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Chess Classic
Chess Classic – Vertreibung aus dem Paradies?
Organisator Hans-Walter Schmitt im großen Chess Tigers-Interview
28.04.2011 - Gäbe es in diesem Jahr eine Chess Classic, sie befände sich just in ihrer heißesten Vorbereitungsphase. Doch bekannte Umstände, welche wir in dem Bericht "Ende einer Ära" ausführlich dargelegt haben, führten dazu, dass der Welt größtes und stärkstes Schnellschach- und Chess960-Event nicht mehr stattfinden wird. Grund genug, den Erfinder und Organisator der Chess Classic, Hans-Walter Schmitt, persönlich zu Wort zu bitten und ihm einige Interna zu entlocken. In dem folgenden, ausführlichen Interview erklärt sich der Vorsitzende der Chess Tigers so offen wie nie zuvor, lässt die Historie der Chess Classic anhand markanter Ereignisse Revue passieren und spricht über sein aktuelles Projekt - dem Chess Tigers Training Center - welches für den Bad Sodener längst zur Berufung geworden ist.

Mike Rosa (MR): Herr Schmitt, Sie waren 17 Jahre der Organisator der Chess Classic, leider wird es kein 18. Jahr geben. Quasi vor der Volljährigkeit mussten Sie kürzlich bekannt geben, dass die finanzielle Basis in Form von ausreichenden Sponsorengeldern fehlt. Die weltweite Reaktion ist einhellig, man bedauert dies allerorts und wünscht sich, man wäre in den vergangenen Jahren (öfter) dort gewesen. Wie schwer ist Ihnen der Schritt gefallen und wie gehen Sie mit den zahlreichen „Beileidsbekundungen“ um.

Hans-Walter Schmitt (HWS): Der markanteste Kommentar, der mir länger im Gedächtnis verweilte, war: „Linares tot, Monaco tot, Schmitt tot…“ . Der Verfasser stellte die Person „Schmitt“ in ein zu bedeutendes Licht, richtig ist, dass die Chess Tigers und ihre Freunde, die Sponsoren und die Teilnehmer für das Gelingen dieser Veranstaltung standen! Sicher wollte der Kommentator nur zum Ausdruck bringen: „Geteiltes Leid ist halbes Leid!“ Dass die Chess Classic so zu Ende gehen muss, bedeutet nicht, dass die Ideen oder der Charakter der Veranstaltung schlecht waren, die Realisierung dilettantisch oder zuschauerfeindlich war, nein, ganz und gar nicht, die Projektlaufzeit in Frankfurt waren ansehnliche 7 Jahre, die in Mainz eine volle Dekade, ich habe selten Projekte in meinem Leben gemacht, die ähnliche Dauer, Spannungen und Erfolge verbuchen konnten, mal abgesehen von meiner Ehe und meinen Aufgaben bei Siemens.

Hans-Walter Schmitt bei seiner letzten Chess Classic Ansprache

MR: … aber es waren doch sicher auch Stimmen dabei, die ehrlich mit Ihnen fühlten, die Situation bedauerten und dies auch mit Vehemenz artikulierten?

HWS: „Beileids- und Mitleidsbekundungen“ habe ich mir strikt verbeten, Lob und Tadel für das Geleistete, für meine Mannschaft und mich gerne verbucht. Mittlerweile habe ich alle E-Mails gelesen, die ich zuerst unbeantwortet in einen Ordner legte. Die Worte der wichtigsten Hauptakteure und Großmeister der Chess Classic beeindruckten mich sehr, ebenso die unverblümt positiven Stellungnahmen einiger internationaler Journalisten aus Spanien, Mexiko, England, Holland und Russland, aber am meisten beeindruckten mich die Zuschriften einiger privater, von mir teilweise unbekannten Personen, die ihre Sorge um die Zukunft der Chess Classic in fundierte Vorschläge zur Organisation und Finanzierung münden ließen. Bis zu 5000,- Euro wollten sie privat beisteuern, nur dafür, dass es weitergeht. Alles hilfsbereit und großzügig gemeint, aber ohne das Gesamtvolumen der Aufwendungen für Spieler, Hotels, Technik und Mieten einer solchen Veranstaltung zu kennen, wäre es lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen.

MR: In Ihrer Presseerklärung zitieren Sie Vladimir Kramniks Worte von 2001, als dieser zu seinem Duell mit Viswanathan Anand befragt wurde: „Nicht so wichtig, es ist ja nur Schnellschach.“ Vereinzelt wurde ihnen dafür ein gewisser Zynismus unterstellt. Solche Worte hört der Veranstalter des weltweit bekanntesten Schnellschach-Events natürlich nicht gerne, aber liegt Kramnik im Nachhinein vielleicht richtig? War es doch „nur“ Schnellschach?

HWS: So eine Frage kann nur ein Schachspieler stellen und solch eine undifferenzierte Antwort kann auch nur ein sich seiner Position als Weltmeister nicht bewusster Schachspieler einem Hauptsponsor geben. Entweder charmant schweigen oder verantwortungsvoll differenzieren: „Leben und Leben lassen, gilt auch im Schachmarkt“. Der Weltmeister, wie alle Spitzenspieler, hat mehr Verantwortung zu übernehmen für das ganze Wohl des Schachs und er hatte keinerlei Veranlassung über Schnellschach so zu reden, nur weil er in sieben Anläufen die Chess Classic niemals gewinnen konnte, obwohl er damals amtierender Weltmeister war und heute noch einer der stärksten Schnellschachspieler der Welt ist. Oder wollte er nur seinen Gegner Viswanathan Anand irritieren, wofür letztendlich der Veranstalter am Ende teuer bezahlen musste? Was hat da meine Aussage mit Zynismus zu tun? Die ohnehin kleine Schachwelt in der Welt des Sports und der Gesellschaft braucht dringend die Kontakte, die Impulse und die Brücken, die das „Ghetto“ Schach mit dem öffentlichen Leben in der Gesellschaft verbinden. Hochklassige Schnellschachevents mit dem charakteristischen Element „Entertainment“ und die Verständigung mit den Zuschauern mittels Bewertungsanzeige gehören genauso dazu, wie Aktivitäten im „Schach in der Schule“, „Schachtraining im Club“, „Schach im Fernsehen“ oder via „Video im Internet“. Wir Schachspieler haben dies hauptsächlich zu verantworten, dass das Schachspiel nicht begeisternd übertragbar ist. Froh kann man nur sein, dass die Klage der Sofioter WM-Veranstalter 2010 gegen ChessBase vor einem Oberlandesgericht in Berlin kein Gehör gefunden hat. Es hätte das „Ghetto“ des Schachbetriebs bei hoher Anerkennung des Genre Schach weiter zementiert. Erfreulicher ist da die Entwicklung in Armenien, wo unlängst Schach ordentliches Schulfach wurde. Wir müssen Schach verständlicher und unterhaltsamer präsentieren, nicht nur für die Leute im eigenen Schachdenken und -handeln.

MR: Sie sind also immer noch richtig sauer auf Kramnik und stellen Ihn als verantwortungslosen Sponsorenvertreiber der Chess Classic hin?

HWS: Keinesfalls! Ich beschreibe nur die eine Situation so, wie Sie mir im Jahre 2004 von dem damals scheidenden Vorstandsvorsitzenden eines Sponsors am Rande seiner Verabschiedung mitgeteilt wurde - mit dem augenzwinkernden Kommentar: „Schlechter Vertriebsmann“. Ich schätze Vladimir auch heute noch sehr hoch, er ist Ehrenmitglied bei den Chess Tigers, ich habe klar für ihn Stellung bezogen - nach und während seines WM-Kampfes 2006 in Elista gegen Topalov - und letztes Jahr hat er sogar meinen besten Freund Viswanathan Anand im WM-Kampf gegen Topalov in Sofia mit seinem Katalanisch-Wissen wesentlich unterstützt. Den Fall sehe ich eher als exemplarisch an, wie er sich zwischen Veranstaltern, seinen Sponsoren und seinen Superstars situationsbedingt entwickeln kann. Der jüngste Fall der Schachgeschichte zeigt mit Magnus Carlsen, Malcolm Pein und der geplanten WM 2012 ähnliche Parallelen auf. Klassisch ist auch das Beispiel Kasparov/PCA und Pentium/Intel.

MR: Geben Sie uns doch wenigstens einen kleinen Einblick in die Welt dieser anspruchsvollen Aufgabe, Sponsoren für Schach zu begeistern!

HWS: Man muss eine vernünftige Relation zwischen Investment und „Return of Invest“ finden, welches man natürlich nicht in aller epischen Breite mit der Presse und allen Beteiligten im Vorfeld ausdiskutieren kann. Eine meiner Stärken war, situationsbedingt gut zu antizipieren und dem Sponsor und den Top-Stars der Schachszene zuzuhören, um eine mögliche Erfolgsstory für den Veranstalter und alle Beteiligten zu entwickeln. Ich will nicht sagen, dass Kalkül und Strategie entscheidend waren, sondern eher doch die Flexibilität, die Intuition und der liebe Zufall. Die Leidenschaft bis hin zur Besessenheit setzten große Energien frei. Chancen aufspüren und Chancen wahrnehmen sind unterschiedliche Kategorien. Das folgende Beispiel hat diffizile Facetten, ist aber doch leicht nachzuvollziehen:

Im Jahre 1997 entschieden wir uns für eine langfristige Strategie. Der potenzielle Teilnehmer „Fritz on Primergy“ – ChessBase Software auf Siemens Hardware – sollte im „Open“ mit ernsthaften Siegaussichten an den Start gebracht werden. Wir wollten ihn eigentlich als vermeintlichen Sieger durch die Instanzen „Open“ und „Masters“ schließlich ins „Giants“ sich durchqualifizieren lassen, also quasi als „Katalysator“, damit er aufs Allereinsichtigste dem Sponsor ChessBase und Siemens verdeutlichen würde, was der Gegenwert für ein angemessenes Sponsoring in Zukunft ist. Uns schwebte ein Top10-Turnier im Jahre 2000 in Frankfurt vor. Ein 4-Jahres-Plan mit einer Menge Imponderabilien – eine echte Herausforderung!

Das von den vier Hauptakteuren signierte Poster der Frankfurt Chess Classic 1997 - Dieses und die Poster sämtlicher Chess Classics können Sie in Kürze bei den Chess Tigers erwerben. Wir informieren Sie darüber auf dieser Seite.

Gesagt, getan, beide Sponsoren puschten ihre Produkte aufs Höchste und wir veranstalteten 1998 erstmals ein Match Anand gegen „Fritz on Primergy“, das vom besten Computer- und Schnellschachspieler der Welt Anand 1,5:0,5 gewonnen wurde. Die Marketingabteilungen der beiden Firmen waren noch skeptisch, aber als es dann im Open zum Sieg der Maschine kam, waren die Mittel für die nächste Chess Classic so gut wie genehmigt. Während der Veranstaltung 1998 wurde ich dafür äußerst unflätig von vielen Großmeistern im Open kritisiert und besonders mein heutiger guter Freund Rustem Dautov, der führend in der letzten Runde dem Computer nach großem Kampf unterlag, zweifelte am Konzept und meinem S(ch)achverstand. Ihm gehörten die Sympathien, ich bekam die Buhrufe, der Sieger hieß trotzdem „SCHACH“. Sogar einige der Ratingpreisträger ließen kein gutes Haar am jungen Veranstalter, obwohl „Fritz on Primergy“ bei der Siegerehrung auf seinen 1.Geldpreis verzichtete.

Die erste Etappe war geschafft, die Maschine spielte 1999 das Masters und ein Match gegen den Chess Classic Champion von 1998 Anand. Und wieder blieb der beste Schnellschachspieler der Welt gegen die Maschine 2,5:1,5 siegreich. Noch nie sah ich die russischen „K“s und Giants-Teilnehmer Kasparov, Karpov und Kramnik ihren Kollegen aus Indien gemeinsam so frenetisch bejubeln. Dem Verteidiger der Menschheit wurden 13 Minuten des „Aktuellen Sportstudios“ zuteil und er besiegte sogar Vitali Klitschko an der Torwand mit 1:0. Die Sponsoren waren nicht nur von dieser Publizität begeistert, sondern auch von der Leistungsstärke ihres „Fritz on Primergy“ nachdem er im Masters mit 9,5 Punkten aus 14 Spielen vor den Großmeistern Morozevich, Adams, Svidler, Topalov, Leko, J. Polgar und Lutz gewonnen hatte.

Die zweite Etappe war also auch mit Bravour geschafft und die Zuschauer, sowie die Teilnehmer begannen, das Konzept der Chess Classic zu verstehen und zu akzeptieren. Der kalkulierte und erhoffte Durchmarsch ihres Teilnehmers „Fritz on Primergy“ hatte die Sponsoren ChessBase und Siemens so nachhaltig begeistert, dass das bestbesetzte Schachturnier aller Zeiten im Jahre 2000 den Medienhöhepunkt setzte und zum ersten Mal die lebenden „Top Ten“ der Schachwelt an einem Ort versammeln sollte. Wobei die besten 6 Spieler der Welt-Elo-Rangliste im „Giants“ ein doppelrundiges Turnier an 4 Tagen spielten und jeweils 2-Partien-Mini-Matches gegen „Fritz on Primergy“ zwei Tage davor bestreiten sollten. Anand, Kramnik, Shirov, Leko und Morozevich akzeptierten und verstanden das Ansinnen des Veranstalters mit dieser gemeinsamen Story. Der damals amtierende Schachweltmeister und „Schachgott“ Garry Kasparov versagte aber dem Veranstalter mit seinen Hauptsponsoren diese zwei „Schnellschachpartien“ und bot ersatzweise ein vielbeachtetes Simultan an 40 Brettern an. Die echten Schachliebhaber waren begeistert ob dieser Gunst des großen Weltmeisters, der Hauptsponsor sagte Dankeschön und setzte das vorher in Aussicht gestellte Sponsoring in den nächsten Jahren nicht mehr fort.

Das Pech für die verwöhnten Frankfurter Veranstalter der letzten Jahre bedeutete das Aus der Chess Classic in Frankfurt. Das Glück der Veranstalter war damals, dass eine Mainzer Delegation um den schachbegeisterten Oberbürgermeister Jens Beutel herum, Schnellschach als Imagefaktor und prestigeträchtige Veranstaltung der nächsten Jahre in Mainz erachtete. Schnell war das neue Konzept entwickelt: Der in Bad Soden am Taunus im Juli 2000 gekürte Schnellschachweltmeister Anand sollte vom im Oktober 2000 in London ausgespielten klassischen Weltmeister gefordert werden. Kein Zweifel bestand daran, dass das 10-Partien-Match in Mainz 2001 Anand gegen Kasparov heißen würde, aber es kam anders. Der Gegner des heutigen Weltmeisters Viswanathan Anand hieß Vladimir Kramnik. Die Begegnung zweier Weltmeister also, denn Vishy war zuvor schon in Neu Delhi / Teheran Fide-Weltmeister im Knockout-System geworden. Die Begegnung der an der entscheidenden Startphase der Chess Classic 1994 und 1995 beteiligten aufstrebenden jungen Schachstars setzte 2001 in Mainz den Startpunkt der großen Matches!

Das Poster der ersten Mainzer Chess Classic

Der Mainzer OB Jens Beutel 2010

MR: Wie erklären Sie sich den Rückzug beziehungsweise das Fernbleiben von Sponsoren? Haben Sie Ihre bekannte Überzeugungskraft verloren.

HWS: Wenn sich die Ziele von maßgeblichen Sponsorengruppen und deren handelnder Personen in Mainz verändern, was nach zehn Jahren jährlichem Schacherfolg für die Stadt Mainz und auch für die Chess Tigers kein ungewöhnliches, sondern eher ein ganz normales Geschehen ist, müssen Entscheidungen getroffen werden. Diese haben wir gemeinsam und einvernehmlich getroffen und im Januar als Pressemitteilung herausgegeben. Mit großem Einsatz haben wir um potentielle Sponsoren geworben, leider diesmal ohne Erfolg. Wir konnten die Schnellschach-Weltmeisterschaft und das größte Schnellschach-Open der Welt nicht an den Sponsor bringen, mal ganz zu schweigen von unserem „Superbaby“, Bobby Fischers Idee Chess960. Ich hatte ein ungutes Gefühl, dass etwas Gegenläufiges immer im Raum stand mit dem sich verdichtenden Eindruck: „Wenn die Mainzer nicht mehr ihr Turnier wollen, werden wir auch unser gutes Geld nicht nach Mainz tragen.“ Auch der Versuch, außerhalb von Mainz einen Sponsor zu gewinnen, der seit langem ein großes Engagement für die klassische Musik pflegt, hinterließ bei mir die Einsicht, dass zu seinem Unternehmen eher das klassische Schach passen würde! Vielleicht gibt es ja in ein bis zwei Jahren eine Chance auf ein zweites klassisches Turnier in Deutschland. Natürlich ist es angenehmer für alle Beteiligten, eine kontinuierliche prosperierende Fortsetzung zu verkünden, als ein sich seit über einem Jahr für Kenner abzeichnendes Ende. Dem Mainzer OB Jens Beutel und mir war es wichtig, aktiv handelnd die Chess Classic erhobenen Hauptes zu beenden, als ein langsames Siechtum über Jahre hinweg zu begleiten. Alles hat seine Zeit, die Zeit der Chess Classic in Mainz ist vorbei. Meine Liebe zum Schach, meine Überzeugung für das Schach und mein Krafteinsatz im Schach bleibt davon unberührt, obwohl letztgenanntes nicht mehr beliebig abgerufen werden kann. Beim Rückblick auf das Chess Classic Projekt bleibt als nachhaltigster Eindruck mein Respekt für unsere Sponsoren, mein Dank an die Teilnehmer und meine Bewunderung für meine langjährigen Begleiter. Innovation in der Entwicklung und Präzision in der Realisation waren neben Fleiß und Teamgeist die Hauptmerkmale der Chess Tigers Familie.

Der Anblick der vollen Rheingoldhalle wird uns allen fehlen

Und auch die hell erleuchtete Bühne der Abendveranstaltungen

MR: Was machen Sie Anfang August 2011?

HWS: Vielleicht spiele ich das Open und ein Chess960-Turnier in Baden-Baden mit. Eine andere Variante heißt Bretagne, wo ich seit 1995 nicht mehr war - hier reifte damals meine Einsicht, mich für Schach noch mehr zu engagieren. Meine Frau ist in letzter Zeit zunehmend besser gelaunt, weil die Perspektive im August nicht mehr alternativlos Chess Classic heißt. Damit möchte ich natürlich nicht ausdrücken, dass sie alleine froh ist, dass das Projekt zu Ende ist, ich bin es im Grunde genommen auch, weil ich weiß, dass etwas Neues nur beginnen kann, wenn man zuvor etwas Altes beendet. Unser neues Projekt im Chess Tigers Training Center „Lernen und Spielen“ macht immer mehr Spaß und verspricht, für alle Beteiligten ein Erfolgsmodell zu werden und wird mich im Alter jung halten.

MR: Als Rekord-Champion hätte Anand in diesem Jahr eine Wildcard für die Schnellschach-WM erhalten und bestimmt war er ganz heiß darauf, sich seinen Titel von Gata Kamsky zurückzuholen. Wie hat er reagiert, als Sie ihm sagten, dass er in diesem Jahr keine Revanche erhält?

HWS: Sicher wäre meine favorisierte Besetzung Kamsky, Anand, Aronian und Carlsen gewesen. Gata Kamsky hatte sich schon riesig gefreut, seinem Erzrivalen Anand wieder zu begegnen, obwohl er die Chess Classic hauptsächlich wegen dem Angebot, Chess960 zu spielen, liebte. In der Chess960-WM wäre Nakamura als Titelverteidiger und Grischuk als Herausforderer gesetzt, Svidler und Naiditsch hätten gute Karten auf eine Wildcard gehabt. Anand war von Anfang an, spätestens seit Mainz 2001 immer gut informiert über unsere Vorhaben und ein hervorragender Berater und Mitgestalter. Er hat schon 1998 durch seine Bereitschaft, „Fritz on Primergy“ zu spielen, eigentlich den entscheidenden Impuls gegeben, dass die Chess Classic groß werden konnte.

Ich kenne meinen Freund Vishy sehr gut und ich traue ihm alles am Schachbrett zu, sowohl im Blitzen, als auch im Schnellschach, sogar im Chess960, egal in welchem Turnier und Ort auf der Welt. Doch seit Mexiko-City 2007, spätestens seit Bonn 2008 hat das klassische Schach und die Konzentration auf die WM-Kämpfe allerhöchste Priorität bei ihm. Ich habe früher nicht ganz nachvollziehen können, was der Titel mit dem werdenden und dann amtierenden Weltmeister macht. In den letzten paar Jahren habe ich die Vorbereitung auf diese Matches und die WM-Kämpfe selbst begleitet und intensiv miterlebt. Jetzt erst kann ich Vladimir Kramniks ehrlich gemeinten Worten aus 2001 „es ist doch nur Schnellschach“, besser verstehen und leichter verzeihen, trotzdem hätte er als Profi und Freund schweigen müssen, was Anand sicher heute tun würde.

MR: Sie gelten als jemand, der stets daran glaubte, dass man Schach publikumswirksam auch außerhalb der Schachwelt präsentieren kann und haben sukzessiv Jahr für Jahr bei der Chess Classic mit ihren Partnern und Freunden gezeigt, was Sie damit meinen. Haben Sie sich doch geirrt? Ist Schach doch eine intellektuelle Randsportart bzw. wird es immer bleiben?

HWS: Es gibt keine grundlegenden Argumente oder Tatsachen, die gegen das öffentliche Interesse am Schach wirken. Schach bietet eine hochinteressante Form als Spiel mit Unterhaltungswert, auch von Laien verfolgt, großes Interesse zu finden. Wir zeigten dies mit den Bewertungsanzeigen und reichlich Kommentatoren vor Ort, wobei die schwächeren Spieler bzw. Laien ganz einfach verfolgen konnten, wie es momentan steht, wer am Gewinnen ist und wie der Spielverlauf war und dabei tickt die Uhr und tickt und tickt, der Spieler muss einfach nur spielen und der Zuschauer, ohne die Tiefe der Partie zu verstehen, sie ergebnisorientiert verfolgen. Was machten denn die Journalisten und die Fachleute in Sofia vor Ort? Heimlich mit Schachprogrammen die Partie verfolgen, genau wie die Zuschauer im Netz. Die wenigen Zuschauer im Turniersaal hatten natürlich auch ihr Vergnügen, weil Sie ohne irgendwelche optischen oder akustischen Hinweise und Hilfen das Spiel jungfräulich miterleben konnten. Wenn wir jeder Zuschauerkategorie geben, was sie sich wünscht, hat Schach eine große Chance. Wenn wir den Spielern und ihren Gehilfen Funktionären das Spiel allein überlassen mit der Maßgabe „Zuschauer und Sponsoren stören nur, aber sie sollen trotzdem zahlen“, finde ich das bei Amateuren genauso daneben wie bei Profis. Wer Eintritt zahlende Zuschauer und Geld gebende Sponsor haben will, muss diesen Kundengruppen auch etwas Adäquates dafür zurückgeben.

Ich kann mich an einige Wettkämpfe und Partien bei der Chess Classic gut erinnern. Der Wettkampf Anand – Polgar mit acht entschiedenen Partien war an Dramatik kaum zu überbieten. Auch die entscheidende 8. Partie aus dem Wettkampf Anand - Ponomariov mit Anands doppeltem Springeropfer ließ bei manchen Zuschauern den Atem stocken. Atemlose Stille wechselte mit unwillkürlichem Raunen der Menge. Wollen wir das den Zuschauern denn vorenthalten und andauernd Retortenschach anbieten? Sollen Zuschauer und Fans mitsamt der ganzen Schachzunft nicht mehr die Chance bekommen, die Stars so hautnah wie in Mainz zu erleben? Gönnen wir den Topstars unserer Branche jeden Abend 500 -1000 (oder mehr) gut informierte und unterhaltene Zuschauer vor Ort! Es kann aber auch einfach sein, dass die Veranstalter der Chess Classic das gleiche Schicksal widerfahren ist, wie der ersten Generation von Auswanderern nach Amerika: „Der ersten den Tod, der zweiten die Not und der dritten das Brot“. Es gilt also, in die dritte Generation der Schnellschach-Veranstaltungen zu kommen.

MR: Was wird bei Ihnen als „tiefster“ Eindruck oder „größte“ Zufriedenheit der letzten 17 Jahre von der Chess Classic hängenbleiben!

HWS: Es sind neben den vielen besonderen Momenten drei Dinge, die mich nachhaltig sehr zufrieden stellen:

1. Die entstandene Freundschaft zu Viswanathan Anand, die sich 1996 auf seine Frau Aruna und meine Frau Cornelia erweiterte und mit der Geburt ihres Sohnes Akhil jetzt am 9. April ein weiteres Mitglied bekommen hat – vielleicht kann ich ihm ja später mal in der „B9“ Skandinavisch beibringen!

2. Dass es uns gelungen ist, aus dem Nichts heraus Schnellschach vorzeigbar und für Zuschauer in der Breite und Spitze gemeinsam erleb- und genießbar zu machen. Die Teamleistung der Chess Tigers wird man erst später richtig würdigen und einschätzen können.

3. Die Entwicklung eines kompletten Spielsystems Chess960, die Ideen des 11. Weltmeisters Robert James „Bobby“ Fischer in Mainz innerhalb weniger Jahre Realität werden zu lassen. Die Arbeit ist getan, wobei sich der Charakter des Spiels wie geplant dabei nicht verändert hat, nur die Vorbereitung auf die Partie ist anders geworden und attraktiver für „Wenigzeitinhaber“.

Der persönliche Lohn von 17 Jahren Chess Classic ist
für Schmitt die innige Freundschaft mit Anand...

... und Aruna

MR: …und was ärgert oder störte Sie am meisten?

HWS: Ja, da könnte ich auch drei Dinge nennen, die mich nicht stören oder ärgern, sondern eher, dass ich die nicht erleben konnte:

1. Dass ich Robert James „Bobby“ Fischer nie von Angesicht zu Angesicht begegnen konnte und ihn trotz großer Anstrengungen für die Verbreitung „seines“ Schachs nicht in unserer Chess Classic präsentieren konnte und durfte!

2. Dass durch Schnellschach-Tiebreaks mittlerweile „Klassische Weltmeisterschaften“ entschieden werden, wie in Elista zwischen Kramnik und Topalov, aber wir Schachspieler dem Schnellschach seine „Wertigkeit“ durch mangelnde Elo-Auswertung und damit Anerkennung verweigern oder zumindest absprechen. Dabei kann dieses kurzweilige Schach viel leichter die Brücke zu Interessenten und Kunden in der offenen Gesellschaft schlagen. Wir Schachspieler müssten einfach nur sagen: „Schach ist okay!“ und nicht nur „Langsames Schach ist okay!“

3. Dass es mir nicht gelang, engagierte Nachfolger für die Urgesteine der Chess Classic, Schatzmeister Jürgen Wienecke und mich selbst aufzubauen, die das Traditionsbewusstsein und den Innovationsanspruch fortführen.

MR: Anand wird (nach heutigem Stand) 2012 seinen WM-Titel in einem Match verteidigen. Aufgrund von „Unstimmigkeiten“ zwischen Malcolm Peins „Chess Promotion“ und der Fide zog London seine Bewebung um die Ausrichtung zurück. Wo glauben Sie, wird das Match stattfinden? Käme nach 2008 vielleicht auch Deutschland wieder in Frage?

HWS: London hätte mir schon sehr gut gefallen, aber man muss erst einmal abwarten, was in Kasan passiert und wer der nächste Herausforderer wird. Auf jeden Fall wird GM Klaus Bischoff aus dem Training Center „B9“ heraus die Kandidatenkämpfe live kommentieren, mittags um 13:30 Uhr geht’s immer los! Erst danach kann man die Interessenlage des Gesamtprojektes WM 2012 besser einschätzen. Wo dann das größte Interesse besteht und die Basis für das entsprechende Investment sich ergibt, bestimmt dann letztendlich, wo gespielt wird. Wenn zum Beispiel wieder Vladimir Kramnik der Herausforderer wird, hat Bonn sicher eine Chance, vorausgesetzt man findet einen potenten Sponsor wie Evonik & Gazprom das letzte Mal. Bei Veselin Topalov wäre wieder der EU-Staat Bulgarien mit seiner Hauptstadt Sofia eine gute Alternative und bei Aronian könnte man sicher in Armenien Geld vermuten, welches gleichzeitig das Schulschach weiter mit einem einheimischen “Hero“ ankurbelt. Vielleicht wird diesmal auch Indien bei der Vergabe mitbieten! Hoffentlich kommt die Fide (Ilyumzhinov) nicht wieder mit einem abstrusen Vorschlag, wie Libyen, Iran oder Afghanistan!

MR: Hätten Sie es gerne gesehen, wenn Magnus Carlsen im WM-Zyklus geblieben wäre und dann nach aller Voraussicht der einschlägig bekannten Experten sich durchqualifiziert hätte und damit Herausforderer geworden wäre?

HWS: Ja, natürlich hätte ich gerne den „WM-Kampf der Generationen“ gesehen und miterlebt, wobei ich Anand und Carlsen auf einem Niveau gesehen hätte. Doch Papa Anand und sein Team hätten das schon gerichtet, auch wenn Carlsen mit Weltmeistersekundant Kasparov angetreten wäre. Einen kleinen Sohn zu haben, gibt noch einmal eine Menge Schubkraft und bringt frischen Wind und Motivation bei den Eltern.

MR: Werden Sie wieder Teil des „A-Teams“ sein?

HWS: Natürlich stehen ich und die Chess Tigers wieder zur Verfügung. Persönlich würde ich am liebsten während des WM-Kampfes den kleinen Akhil hüten, damit Aruna mehr Zeit hat, im Turniersaal wieder stundenlang mitzufiebern. Egal welche Aufgabe für mich anfällt, ich werde gerne wieder dabei sein!

MR: Ihr jüngstes Projekt ist das Ches Tigers Training Center. Seit circa einem Jahr gibt es diese Einrichtung nun im Herzen von Bad Soden am Taunus, welches Sie zusammen mit IM Dr. Erik Zude leiten. Wie läuft es und was haben Sie weiter vor?

HWS: Die Erfahrungen des letzten Jahres haben uns sehr geholfen, ideologische Vorstellungen und Wünsche von konkreten Projekten zu trennen, dabei haben sich drei Säulen besonders herausgebildet:

1.“Lernen und Spielen“ in der B9, offene Turnierserien, vielleicht zukünftig auch geschlossene Normenturniere, besonders für Jugendliche, Kommentierung von Weltereignissen mit GM Klaus Bischoff, Seminare mit anerkannten Trainern, wie jetzt am 30. April und 1. Mai mit GM Dr. Karsten Müller, wöchentliche Trainingsgruppen mit 2 bis 8 Teilnehmern neben Einzeltraining mit IM Dr. Erik Zude.

2. Unsere auswärtigen Schulschachangebote in der Anna-Schmidt-Schule in Frankfurt und dem Schulkinderhaus GSS in Schwalbach ausbauen. Hierfür suchen wir dringend Trainer, die pädagogisch gut drauf sind und das CTTC-Konzept mit 240 vorhandenen Lektionen umsetzen können, auch erziehungsstarke Senioren aus erfolgreichem Berufsleben sind bevorzugt herzlich eingeladen dazu!

3. Unsere Angebote aus der Chess Tigers Universität (2000 Lektionen) ergänzen und auf nachhaltige Anwendung modernisieren.

Dabei möchten wir die „B9“ (Brunnenstraße 9 in Bad Soden am Taunus) als Begegnungsstätte, Treffpunkt und Fluchtort für das Schach betrachtet wissen und auch verloren gegangene Gruppen in der Gesellschaft wieder ansprechen, zumindest aber über den „Steigbügel“ Schulschach erreichen, besonders in der Grundschule. Wenn sich dann später aus der Breite heraus eine Spitze entwickelt, sollte sich das am Vorbild von Weltmeister Anand, der auch ab und zu in der „B9“ mit seinem Team trainiert, sicher als günstig erweisen und für die einzelnen Vereine in der Umgebung Trend umkehrend für Belebung sorgen.

Das Chess Tigers Training Center in Bad Soden...

...gegründet von Hans-Walter Schmitt und Dr. Erik Zude

MR: Vielen Dank für das Gespräch, auch wenn Sie alle weiteren aktuellen Themen wie Bundesliga, Frauenschach, Nationalmannschaft, Deutsche Meisterschaft, Cheaten im Schach, Deutscher Schachbund mit Präsidiumswahlen und das Hessenschach nebst der „legendären“ Hessenmeisterschaft 2011 mit nur vier Teilnehmern und die enormen Beitragserhöhungen heute nicht kommentieren wollten.


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Wer gewinnt das Kandidatenturnier 2011?
L. Aronian
V. Kramnik
V. Topalov
A. Grischuk
B. Gelfand
S. Mamedyarov
T. Radjabov
G. Kamsky
  
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Mike Rosa

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