Chess Classic Der alte ist der neue Weltmeister Levon Aronian beweist seine Extraklasse im Chess960
17.08.2007 - Auch der im Moment weltbeste Schachspieler Vishy Anand konnte den amtierenden Chess960 Champion Levon Aronian nicht entthronen. Kurz vor Mitternacht hatte der Armenier in der Mainzer Rheingoldhalle seinen FiNet Chess960 World Championship Titel in einem dramatischen Match erfolgreich verteidigt.
Siegerehrung: Alter und neuer Chess960 World Champion Levon Aronian (Bild: Christian Bossert)
Die zunächst angesetzten vier Partien reichten nicht aus, um
eine Entscheidung zwischen den beiden Ausnahmespielern herbeizuführen. In der
ersten Partie unterlief Anand, der gemeinhin als der
schnellste Spieler der Welt gilt, ein außergewöhnliches Missgeschick. Jeder
Spieler hat 20 Minuten pro Partie zur Verfügung und erhält für jeden Zug eine Gutschrift
von 5 Sekunden. Damit sollte eine Zeitüberschreitung ausgeschlossen sein. Doch Anand war so in seine Stellung vertieft, dass er die Uhr
vergaß. Das Publikum hielt den Atem an, als Anand mit
noch wenigen verbleibenden Sekunden seine Figur anfasste und einen Augenblick
verharrte. Just in dem Moment, als er den Zug ausgeführt und die Uhr gedrückt
hatte, war seine Zeit abgelaufen und Aronian reklamierte den Gewinn. In seiner
20-jährigen Karriere ist dies dem Inder erst ein einziges Mal passiert: gegen Kamsky im Kandidatenfinale 1995 in Las Palmas. Dabei hatte er
eine aussichtsreiche Stellung erreicht und lange einen Zeitvorteil gegenüber
Aronian behaupten können.
In der zweiten Partie baute Anand
mit den weißen Steinen erneut eine Druckstellung auf. Seine Vorteile
verflüchtigten sich jedoch mehr und mehr, als die Stellung im Endspiel
weitgehend zugeschoben war.
In der dritten Runde sahen die zahlreichen Zuschauer eine
kuriose Partie. Aronian erspielte sich große Vorteile und es schien, als könne
er vorzeitig die Entscheidung in diesem Zweikampf herbeiführen. Mehrfach ließ
der Armenier klare Gewinnfortsetzungen aus, vielleicht auch weil er sich in
Zeitnot befand. Schließlich gelang es dem findigen Inder, wie mit Zauberhand aus
seiner prekären Lage zu entweichen und die Punkteteilung sicher zu stellen.
Vishy Anand am Chess960 Pranger (Bild: Frank Stiefel)
Die vierte Partie begann erneut furios. Nach nur vier Zügen opferte
Aronian einen Bauern, um mit einem Damenschach Anands
König nach d2 zu treiben. Anand gelang es jedoch in
der Folge, den schwarzen König zu belagern und den schwarzfeldrigen
Läufer Aronians auszusperren. Aronian baute seinerseits seine Initiative am
Damenflügel aus und verpasste an einer Stelle das Remis. Schließlich griff er
in komplizierter Stellung fehl und Anand glich das
Match auf der Schlussgeraden aus.
Die Entscheidung mussten nun zwei Blitzpartien im Tiebreak
herbeiführen. Die Kraftanstrengung der letzten Partie ging an Anand offenbar nicht spurlos vorbei, denn durch einen
Konzentrationsfehler gewann Aronian die Qualität und kurz darauf die Partie.
Die letzte Blitzpartie verflachte recht schnell, da Anand
voreilig das Zentrum verriegelte. Um 23:30 stand endlich der Sieger fest. Levon Aronian hatte seinen Titel erfolgreich verteidigt.
Den dritten Rang belegte Etienne Bacrot,
der seinen Kontrahenten RustamKasimdzhanov
mit 3-1 bezwang. Nachdem der Franzose an den ersten beiden Tagen des Turniers
glücklos agierte, entschloss er sich, am Chess960 Open teilzunehmen. „Ich
brauche Praxis“, sagte er, und sah kein Problem in der selbstaufgebürdeten
Doppelbelastung. Seine Strategie zahlte sich aus. Am Abend zeigte er eine
überzeugende Leistung. Vielleicht gelingt ihm das Kunststück des Vorjahres, als
er das bärenstark besetzte FiNet Open für sich
entscheiden konnte. Dann gäbe es im nächsten Jahr ein Wiedersehen mit dem
Franzosen, denn der erste Platz berechtigt zur Teilnehme an der
Weltmeisterschaft im nächsten Jahr.
Chess960 Titan Levon Aronian (Bild: Frank Stiefel)
Vishy wird nun die kommenden drei
Tage in der GrenkeLeasing Rapid World Championship alles daran setzen, seinen Schnellschachtitel
zu verteidigen. Der Inder, der seit Jahren als der beste Schnellschachspieler
der Welt gilt, könnte seine Spezialdisziplin zum insgesamt zehnten Mal
gewinnen.