31.07.2009 - Das amerikanische Schnellschach-As Hikaru Nakamura entthronte Levon Aronian im Chess960 World Championship in beeindruckender Manier. Mit 3,5:0,5 fegte der neue Weltmeister seinen Kontrahenten förmlich vom Brett. Chess960 is coming home, könnte man sagen, denn die Idee zu dieser Schachvariante geht auf Ex-Weltmeister Bobby Fischer zurück.
Nach einem einseitigen Verlauf entschied Hikaru Nakamura das Finale
ganz überlegen für sich. Er gewann die ersten drei
Partien. Erst in der bedeutungslos gewordenen vierten Begegnung
erreichte Aronian eine Gewinnstellung. Doch im Angesicht einer der
größten Enttäuschungen seiner Karriere
ließ er seinen Kontrahenten noch zum Remis entwichen. In der
Pressekonferenz meinte er, er habe einfach sehr langsam gespielt und
dazu schlechte Züge gemacht. In der Tat war sein schlechtes
Zeitmanagement einer der Ursachen für seine deutliche
Niederlage. Zudem fehlte seinem Spiel die Frische, die ihn noch am
ersten Tag des Turniers auszeichnete, als er alle seine Partien
für sich entscheiden konnte. Er agierte insgesamt zu passiv
und konnte sich letztlich auch über die klare Niederlage nicht
beschweren.
Das Match um Platz drei schien schon nach den ersten beiden Partien
entschieden, die Movsesian für sich verbuchen konnte. Doch
dann schlug Bologan zurück. In der letzten Partie hatte
Movsesian schon einen Bauern mehr, konnte ihn aber nicht zum Sieg
verwerten. Sei’s drum: dem Slowaken reichte die Punkteteilung
zum dritten Platz und zu einem 2,5:1,5 Sieg.
Die beiden Matches waren auf vier Partien angesetzt, bei Gleichstand
hätte eine Blitzpartie entscheiden müssen. Doch kaum
einer rechnete mit einer Verlängerung. In der vorhergehenden
kämpferischen Gruppenphase gab es kein einziges Remis!
Die beiden Finalisten zählen zu den kreativsten
Köpfen im professionellen Schach. Und im Chess960 scheint ihre
Begabung noch deutlicher zum Ausdruck zu kommen. Doch das Match hielt
nicht die Erwartungen, die sich viele erhofft hatten. Statt eines
spannenden Zweikampfes sahen die Zuschauer in der Rheingoldhalle eine
einseitige Angelegenheit. Nakamura setzte von Beginn an die Akzente.
Zum Auftakt gelang es ihm deutlich besser als seinem Gegner, sein
Figurenspiel zu harmonisieren. Aronian sah sich zunehmend in eine
defensive Stellung gedrängt.
Stellung nach 26.d4
Um Gegenspiel zu erlangen, verschärfte er die Ereignisse mit
e5 drastisch. Ein Turmopfer riss die gegnerische
Königsstellung auf. Mit etlichen Schachgeboten trieb er den
weißen Monarchen vom Damen- zum
Königsflügel. Doch der Amerikaner verteidigte sich
umsichtig, entkam dem Mattangriff und behielt seinen entscheidenden
Materialvorteil. Es folgte 26...e5
27.Lxd7 Sxd4 28.Txd4 cxd4 29.Txe5 Da2+ 30.Kc1 Da1+ 31.Kc2 d3+ 32.Kxd3
Dd1+ 33.Dd2 Lc4+ 34.Ke3 Dg1+ 35.Kf3 h5 36.Te1 Dc5 37.Le7 Ld5+ 38.Kg3
h4+ 39.Kh3 1–0
Die 1. Partie zwischen Bologan und Movsesian entwickelte sich offener.
Im Endspiel fanden die Figuren des Slowaken die stabileren
Stützpunkte im Zentrum. Schwarz attackierte die
weiße Bauernstruktur am Königsflügel, bis
sie schließlich nicht mehr zu halten war. Danach reichte
Bologans Initiative nicht mehr aus, den entstandenen Bauernnachteil zu
kompensieren.
Weltmeister Aronian überzeugte auch in der zweiten Partie
nicht. Sein Spiel wirkte irgendwie verhalten und ihm fehlte die Frische
des ersten Tages. Er opferte einen Bauern für eine kleine
Initiative. Wie schon in der ersten Partie geriet er jedoch in Zeitnot,
die sich schließlich als entscheidend erwies. Er stellte im
Endspiel einen Springer ein, was den sofortigen Verlust zur Folge hatte.
Nach seinem Schwarzsieg konnte Movsesian in der zweiten Partie sogar
noch zulegen. Unter Qualitätsopfer drängte er seinen
Kontrahenten in die vollkommene Passivität und leitete durch
eine Umgruppierung seiner Dame einen unparierbaren Mattangriff ein.
Eine brillante Partie des Mannes, der am selben Tag schon im FiNet Open
alles gewinnen konnte.
Stellung nach 20...Sxa8
21.Sf6 g4 22.Df1 c6
23.De1 1–0
Die Zuschauer trauten ihren Augen nicht, als sich Aronians Leidensweg
auch in der dritten Partie fortsetzte. Das Strickmuster
ähnelte den anderen Partien. Wieder kam er in Zeitnot und
musste eine schwierige Stellung verteidigen. Als der Amerikaner mit
seinen beiden Läufern zum Schlag gegen den schwarzen
König ausholte, konnte Aronian nichts mehr entgegensetzen.
Damit war Hikaru Nakamura gleichzeitig neuer Chess960 Weltmeister. Nach
schlechtem Turnierstart mit zwei Niederlagen ließ der
Schnellschachspezialist 7 Siege folgen. In Anbetracht seiner Gegner
muss man sich vor der Leistung des Amerikaners verneigen.
Für Aronian war es dagegen vielleicht die
größte Enttäuschung seiner Karriere. Wer
hätte zuvor gedacht, dass er im Finale keine einzige Partie
gewinnen würde? Gegen Nakamura verlor er – die
Rundenpartie mitgezählt - viermal hintereinander. Ein Desaster
für den Vierten der Weltrangliste.
Am Nebenbrett konnte Bologan zurückschlagen. Aus der
Eröffnung heraus übernahm er die Initiative,
verpasste dann aber einen klaren Gewinn. Erst im Turmendspiel konnte er
den kleinen verbleibenden Vorteil realisieren.
Selbst in der bedeutungslos gewordenen Schlusspartie gelang es Aronian
nicht, sich zu rehabilitieren. Er erreichte zwar eine Gewinnstellung,
ließ aber seinen Kontrahenten ins Remis entkommen.
„Es war einfach nicht mein Tag“, meinte der
sichtlich erschöpfte Verlierer später. Er muss sich
schnell erholen, denn schon Morgen muss er sich bei der GRENKELEASING Rapid World
Championship gegen Weltmeister Vishy Anand, Arkadi Naiditsch und Ian
Nepomniachtchi behaupten.
Das Match um Platz 3 gewann Movsesian. Eine etwas längere
Abwicklung in der letzten Partie brachte ihm einen Bauern ein, ohne
dass Kompensation für Bologan in Sicht gewesen wäre.
Es reichte am Ende zwar nur zum Unentschieden, doch das bedeutete
gleichzeitig den Matchgewinn. Der Endstand lautete 2,5:1,5 für
den Slowaken. Wenn er so weiter spielt, wird er auch am morgigen
Freitag im FiNet Open, wo er im Moment in Führung liegt, zu
den aller engsten Favoriten zählen.
Die diesjährige Weltmeisterschaft sollte der
Popularität des Chess960 zu weiterem Aufschwung verhelfen. In
insgesamt 14 Partien sahen die Zuschauer nur zwei Unentschieden. Viele
taktische Kabinettstückchen und brillante Siege,
kämpferisches Schach und kreativste Ideen – eben all
die Dinge, für die Chess960 steht.