Chess960 „Ich bin zu alt für den Scheiß!“ 5 falsche Gründe, kein Chess960 zu spielen
01.11.2014 - Neulich machte ich einen befreundeten Schachspieler im Senioren-Alter mit beachtlicher Spielstärke auf die am kommenden Montag startende Offene Frankfurter Chess960 Stadtmeisterschaft aufmerksam. Die Reaktion hätte nicht ehrlicher ausfallen können, wie der Titel dieses Artikels vorwegnimmt. Dieses "Fischer-Schach" sei ja ganz interessant, aber das sollten mal lieber die jungen Leute spielen. Die könnten besser mit diesem Kuddelmuddel umgehen. Was bewegt einen mit allen Wässerchen gewaschenen Titelträger dazu, sich vor den Jüngeren so zu fürchten, dass er trotz Lust auf Schachspielen nicht zur Teilnahme zu bewegen ist? 5 auf den ersten Blick logische Gründe sind mir eingefallen, warum man Chess960 ablehnen könnte, und ich werde in der Folge versuchen, selbige stets mit einem Augenzwinkern zu widerlegen. Geben Sie es ruhig zu, wir Schachspieler lieben Widerlegungen!
NEU!!! Am 01. November hat ein neuer Jahrgang der Chess Tigers Universität mit 3 neuen Kursen begonnen!
I. „Ich bin zu alt für den Scheiß!“
Meine einfache Widerlegung für dieses deftige Argument lautet: Ferdinand Niebling! Mit 77 Jahren gewann der Senior vom SC Frankfurt-West anno 2012 die 3. Frankfurter Chess960 Stadtmeisterschaft und lies dabei eine beachtliche Anzahl an höher gerateten Spielern hinter sich. Ferdi legt seine Chess960-Partien zumeist recht positionell an und vermeidet frühe, taktische Scharmützel. Diese gediegene Herangehensweise an die Eröffnungsproblematik täuscht den Gegner nicht selten und verleitet zu übereilten Attacken. Doch reicht man Ferdi den berühmten kleinen Finger, ist der Arm schneller ab, als man "Ich gebe auf!" sagen kann!
Erst wurde in der Schlussrunde FM Behrang Sadeghi fachgerecht zerlegt...
...dann gab es von Turnierleiter Hans-Dieter Post den Pott
Schach hat seit je her Generationen verbunden, und das bisschen Erlernen der Rochaderegel ist weder in der Grundschule noch in der Jugend des Alters eine zu große Herausforderung. Chess960 erfindet das Rad nicht neu, und das führt uns automatisch zu:
II. Chess960 will das traditionelle Schach verdrängen!
Mir würde schon eine treffende Widerlegung dazu einfallen, aber zwei Mal ein böses Wort in einem Artikel muss reichen. Eine verheerende Außendarstellung, Präsi Kirsan Ilyumzhinov, egomanische Funktionäre, Korruption, Betrug durch technische Hilfsmittel, schwindende Mitgliederzahlen in den Verbänden, Streichungen der Schach-Fördermittel und jüngst seltsame Regeländerungen - all das sind Dinge, die das traditionelle Schach bedrohen. Aber bei allem Verständnis für das Wahren von Traditionen, Chess960 tut es nicht!
Levon Aronian und Viswanathan Anand - zwei Champions, die das traditionelle Schach über alle Maßen lieben - hier im packenden Duell um die 5. FiNet Chess960 Rapid World Championship bei der Chess Classic Mainz 2007. Aronian gewann damals hauchdünn im Tiebreak.
Oft genug wurde erwähnt, dass das traditionelle Schach nur ein Neunhundertsechzigstel von Chess960 ausmacht, aber alle anderen 959 Startpositionen (SP) darauf basieren. Die "SP 518" oder nur "518" oder noch professioneller die "Fünfachtzehn" ist das Herzstück von Chess960 und bei jedem Turnier ein beliebtes Thema. "Spielen wir die etwa, wenn die ausgelost wird?", steht bei den FAQs ganz oben. "Ja, natürlich!", lautet die Antwort eines pflichtbewussten Chess960-Turnierleiters in der Regel - gerne mit einem trockenen "Oder kannst Du etwa keine Theorie?" garniert. Und das bringt uns zu:
III. Chess960-Spieler sind nur zu faul, Theorie zu lernen!
Einst nervte Bobby Fischer das ständige Arbeiten an neuen Eröffnungsideen so sehr, dass er drohte, gänzlich die Lust am königlichen Spiel zu verlieren. Drum ersann er das "Fischerrandom Chess", welches unbedingt den Regeln des traditionellen Schachs unterliegen musste - also Rochaderecht (der König muss immer zwischen den Türmen stehen) und ein ungleichfarbiges Läuferpaar. Tatsächlich ist Chess960 ein gute Ausrede, wenn man keine Theorie lernen möchte, aber eine gewichtigere Tatsache ist, dass ein breites Eröffnungswissen bei der Fünfachtzehn sehr hilfreich für die anderen Startpositionen sein kann. Klugen Spielern gelingt es nicht selten, eine Chess960-Partie nach der Eröffnung so aussehen zu lassen, als hätte man mit der vertrauten Grundstellung 518 begonnen.
Wer noch immer denkt, Chess960-Spieler seien Eröffnungsmuffel, dem sei ein kleiner theoretischer Kniff aus einer fast schon berühmten Startposition verraten, die unter erfahrenen Chess960-Eröffnern längst ein alter Hut ist:
Wir befinden uns in der teuflischen Startposition "Dreisiebzehn", und Weiß hat mit 1.Sg3 begonnen. Sein Ansinnen ist blutrot eingezeichnet - er will auf g7 mattsetzen.
Wer das als Schwarzspieler gar nicht wahrnimmt und beispielsweise mit 1...Sg6 einfach spiegelt, hat nach 2.Sf5 schon ein Problem. Nach 2...f6 3.Sxg7+ Kf7 4.Sf5 bringt 4...Sf4 nämlich nicht den erhofften Gegenangriff, da Weiß nun 5.Se3! spielt, g2 deckt und neben dem Mehrbauern auch noch das Rochaderecht behält.
Wie soll Schwarz also auf die Mattdrohung nach Zug 1(!) reagieren? Muss er wirklich 1...g6!? spielen und damit gegen die Grundregel verstoßen, dem Eckspringer (nicht ohne Not) sein "natürliches" Entwicklungsfeld zu nehmen? Wenn dem wirklich so ist, dann aber bitte so clever wie möglich! Und siehe da, mit etwas Tüfteln kommt man auf 1...f6!. Eine Drohung so abzuwehren, dass sich zugleich Figuren entwickeln können (hier der Lg8), muss gut sein - wenn es denn taktisch funktioniert natürlich! An dieser Stelle sollte Weiß besser auf das verlockende 2.Sf5/h5 verzichten, denn erst dann antwortet Schwarz mit 2...g6!. Nach g7 darf der Springer nicht, weil er nach 3...Kf7 einfach weg wäre, also muss er sich wieder zurückziehen, und man kann feststellen, dass das dreimalige Ziehen des Schimmels das Versperren des Feldes g6 mindestens ausgleicht.
Wir sehen, Schwarz muss in dieser und in vielen anderen Startposition vom ersten Zug an hellwach sein! Klar, dass da der folgende Gedanke aufkommt:
IV. Manche Startpositionen sind forciert verloren!
Ja, dieser Verdacht kam gleich zur Anfangszeit von Chess960 auf. Hätte er sich bestätigt, wäre es eine niederschmetternde Nachricht gewesen, denn man hätte diese Startpositionen natürlich "entfernen" müssen, aber wer hat schon Lust, ein Spiel zu spielen, welches heute Chess960 und morgen vielleicht schon Chess951 heißt, weil Weiß in einigen Stellungen klaren Vorteil erlangt?
Ein Klassiker von Fränk Stiefel: Der 960-Schmitt
Wenn ich mich ohne Rücksprache richtig erinnere, lobte Chess960-Papst Hans-Walter Schmitt einst eine mittlere vierstellige Prämie aus, sollte es jemandem gelingen, eine "schadhafte" Startposition zu finden. Neben starken Weltklassespielern versuchten auch einige Computerexperten, das Kopfgeld zu gewinnen, aber bis heute erreichte uns nicht eine einzige stichhaltige Analyse. Selbst endlose Duelle zwischen den besten Chess960-Engines erbrachten in keiner Stellung einen deutlich größeren Vorteil als den, den Rechner auch bei der Fünfachtzehn erkennen. Und nun - mal ohne elegante Überleitung - folgt:
V. Ich will mich nicht blamieren...
Schach ist gnadenlos! Und ich muss Sie sogar warnen, denn beim Chess960 kommt im Vergleich noch eine weitere Gefahr hinzu: Der frühe Tod! Noch schlimmer, als eine lange Schlacht zu verlieren, ist es, noch vor dem 10. Zug aufgabereif zu stehen. "Das passiert doch nur Patzern!", höre ich den einen oder anderen Leser denken. Abgesehen davon, dass ich nach fast 30 Jahren Turnierschach nicht weiß, ab wann man offiziell ein Patzer ist, mögen Ihnen die folgenden Blamagen eine Warnung sein, einfach besser aufzupassen.
Überseher wie der folgende kommen sehr häufig vor:
Pfeiffer, A. (2070) - Korell, K.-P. (1781)
2. Gerling-Kreativ-Turnier (6), Berlin 2006
Wir befinden uns in SP 215, und die Partie begann zunächst vernünftig mit 1.d4 d5 2.2.g3 Lh3!? 3.Se3 c6 4.c3, aber dann wurde Schwarz das Opfer der ungewohnten Grundstellung und zog 4...Sd7??.
Weiß ließ sich nicht lange bitten und griff mit 5.Dxh7 +- nebst Doppelangriff auf Turm und Läufer zu. Klar, dass Schwarz aufgab.
Wie bitte, die Ratings der Spieler war Ihnen zu niedrig? Da kann ich helfen:
Almasi, I. (2440) - Fridman, D. (2562)
CCM6 - 5. FiNet Chess960 Open (7), Mainz 2006
Die Startposition lautet 701 - eine Zahl, die den Weißspieler garantiert noch eine Zeit lang verfolgt haben wird. Immerhin mit einem IM-Titel ausgestattet, unterlief ihm das folgende Desaster: 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sg3?? Lg5+ nebst Matt!!!
Wie bitte, die Ratings waren Ihnen noch immer nicht hoch genug? Da kann ich helfen:
Mamedyarov, S. (2755) - Kamsky, G. (2717)
CCM7 - 6. FiNet Chess960 Open (6), Mainz 2007
Ein buchstäbliches Weltklasse-Beispiel erwartet Sie aus SP 829 heraus. Der Aserbaidschaner Shakhriyar Mamedyarov ist dafür bekannt, gerne mal aus der Hüfte zu schießen und dabei den eigenen Fuß zu treffen. So begann er die Partie schon recht seltsam mit 1.d4 f5 2.f3 Sd6 3.c3 Sg6 4.f4? Diese Schwächung von e4 wird Weiß bald bereuen.
Der amerikanische Top-GM Gata Kamsky legte mit 4...Ld5! umgehend den Finger in die Wunde. Doch es sollte noch schlimmer kommen: 5.Df2 e6 6.Lb3 Le4+ 7.Sd3 Sh4 Schwarz steht bereits besser, aber dass die Partie nur noch zwei Züge sehen würde, damit hatte auch er nicht gerechnet. Weiß griff tatsächlich zu 8.g3??, um nach 8...Sg6 -+ verblüfft festzustellen, dass sein Springer auf h1 nun einfach weg ist! Natürlich gab er auf.
Alle Beteiligten wurden umgehend nach der Partie ärztlich versorgt und können heute wieder mit voller Freude zu den Figuren greifen. Wann immer Ihnen ein ähnliches Malheur widerfahren sollte, können Sie künftig die obigen Beispiele als Entschuldigung verwenden. Sie können es aber natürlich auch einfach wie echte Sportler nehmen und mit den Anderen lachen.
Na, noch immer Angst vor Chess960? Sie sind am Zug! Wenn ich Ihnen die Hand führen darf, klicken Sie auf den folgenden Link und melden sich sogleich zur Offene Frankfurter Chess960 Stadtmeisterschaft 2014/15 an! Die erste Runde beginnt am kommenden Montag.
Okay, okay, die Ausschreibung dürfen Sie sich schon noch ansehen! Bitte sehr:
Günstig erreichbar mit Auto (A66 Abfahrt Main-Taunus-Zentrum oder RMV
(S3 bis Bad Soden Bhf.), jede Menge kostenfreie Parkplätze in Laufweite bzw.
RMV-Haltestelle in unmittelbarer Nähe des Spiellokals
Spieltage
Montags im November am
03.
10.
17.
24.
und im Dezember am
01.
08.
und
15.
Rundenbeginn
Jeweils um 18.45 Uhr(!);
zur ersten Runde ist ein Erscheinen vor 18.30 Uhr Voraussetzung, denn das
garantiert den pünktlichen Turnierstart!
4 Ratinggruppen von
2100-1900; 1899-1700, 1699-1500, 1499 u. weniger mit je 1. Platz 50,-
Sonderpreise
(in Euro)
Je 50,- für die beste
Frau, den besten Senior, den besten Jugendlichen (Mindestanzahl: 3
Teilnehmer) und das beste 4er-Vereinsteam
Beste Partie
Für die Spieler der
gewählten besten Partie des Turniers gibt es jeweils einen Gutschein des
CTTC
Pokal
Der Sieger erhält einen
Wanderpokal
Urkunden...
...erhalten die Sieger -
und alle Teilnehmer ein persönliches Erinnerungsfoto!
Startgeld
(in Euro)
bis 27. Oktober 2014 25,-
Startgeld; danach 35,- Startgeld
GM/IM sind startgeldfrei, FM und Jugendliche 10€ Startgeld
Überweisung bitte für
Schachbezirk Frankfurt, Kontonr 6300030031 bei Volksbank Frankfurt; BLZ 501
900 00; Absender nicht vergessen, gilt als Anmeldung!
Meldeschluss
keiner!
IPS-Auswertung...
...liegt unmittelbar nach
der Schlussrunde vor, und es gehen weder DWZ noch ELO verloren!
Info/Anmeldung
Per
email an HansDPost@aol.com, per Fax
(06171-59612) oder mit Postkarte an Hans D. Post, Postfach 1412, 61404
Oberursel, Tel.:06171-59611,
Partienotationen...
...werden auf diesen
Internetseiten veröffentlicht.
Bemerkungen
Der beste Spieler aus
einem Verein des Bezirkes 5 ist gleichzeitig Bezirks-Einzelmeister im
Chess960!