Chess Classic „Ich denke, es könnte dieses Jahr eine der spannendsten Veranstaltungen der Chess Classic werden.“ Pressechef Harry Schaack im Interview mit Weltmeister Viswanathan Anand
30.07.2008 - Wenn am Freitag die GRENKELEASING Rapid World Championship im Rahmen der Chess Classic stattfindet, wird Weltmeister Vishy Anand zum achten Mal hintereinander versuchen, seinen Titel im Schnellschach zu verteidigen. Insgesamt konnte er bereits zehn Mal die Hauptveranstaltung der Chess Classic für sich entscheiden. Harry Schaack sprach mit dem Weltranglistenersten über die Besonderheiten des Schnellschachs und seine diesjährigen Gegner.
Herr Anand, Sie sind nun schon seit über einem Jahrzehnt der beste Schnellschachspieler der Welt, was nicht zuletzt die zehn Siege bei den Chess Classic eindrucksvoll dokumentieren. Was sind die wichtigsten Qualitäten, die beim Schnellschach den Ausschlag geben?
Im Allgemeinen macht es keinen Unterschied, ob man über die kurze oder die lange Distanz spielt. Wenn man eine hohe Spielstärke hat, spielt man meist in beiden Disziplinen gut. Der Unterschied liegt in den Anforderungen an die Konzentration. Man muss in 30 Minuten alles geben, während man sich in einer 7-stündigen Partie einmal eine 10- oder 20-minütige Auszeit in der Konzentration leisten kann. Ein weiterer Unterschied ist, dass man auf eine Eröffnungsneuerung ganz schnell reagieren muss. Als Aronian dieses Jahr beim Turnier in Morelia eine spektakuläre Neuerung brachte, dachte Leko eineinhalb Stunden über seinen Zug nach - das ist die Dauer von drei Schnellschachpartien. Bei 30 Minuten muss man in der Lage sein, sehr schnell zu reagieren. Ansonsten ist es einfach wichtig, einen guten Zug zu machen. (lacht). Ich mag Schnellschach, weil es für mich einfacher ist, sich nur eine halbe Stunde zu konzentrieren. Und ich denke, diese Art Schach zu spielen, ist auch sehr publikumswirksam.
Ist es nicht auch eine besondere psychische Anforderung, weil man sehr schnell Niederlagen wegstecken muss?
Ja, wenn man drei Partien an einem Abend spielt, hat man dreimal eine sehr intensive gefühlsmäßige Belastung auszuhalten. Man muss lernen, mit dem emotionalen Auf und Ab umzugehen und Niederlagen schnell zu vergessen. Im Gegensatz zu einer langen Partie hat man beim Schnellschach aber auch die Chance, seinen Fehler direkt wieder auszubügeln, in dem man die folgende Partie gewinnt.
Was erwarten Sie von der diesjährigen GRENKELEASING Rapid World Championship?
Ich freue mich ganz besonders auf das Schnellschach in Mainz, weil meine Ergebnisse in diesem Jahr nicht so gut waren.
Sie waren beim Melody Amber außer Form …
Ja, dieses Turnier war einfach eine Katastrophe. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich einmal ein so schlechtes Ergebnis erzielt habe. Aber auch bei den anderen Turnieren fehlte etwas. In Leon musste ich im Halbfinale gegen Paco Vallejo viel kämpfen und im Finale gegen Ivanchuk habe ich auch nicht so gut gespielt. Ich hoffe, es klappt in Mainz besser.
Sie haben also etwas gut zu machen bei den Chess Classic?
Ja, in den letzten Jahren gewann ich dreimal in Leon und vier Mal in Folge das Schnellschach beim Melody Amber. Aber in diesem Jahr lief es nicht so gut. Das habe ich im Hinterkopf und ich weiß, dass ich für den Erfolg hart arbeiten muss. Alle meine Gegner in Mainz sind in Topform und haben in den letzten Monaten hervorragende Ergebnisse gespielt. Nicht nur Carlsen, auch Morozevich hat ein überzeugendes und beeindruckendes Jahr hinter sich. Und Judit Polgar ist immer gefährlich. Insbesondere im Schnellschach fühlt sie sich wie ein Fisch im Wasser. Das ist ein ausgezeichnetes Turnierfeld und ich glaube, dieses Jahr wird es schwerer denn je, meinen Titel zu verteidigen.
Was bedeuten die Chess Classic für Sie? Ist die gewohnte Atmosphäre für Sie wichtig?
Es gibt Turniere, die ich so oft zu einem festen Termin im Jahr gespielt habe, dass ich mich gar nicht mehr erinnern kann, zu dieser Zeit je etwas anderes gemacht zu haben. Im August war ich meistens in Mainz und im Januar bin ich stets beim Turnier in Wijk aan Zee. Als ich 2002 ausnahmsweise nicht in Wijk spielte, fragte ich mich: Was machst Du eigentlich jetzt mit Deiner freien Zeit im Januar? (lacht) Man gewöhnt sich natürlich an solche Turniere, die regelmäßig im Kalender stehen. Dennoch muss man jedes Jahr wieder neu darüber nachdenken. Es wäre verhängnisvoll zu glauben, alles liefe von selbst. Aber natürlich weiß ich genau, was ich tue in Mainz. Ich gehe jeden Tag am Rhein spazieren, ich habe meine Lieblingsrestaurants, und ich weiß, wie ich mich vor der Partie verhalte. Da gibt es so gut wie keine Überraschungen mehr.
Fühlen Sie den Druck, weil Sie nun schon so viele Jahre bei den Chess Classic erfolgreich sind?
Ich versuche, nicht zuviel darüber nachzudenken. Jetzt kann ich sagen, ich habe acht Mal hintereinander gewonnen. Aber jedes Jahr ist das Turnier wieder eine „Überlebenserfahrung“. (lacht) Und ich freue mich jedes Mal, wenn es mir gelingt, meinen Rekord zu steigern. Ich hoffe natürlich, dass die Serie noch eine Weile anhält.
Im Oktober müssen Sie gegen Kramnik Ihren WM-Titel verteidigen. Seit einigen Monaten bereiten Sie sich schon darauf vor. Konnten Sie sich im Vorfeld so wie sonst auf die Chess Classic konzentrieren?
Auch im letzten Jahr konnte ich mich wegen der WM in Mexiko nicht so gründlich auf Mainz vorbereiten. Doch die Viererturniere sind einfacher zu spielen. Wenn man ein Match bestreitet, wie es früher bei den Chess Classic der Fall war, ist die Vorbereitungsarbeit viel größer. Bei einem Turnier bereitet man sich viel genereller auf seine Gegner vor und muss in der Analyse nicht so tief gehen. Aber beim Schnellschach ist es vor allem wichtig, gut zu spielen. Man muss mit einem freien Kopf am Brett sitzen und frisch sein. Die Leistung kommt beim Schnellschach nur über das Brett, nicht über die Vorbereitung. Das ist nicht einfach zu kontrollieren. Mehr noch als beim Normalschach muss man sich auf den Punkt genau konzentrieren, um schnell und schlagfertig reagieren zu können. Das ist das Wichtigste.
Sie haben es bei den kommenden Chess Classic mit dem neuen „Bobby Fischer“ zu tun: dem Norweger Magnus Carlsen. Vermutlich ist er sogar noch besser als der Amerikaner in diesem Alter. Können Sie Parallelen zwischen beiden erkennen?
Das ist schwer, weil ich Carlsen persönlich kenne und regelmäßig gegen ihn spiele. Zwar habe ich auch einmal Bobby Fischer getroffen, aber ich habe nie mit ihm gespielt – das ist nicht das Gleiche. Seine Partien kenne ich nur aus der Vergangenheit. Man kann aber sagen, dass beide eine einfache Art zu spielen haben, beide sind „klassische“ Spieler. Sie machen nicht komplizierte Dinge auf dem Brett, sondern wählen Zugfolgen, die später einfach zu verstehen sind. In diesem Sinne meine ich „klassisch“, wie es auch in den Partien des früheren Weltmeisters Capablanca zu sehen war. Carlsen und Fischer sind beide brillant in einfachen technischen Stellungen. Magnus hat dieses Jahr so oft Positionen gewonnen, in denen er nur einen kleinen oder auch gar keinen Vorteil hatte. Eigentlich braucht man für so einen reifen Spielstil ein höheres Alter. Carlsen hat eigentlich noch gar nicht die Erfahrung, um so zu spielen. Es ist schon etwas überraschend, dass er mit 17 Jahren bereits so weit ist. Das ist sehr beeindruckend. Man kann sagen, dass sowohl Fischer als auch Carlsen die Fähigkeit besaßen bzw. besitzen, Schach einfach aussehen zu lassen.
Die Auseinandersetzung in Mainz zwischen Ihnen und Magnus Carlsen wird mit Spannung erwartet. In der virtuellen Weltrangliste könnte er Sie sogar mit einem guten Ergebnis in Biel, wo er im Moment spielt, überholen. Sie sind der Einzige in der Weltspitze, der ihn bislang noch deutlich dominiert. Sie haben noch nie eine lange Partie gegen ihn verloren.
Das stimmt, aber ich will darüber nicht viel sagen, weil ich hoffe, dass das noch lange andauert. (lacht) Carlsen entwickelt sich sehr rasch. Der Magnus vom August ist nicht mehr der vom Januar.
Wie ist Carlsens Qualität im Schnellschach einzuschätzen?
Carlsen gehört zu der Generation, die oft im Internet Schach spielt. Man braucht Magnus nicht zu erklären, warum Schnell- oder Blitzschach interessant ist. Für ihn ist das ganz natürlich, er ist damit aufgewachsen. Das ist eine ganz andere Erfahrung als sie große Spieler der Vergangenheit gemacht haben, die nie im Internet spielen konnten. Diese jungen Spieler haben einen anderen Blick auf diese Dinge. Auch Carlsen gehört zu dieser „Computergeneration“. Das wird besonders deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass das Computer-Schachprogramm „Fritz“ älter ist als Carlsen. Jeder ist heute daran gewöhnt, Schnellschach zu spielen.
Alexander Morozevich ist mittlerweile nach Ihnen die Nr.2 der offiziellen FIDE-Weltrangliste. Er spielt immer wieder herausragende Ergebnisse, bleibt allerdings in Top-Turnieren oft hinter den Erwartungen zurück. Liegt das an seinem Spielstil, der gegen die Topspieler nicht funktioniert, oder ist es ein psychisches Problem?
Das kann ich nicht sagen. Ich spiele mindestens zweimal im Jahr mit ihm beim Melody Amber und da ist er wirklich sehr gefährlich. Nicht umsonst hat er dort schon so oft die Gesamtwertung im Blind- und Schnellschach für sich entscheiden können.
Wie würden Sie seinen Stil charakterisieren?
Seine Spielart ist etwas Besonderes und natürlich nicht so klassisch wie Carlsens (lacht). Er ist sehr, sehr kreativ und äußerst aggressiv. Er versucht die Balance auf dem Brett unter allen Umständen zu stören und die Stellungen aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das übt enormen Druck auf seine Gegner aus. Dieser Spielstil ist sehr schwer zu kopieren. Morozevich ist in seiner Art Schach zu spielen einzig.
Nimmt er nicht auch extreme Risiken in Kauf, weil er unbedingt gewinnen will?
Vielleicht, aber ich glaube, er selbst denkt nicht, dass er viel Risiko eingeht. Diese Stellungen, die er herbeiführt, sind sehr ungewöhnlich für uns, aber nicht ungewöhnlich für ihn. Er fühlt sich in haarsträubenden Komplikationen genau so zu Hause wie Ulf Andersson in einem ausgeglichenen Endspiel. Seine Art, Schach zu verstehen, unterscheidet sich von der Sichtweise der meisten anderen Topspieler deutlich. Aber es ist klar, dass jemand, der sich im Laufe seiner Karriere immer wieder auf vordere Weltranglistenplätze gespielt hat, einfach ein Spitzenspieler ist – nicht mehr und nicht weniger. Er gehört im Moment zu den herausragenden Spielern der Welt.
Mit Judit Polgar hatten Sie 2003 bei den Chess Classic ein sehr intensives Match. Alle Partien endeten mit einer Entscheidung. Ihre Begegnungen zeichnen sich meist durch sehr aggressive Partieanlagen aus, denn 70 % der Spiele finden einen Sieger, was auf Ihrem Niveau sehr ungewöhnlich ist. Selbst die Remispartien, wie etwa 2003 in Wijk aan Zee, werden mit äußerster Schärfe geführt.
Ja, mit Judit zu spielen, ist wirklich etwas Spezielles. Bei einem Schnellschachmatch in Parla 2006, wo ich 4:2 gegen sie gewann, endete ebenfalls keine einzige Partie Remis.
Judit findet sich besonders gut in taktischen Stellungen zurecht. Natürlich hat sie auch ein gutes positionelles Verständnis, aber ihre prinzipiellen Qualitäten kann sie am besten in scharfen Stellungen umsetzen. Sie hat ein sehr gutes Gefühl dafür.
Ein Grund für die wenigen Unentschieden, die wir spielen, ist sicher auch die Eröffnungswahl. Wir mögen beide sehr gerne Sizilianisch, wodurch wir sehr oft zu dieser Art von taktischen Stellungen kommen. Und unser Ergebnis ist wirklich kurios. Ich glaube, ich habe mit niemandem aus der Weltspitze so wenig Unentschieden gespielt wie mit Judit.
Alle Teilnehmer sind für ihre extrem aggressive Spielweise bekannt …
Ja, ich glaube, dieses Jahr wird es sehr interessant. Ich denke, das könnte eine der spannendsten Veranstaltungen der Chess Classic werden.