniel Naroditsky war vieles zugleich: Großmeister, Lehrer, Streamer, Denker – und vor allem jemand, der anderen half, Schach zu verstehen.

In einem Interview mit der New York Times im Jahr 2022 (zitiert nach FIDE) griff er ein altes italienisches Sprichwort auf:

„Am Ende der Partie kommen sowohl der König als auch der Bauer in dieselbe Schachtel.“

Der Satz ist viele Jahrhunderte alt, doch Daniel machte ihn zu seinem eigenen. Er stand für das, was ihn auszeichnete – Bodenständigkeit, Nachdenklichkeit und die Gewissheit, dass Erfolg im Schach nie wichtiger ist als Menschlichkeit.

Ruhe in Frieden, Daniel „Danya“ Naroditsky


Beitragsfoto: Charlotte Chess Center

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