Chess Classic Vierfache Erleuchtung für Harikrishna Chess960-Weltmeisterschaften: Naiditsch vergibt 3,5:0,5-Führung / Pähtz unterliegt Kosteniuk / Hort schlägt Portisch dank Vorteilen in der Kindheit im Blitz
17.08.2006 - Elisabeth Pähtz hat es bei den Chess Classic Mainz versäumt, ihrer umfangreichen Titelsammlung eine weitere Weltmeisterschaft zuzufügen. Die Großmeisterin aus Kerspleben verlor am Mittwochabend das Finale der Clerical Medical Damen-WM im Chess960 gegen Alexandra Kosteniuk (Russland) mit 2,5:5,5. Bei dieser von der US-Legende Bobby Fischer propagierten und in Mainz gepuschten Schachvariante wird die Grundstellung der Figuren vor jeder Partie unter 960 Möglichkeiten ausgelost. Somit entfällt die leidige Auswendiglernerei von Eröffnungszügen.
Trotz der vom Ergebnis her klaren Angelegenheit für Kosteniuk hatte die ehemalige U18- und U20-Weltmeisterin durchaus Chancen auf den erstmals in Mainz ausgespielten Chess960-Titel. „Ich war zu langsam“, befand Pähtz mit Blick auf die Schnellschach-Partien, bei denen jeder Akteur 20 Minuten plus fünf Sekunden pro ausgeführten Zug Bedenkzeit erhielt. Am ersten Tag hatte die Dresdner Bundesligaspielerin der Weltranglistendritten noch Paroli geboten. 2:2 stand es nach zwei Remis und einer Niederlage zum Auftakt für Pähtz sowie dem Ausgleich im dritten Durchgang. „Ich hätte führen müssen“, haderte Kosteniuk zunächst mit ihrer schlechten Ausbeute.
Ähnliche Gefühle beschlichen Pähtz am zweiten Tag der Revanche für den Schnellschach-Wettkampf von 2002 in Mainz, der damals als „Duell der Grazien“ für weltweites Aufsehen gesorgt hatte. „In der fünften und achten Partie stand ich zweimal klar besser. Doch ich verschenkte alles“, analysierte die Weltranglisten-22. Das Glamour Girl aus Russland, dem Pähtz mit modischen Kurzhaarfrisuren und Nylonstrümpfen optisch Paroli bot, räumte ihren „glücklichen Erfolg“ ein. „Ich spielte die Eröffnungen schlecht, nur die Ergebnisse waren positiv“, gestand Kosteniuk.
Die Scharte will Elisabeth Pähtz zumindest teilweise heute auswetzen. „Ich hoffe, du greifst im FiNet Chess960 Open an und qualifizierst dich als Herausforderin“, sagte Chess-Classic-Organisator Hans-Walter Schmitt bei der Siegerehrung und versprach, dafür „die Daumen zu drücken“. Neben der deutschen Nummer eins der Frauen gehen mehr als 60 Großmeister bei dem Turnier an den Start, darunter auch der Erfurter Großmeister Thomas Pähtz. Ihr Vater bemängelte nach der 2,5:5,5-Niederlage: „Eli ist nicht konzentriert genug, da hat ihr Kosteniuk einiges voraus. Die ruht sich aus, während meine Tochter in den Rundenpausen herumspringt und mit Freunden quasselt. Spielerisch kann Eli durchaus mithalten.“
Noch schlimmer als Elisabeth Pähtz erging es Arkadij Naiditsch. Der deutsche Topspieler sah nach einer 3,5:0,5-Führung wie der sichere Sieger aus. „Ich konzentriere mich auf das FiNet Chess960 Open“, hatte Kontrahent Pentala Harikrishna zur Halbzeit verlauten lassen. Doch der Dortmunder war völlig von der Rolle und verlor bei der Clerical Medical U20-WM gegen den Inder alle vier Partien des zweiten Tages! „Das hätte ich nie gedacht, dass ich ein 4:0 schaffe. Ich weiß jetzt noch immer nicht, warum ich gewonnen habe“, gestand der Weltranglisten-25. Weil ihm sein Lauf nicht ganz geheuer war, erwog er die achte Partie schnell zu remisieren. Doch Naiditsch machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Der Dortmunder stand mit Schwarz rasch besser und verzeichnete laut dem Programm Spike, das für das Publikum die Stellungsbewertung zeigt, ein Plus von 2,3! Den gewinnträchtigen Vorteil konnte Naiditsch jedoch nicht verwerten. Ungeachtet von nur noch 19 Sekunden gegenüber fast drei Minuten gewann Harikrishna die Oberhand. Am Schluss überschritt der Nachziehende in verlorener Position zum zweiten Mal in diesem Match die Zeit. Weil auch der Inder einmal durch die Uhr unterlag, plädierte er für eine längere Bedenkzeit. „Mehr Zeit wäre besser. Am Anfang benötigt man im Chess960 viel Zeit, um einen Plan zu finden.“ Erster Knackpunkt war die fünfte Partie. „In der stand ich erst besser und verschenkte dann eine komplette Remisstellung. Ich hätte die niemals verlieren dürfen“, konstatierte Naiditsch. Die folgenden zwei Nullen gingen seiner Ansicht nach in Ordnung. Fatal lief es dann zum Schluss, als die Brechstange die Wende bringen sollte und Harikrishna nach eigener Einschätzung „sehr schlecht spielte“.
Als einziger Deutscher rettete sich so Vlastimil Hort bei den Senioren über die Ziellinie. Der Oberhausener büßte zwar gegen Lajos Portisch eine 2,5:1,5-Führung in der siebten Begegnung ein. Am Schluss setzte sich Hort aber nach dem 4:4 in der Blitzentscheidung mit 1,5:0,5 durch. Im ersten Blitzduell hatte Portisch in einem remisigen Endspiel plötzlich zwei Bauern kassiert, aber auch wieder umgehend einen eingestellt. Danach hätte Hort dank eines Freibauern Chancen auf mehr als einen halben Zähler nutzen können, begnügte sich indes mit einem Figurengewinn, der wegen Abtauschs seines letzten Bauern zu wenig war. Im zweiten Stichkampf mit fünf Minuten Bedenkzeit (plus fünf Sekunden je Zug) opferte Portisch unnötig einen Bauern. In Endspiel mit Turm und ungleichfarbigen Läufern waren Horts zwei Freibauern schneller. Der schwarze König versuchte sie mit dem Mute der Verzweiflung zu stoppen, geriet aber dank des letzten hübschen weißen Königszugs Kb5-a6 auf b8 in ein Mattnetz. Die ungarische Legende nahm die Entscheidung gelassen. „Mit dem 4:4 bin ich zufrieden. Die Blitzpartien zählen nicht“, meinte der 69-Jährige Seine Abneigung gegen die Blitzerei erläuterte Portisch auch gleich noch: „Ich stamme aus einem kleinen Städtchen. In meinem Verein, in dem ich als Kind begann, hatten wir nur drei Uhren. So blitzten wir nie. Ich war immer ein schlechter Blitzer. Als ich als Sekundant von Anatoli Karpow arbeitete, spielten wir auch Blitz. Von vielleicht 50 Partien gewann ich lediglich eine!“ Hort bemerkte süffisant: „Wir hatten in meinem Verein mehr Uhren!“ Etwas ernsthafter analysiert, sah sich der gebürtige Tscheche mehr mit Fortuna im Bunde als sein alter Mitstreiter. Organisator Hans-Walter Schmitt konnte sich so bei der Siegerehrung der Clerical Medical Chess960-Weltmeisterschaften, die er zusammen mit Thomas Bahr, dem Deutschland-Chef des Sponsors durchführte, freuen: „Wir haben gezittert für Deutschland, dass wir auch einen Weltmeister bekommen. Jetzt haben wir wenigstens einen Titel dank Vlastimil!“