Chess960 Der Chess960-Express ist nicht mehr aufzuhalten 24 Teilnehmer melden für die Computer-WM / Almasi und Swidler spielen gegen Chess960-Engines Baron und Shredder
20.07.2005 - Bei der ersten Computer-Weltmeisterschaft im Chess960 zeichnet sich eine beachtliche Teilnehmerzahl ab: Für das Turnier am 11. (ab 11.30 Uhr) und 12. August (ab 10.30 Uhr) in der Mainzer Rheingoldhalle, bei dem die Grundstellung der Schachfiguren ausgelost wird, meldeten sich 24 überwiegend bekannte Programmierer an. Unter den Engines befinden sich Spitzenprofis wie Hiarcs und Shredder. Beide Programme zählen zweifellos zum engeren Favoritenkreis der ersten Chess960-Computer-WM - aber vielleicht werden bekannte Amateur-Engines wie List, Spike, Anaconda, The Baron oder Pharaon für einige Überraschungen sorgen können.
An den zwei Tagen werden sieben Runden nach Schweizer System gespielt. Die Bedenkzeit beträgt 25 Minuten plus zehn Sekunden pro ausgeführten Zug. Preisgelder sind bei Computerschach-Turnieren eher ungewöhnlich, aber der Sieger von Mainz kann sich nicht nur mit dem Titel „Chess960-Computerschach-Weltmeister 2005“ schmücken, sondern darf auch noch 1.000 Euro und einen besonderen Pokal mit nach Hause nehmen. Zum Aufwärmen werden am 10. August zwei Duelle zwischen Mensch und Computer ausgetragen: Chess960-Weltmeister Peter Swidler misst sich in zwei Partien gegen The Baron von Richard Pijl (Niederlande). Gleichzeitig wird das ungarische Ass Zoltan Almasi, das Swidler bei den Chess Classic Mainz im Kampf um den Titel herausfordert, zweimal auf die brandneue Engine „Shredder960“ von Stefan Meyer-Kahlen prallen.
GM Peter Swidler, Weltmeister im Chess960
Die Programmierer können entweder ihre eigene Hardware nutzen oder eine von Livingston Electronic Services GmbH gestellt bekommen. Das Unternehmen aus Teddington (bei London) ist führender Spezialist für die kurz- und mittelfristige Vermietung von hochwertiger Hardware. „Wir haben gemeinsam mit Livingston ein Paket für die Chess Classic 2005 geschnürt. Unser neuer Partner stellt jedem Programmierer, der an der Chess960-Computer-WM teilnimmt, für die Dauer der Veranstaltung einen leistungsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung. Außerdem unterstützt Livingston alle Wettbewerbe mit moderner Präsentationstechnik und stattet das Pressezentrum aus“, berichtet Organisator Hans-Walter Schmitt. „Uns hat beeindruckt, dass solch eine internationale Veranstaltung mit Teilnehmern aus aller Welt zu Stande kam. Außerdem ist es schon etwas Besonderes, bei einer Weltmeisterschaft als Sponsor mit dabei zu sein“, befindet Volker Mertens von der deutschen Livingston-Zentrale in Darmstadt.
Computer bei den Chess-Classic-Turnieren
Bei vielen Turnieren in Mainz haben Computer eine wichtige Rolle gespielt. Das weltberühmte Programm „Fritz“ von Frans Morsch lieferte sich bereits mehrere spannende Wettkämpfe gegen Weltklassespieler wie Alexander Morosewitsch und Alexej Schirow. Der ehemalige WM-Kandidat Artur Jussupow trug im Jahre 2000 zwei innovative Shuffle-Schach-Partien gegen Fritz aus. Ein Jahr später debütierte dessen kleiner Bruder, Pocket Fritz von Stefan Meyer-Kahlen, in Mini-Zweikämpfen gegen Peter Leko und Michael Adams. Damals konnten die Menschen noch Computer schlagen - insbesondere der Engländer wird sich gerne an die zwei Gewinnpartien gegen den Pocket-PC erinnern, nachdem er unlängst vom Elektronenhirn Hydra mit 0,5:5,5 düpiert wurde. 2002 sah das Publikum Advanced Computer Chess. Dabei dürfen die Spieler Programme für ihre eigenen Züge zu Rate ziehen. Die Titelverteidiger der Chess Classic, Viswanathan Anand und Peter Swidler, saßen sich dabei gegenüber. Im Vorjahr hatten die Chess Tigers erneut eine gute Idee: Zum ersten Mal durfte sich ein Chess960-Schachprogramm gegen einen Top-Großmeister messen. Der Armenier Levon Aronjan, aktuell die Nummer neun der Welt, traf in zwei Partien auf das Programm The Baron von Pijl. Beide Partien endeten remis.
Richard Pijl und Levon Aronian auf der CCM4
Die Resonanz auf den diesjährigen Wettbewerb fiel überwältigend aus. Als im November 2004 Organisator Hans-Walter Schmitt, Mark Vogelgesang und der Autor dieser Zeilen erwogen, zu einer Chess960-Computer-WM einzuladen, erwarteten sie etwa zehn Engines. Diese sollten genügen, um frischen Wind in der von Eröffnungsbüchern und Endspieldatenbanken geprägten Computerschachwelt zu sorgen, dachten sich die Organisatoren. Die erste WM wurde so Ende 2004 angekündigt, damit sich die Schöpfer der Programme Gedanken zu einer Chess960-Teilnahme machen konnten. Schon nach etwa zwei Monaten zeichnete sich dann ab, dass mehr als 20 starke Engines an der WM teilnehmen werden. Somit stellt die Chess960-WM in der Rheingoldhalle auf Anhieb eines der größten Computerschachturniere der letzten zehn Jahre dar!
Computerschach und Chess960
Die Anzahl der „Postings“ über Chess 960 stieg im Computer Chess Club (CCC) erheblich, nachdem die ersten Chess960-Turniere in Mainz ausgefochten wurden. Der CCC (www.talkchess.com) ist die erste Anlaufstelle für Programmierer von Schach-Programmen. In diesem Forum wird lebhaft über alle möglichen Aspekte von Computerschach diskutiert, und es werden Ideen ausgetauscht. Eine Frage war besonders interessant: Warum gibt es eigentlich noch kein Programm, das in der Lage ist Chess960 zu spielen? Ist es wirklich so schwierig, die Chess960-Rochade in ein Schachprogramm einzupflanzen? Einige Programmierer nahmen die Herausforderung an, und vor etwa drei Jahren erschienen die ersten Chess960-Programme: Betsy des Amerikaners Landom W. Rabern und Chispa von Federico Andres Corigliano aus Argentinien. Nach und nach wagten andere Programmierer den Schritt. Vor rund einem Jahr konnten acht Chess960-Engines aus dem Netz gesaugt werden, darunter auch das bereits erwähnte The Baron. Nach den Chess Classic 2004 versuchten tausende Anwender dieses Programm herunterzuladen, so dass die Webseite von Pijl mehrfach zusammenbrach. Dies darf als Indiz gewertet werden, dass zahlreiche Schachspieler sehnsüchtig auf eine starke Chess960-Engine gewartet haben.
Stefan Meyer-Kahlen, Autor von Shredder
Viele starke Entwickler sprangen nach der WM-Ankündigung auf den nicht mehr aufzuhaltenden Chess960-Express und arbeiteten die besonderen Rochaderegeln in ihr Programm ein. „Es war gar nicht so schwierig, meinem Programm die Rochaderegeln beizubringen“, berichtet Tony van Roon-Werten schmunzelnd. Dem Entwickler von „XiniX“ gefällt es, „dass ich mich für die WM nicht um ein Eröffnungsbuch kümmern muss“. Er könnte es jedoch benötigen - wenn die berühmt-berüchtigte Stellung 518 ausgelost wird, muss eben die herkömmliche Stellung ausgefochten werden!
Mittlerweile haben auch einige Entwickler von Profi-Engines die von Bobby Fischer propagierte Variante entdeckt. Der Engländer Mark Uniacke, Entwickler von Hiarcs, meldete sich bereits in Januar für die WM an. Anfang Juli bestätigte auch Guru Stefan Meyer-Kahlen seine Teilnahme. Die Shredder-Programme des 37-jährigen Düsseldorfers räumten bereits neun Mal den Titel eines Computerschach-Weltmeisters ab (lesen Sie dazu auch das Interview mit Meyer-Kahlen).