Unterhaltung Carlsen schlägt Nakamuras Welt Souveräner Sieg der norwegischen Nummer 1
10.09.2010 - Es war keine Partie, die aufgrund ihrer hohen Qualität in die Geschichtsbücher eingehen wird, aber die G-Star RAW World Chess Challenge hat ihren Werbe-Zweck erfüllt. Die Nummer 1 der Weltrangliste Magnus Carlsen spielte gegen die gesamte Welt, wobei diese in erster Instanz von Judit Polgar, Hikaru Nakamura und Maxime Vachier-Lagrave vertreten wurde. Diese drei Großmeister schlugen unabhängig von einander ihre Züge vor, zwischen denen die Welt dann wählen musste. Carlsen erhielt die weißen Steine und hatte pro Zug 1 Minute Zeit zum Überlegen. Sobald der Norweger gezogen hatte, erhielten die drei Meister ebenfalls eine Minute, sich für einen Zug zu entscheiden. Danach hatte die Welt 1½ Minuten Zeit, über diese Züge abzustimmen, sofern die drei nicht alle den gleichen Zug vorschlugen. In diesem Fall musste natürlich nicht mehr abgestimmt werden. Beiden Seiten standen insgesamt drei „Time Outs“ zur Verfügung, mit denen man die Bedenkzeit für einen Zug um zwei weitere Minuten verlängern konnte. Woran die Welt von Beginn an litt, brachte Polgar nach der Partie zum Ausdruck, als sie sinngemäß den Spruch brachte: „Zu viele Köche verderben den Brei!“
G-Star RAW World Chess Challenge Magnus Carlsen vs. The World
Screenshot vom Live Stream Carlsen wuchtet stolz die schwere Trophäe
Die vielen "Köche" führten auch laut Nakamura bereits im zwölften Zug mit 12…cxd5? zu einem ernsten positionellen Fehler, nach welchem Carlsen sich schon klar im Vorteil sah. In der Folge spielte der Norweger eigentlich nur noch gegen einen chancenlosen Nakamura, denn was auch immer der Amerikaner vorschlug, die Welt folgte nahezu ausnahmslos nur noch seinen Vorschlägen. Bald gewann Carlsen den ersten Bauern und erhielt zudem eine überlegene Stellung. Außer ihm selbst hatten fortan nur noch Live-Kommentator IM Maurice Ashley und Star-Gast Garry Kasparov riesigen Spaß an der Partie. Besonders, als sich Carlsen im 28. Zug verpflichtet fühlte, mit 28.Sb6 nicht den sicheren sondern den spektakuläreren Gewinnweg zu wählen, war das illustre Kommentatoren-Duo begeistert. Während Kasparov längst sah, wie die Partie ausgehen würde und daher vehement die Aufgabe der Welt forderte, wusste Ashley, dass die drei Meister erst dann das Handtuch werfen würden, wenn es auch für alle (Schach spielenden) Zuschauer offensichtlich sein würde, dass es vorbei ist. Dieser Moment kam im 44. Zug, als Carlsen schon leicht gelangweilt und mit der weißen Dame in der Hand seinen a-Bauer nach a7 befahl.
Screenshot der G-Star Webseite - Links sieht man Magnus Carlsen
Garry Kasparov und Anatoly Karpov
Doch, das war durchaus eine amüsante Aktion des niederländischen Mode Labels G-Star, auch wenn man an der Umsetzung hier und dort rummäkeln könnte. Alles spielte sich über eine einzelne Webseite ab, auf welcher man sich leicht registrieren und dann mitmachen konnte. Zugleich gab es ein Live-Video von Carlsen aus dem New Yorker Penthouse (mit Traumblick über die Stadt, die niemals schläft) und wie bereits erwähnt, lachten und scherzten Ashley und Kasparov per Mikrophon um die Wette. Selbstverständlich durfte der 13. Weltmeister auch etwas Wahlwerbung für Anatoly Karpovs FIDE-Wahlkampf machen, aber der Zuhörer wurde damit nicht allzu lange drangsaliert.
Im Grunde hätte die Welt nur eine Chance gehabt, Carlsen zu schlagen, wenn dieser einen groben Fehler gemacht hätte. Vielleicht hätte man bei der Auswahl der drei Meister neben Nakamura „populärere“ und „angesehenere“ Spieler nehmen sollen. Polgar ist natürlich in allen Schachecken der Welt bekannt und beliebt, aber man traut ihr eben doch weniger zu als dem Amerikaner. Vachier-Lagrave ist ein bärenstarker 2700er, aber er hat noch keinen „besonderen Ruf“ in der Schachszene. Deshalb wurde es letztlich zum Duell Carlsen gegen Nakamura, was dem amtierenden Chess960-Weltmeister bestimmt nicht geschmeckt hat, denn er musste frühe eine Ruine verwalten. Schauen wir uns ein paar markante Stellen an:
Magnus Carlsen 2826 – The World
G-Star RAW World Chess Challenge E62 - Königsindisch
1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sf3 Lg7 4.g3 0–0 5.Lg2 d6 6.Sc3 Sc6 7.0–0 e5 8.d5 Se7 9.e4 c6?! Das ist ein sehr selten gespielter Zug. Wollte die Welt möglichst für die theoretischen Pfade verlassen? Das scheint im Nachhinein keine kluge Wahl gewesen zu sein. 10.a4 Lg4 11.a5
11...cxd5? Das bezeichneten post mortem sowohl Carlsen, als auch Nakamura und Polgar als klaren positionellen Fehler. Fortan spielt nur noch Weiß. 12.cxd5 Dd7 13.Le3 Tfc8 14.Da4 Se8 15.Sd2 Dd8 16.Db4 Sc7
17.Sc4?! Wenn es einen Punkt in der Partie gab, an welchem man Carlsen kritisieren könnte, dann für diesen schematischen Zug.
Nakamura schöpfte jedenfalls wieder Hoffnung, als er bemerkte, dass der Norweger einfach 17.f3! ausgelassen hatte. Wohin mit dem Läufer? Nach 17...Ld7 folgt 18.Dxd6+-
17...Sa6 18.Dxb7 Txc4 19.Dxa6 Tb4
Weiß hat einen glatten Bauern mehr, aber noch hat Schwarz ein paar praktische Chancen. Carlsen löst das Problem mit dem hängenden b-Bauer jedoch sauer. 20.f3! Auch jetzt ist dies der beste Zug. 20...Lc8 21.De2+- Man kann ohne Übertreibung festhalten, dass Weiß auf Gewinn steht. aber noch könnte er fehlgreifen! Also befahl Nakamura: Attacke! 21...f5
22.Dd2 La6 23.Tfc1 Db8?! Von Kasparov als praktische Chance gelobt und von Carlsen kritisiert, sperrt dieser Zug den Turm auf a8 fürchterlich ein. 24.Sa4 Sogleich spielt Carlsen mit dieser Tatsache. Was will der Springer?
24...Tb3 25.Tc3 Tb4 26.Tca3 Der schlechte Turm auf a8 hat es Carlsen angetan! 26...f4!? Objektiv nicht der beste Zug, aber immer noch besser, als sich langsam abschlachten zu lassen. Das sah Nakamura so und damit auch die Welt. Immerhin kommt es jetzt noch zu ein paar sehenswerten Schlagaktionen. 27.Lf2
27.gxf4 exf4 28.Lxf4 spielen Computer, weil sie sehen, dass Schwarz danach kein nennenswertes Gegenspiel hat.
27...Lh6!? Natürlich aus der Zocker-Kücher von Nakamura, ist dieser Zug eine Herausforderung an den Führenden der Weltrangliste. 28.Sb6! Für diesen Zug nahm sich Carlsen ein Time Out und gönnte sich zwei Minuten extra auf der Uhr.
28.g4! ist natürlich viel einfacher und sicherer, aber Carlsen wollte sehenswert gewinnen und ergreift mir dem Partiezug die Gelegenheit beim Schopfe.
28...fxg3 29.Dxb4 gxf2+ 30.Kxf2
30...Lc8!?
30...axb6 ist nicht besser wegen 31.axb6 Lb7 32.Txa8 Lxa8 33.Lh3+-. Weiß steht völlig überlegen, denn das wünschenswerte 33...Sc8 scheitert an 34.Lxc8 Dxc8 35.Dc3!, wonach Weiß entscheidend auf die 7. Reihe eindringt. Ein Dauerschach ist für Schwarz reine Utopie: 35...Dd8 36.Dc7 Dh4+ 37.Kg2 Dg5+ 38.Kh1+- Zocker und Trickser suchen sicherlich auch in solchen Stellungen noch nach möglichen Fallen, aber in der Realität ist Schwarz mausetot.
30...Lf4!? Schlug Vachier-Lagrave vor, doch auf ihn hörte schon längst keiner mehr. Carlsen gab im Interview diesen Zug als beste praktische Chance an, wobei er das starke 31.Lh3 geplant hatte. Schwarz hat nämlich keine Zeit, den Bauern einzustreichen, da nach 31...Lxh2 32.Db3! folgt. Nun ist der Springer nicht mehr gefesselt, was Sxa8 ermöglicht. Also 32...axb6 33.axb6 Lb7 34.Txa8 Lxa8 35.Ta7+- mit einer vergleichbaren Situation wie nach 30...axb6.
31.Tb3! Auch so erzwingt Carlsen das Schlagen des Springers. 31...axb6 32.Dxb6 Da7
32...Dxb6+ schlugen Vachier-Lagrave und Polgar vor. Einzig Nakamura scherte mit dem Partiezug aus. 33.Txb6 Ta6 34.Lf1!+- und Weiß gewinnt bald.
33.a6+- Der Rest ist für Carlsen nicht mehr als eine Fingerübung. Hier begann Kasparov, heftig nach Resignation zu rufen.
Was für ein Schlitzohr! Scheinbar übersieht Carlsen hier die Taktik 37...Sxd5, wonach der Springer wegen Lc5+ nicht genommen werden kann, aber 38.Tb8 und Pustekuchen! Stattdessen befindet sich das schwarze Kaninchen nun endgültig im Würgegriff der weißen Python! 38...Lc5+
Tricky sieht 38...Sb6 aus, aber nach einfach 39.Kg3 läuft es ähnlich wie in der Partie: 39...Lc5 40.Lh3 Kd8 41.Lxc8 Sxc8 42.Tc1+-
39.Kg3 Se7 40.Lh3 Kd8 41.Lxc8 Sxc8 42.Tc1 Tc7
43.Txc5! Eine schöne Kombination zum Abschluss, denn nach 43...Txc5 44.a7 ist endgültig Schluss. Die Welt gab sich geschlagen. 1–0