Chess Classic „Kaukasischer Vetter so scharf wie Inder“ Anand und Aronjan bei den Chess Classic favorisiert / „Marienhof“-Darstellerin Fuchs und finnische Rockmusiker von HIM in Mainz
09.08.2006 - Levon Aronjan fiebert den Chess Classic Mainz (CCM) vom 15. bis 20. August entgegen. Der Weltranglistendritte will zwar Peter Swidler den Titel als Chess960-Weltmeister abknüpfen – ein Auge wird der armenische Olympiade-Sieger aber von Donnerstag bis Sonntag (täglich 18.30 und 20 Uhr) häufig auf die andere Seite der Bühne in der Rheingoldhalle werfen: Dort fordert Teimour Radjabow den unangefochtenen Schnellschach-König Viswanathan Anand heraus. „Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen. Mein kaukasischer Vetter spielt so scharf wie der Inder! Das verspricht heiße Partien“, befindet Aronjan.
Aruna und Vishy Anand
Radjabow hat keine Angst vor großen Namen.
Entsprechend kündigt der 19-jährige Weltranglistenelfte kampfeslüstern
an: „Anand ist im Schnellschach der Beste und ein großer Spieler Ich
gebe aber alles und kümmere mich nicht um die Meriten meines Gegners.
Ich will Anand schlagen!“ Der achtfache Rekordsieger bei den Chess
Classic gibt sich dagegen gewohnt zurückhaltend. „Ich rechne mit einem
schweren Match. Radjabow, der zur neuen Generation der Bullet-Spieler im
Internet zählt, ist eine gute Herausforderung“, äußert der „Tiger von
Madras“ mit Blick auf den „Veteran unter den kommenden Topstars“,
Radjabow, und die noch drei, vier Jahre jüngeren Sergej Karjakin und
Magnus Carlsen. Der Weltranglistenzweite zeigt auch keine Furcht vor
Gattin Aruna – und dass diese ihm Vorwürfe macht, sollte er mit dem
siebten Erfolg in Mainz in Folge ein weiteres Siegerjackett mit nach
Hause bringen. Der bei Madrid lebende Inder hat mit einem genügend
großen Kleiderschrank klug vorgesorgt und berichtet mit einem
Schmunzeln: „Damit’s keine Probleme gibt, bringe ich die Jacketts in die
Reinigung.“
Teimour Radjabow
Präzisere Prognosen bezüglich der
GrenkeLeasing-Schnellschach-WM wagen die anderen Hauptdarsteller der
CCM. „Radjabow wird Anand einen harten Kampf liefern. Aber wie üblich
ist Vishy favorisiert“, meint Chess960-Weltmeister Peter Swidler. Dies
sieht seine Landsmännin Alexandra Kosteniuk ähnlich. Die konkreten Tipps
reichen von einem 4,5:3,5 bis zu einem 5,5:2,5 für den achtfachen
Rekordsieger, der zuletzt 1999 bei den Chess Classic Garri Kasparow den
Vortritt lassen musste. Auf ein 4,5:3,5 für Anand setzt die beste
deutsche Schachspielerin, Elisabeth Pähtz, ebenso wie Eckhard Freise.
Der erste Hauptgewinner beim Jauch-Quiz „Wer wird Millionär?“ schöpft
als Geschichtsprofessor aus seinem Wissensfundus und prophezeit: „Der
wilde Teimour aus Aserbaidschan wird sich aufführen wie sein
Namenspatron Tamerlan (Timur Lenk) im 14. Jahrhundert, soll heißen: Es
gibt ein grausames Schlachten!“ Eher eine klare Sache erwarten Wolfgang
Grenke und Günter Drebes. Der Vorstandsvorsitzende des CCM-Hauptsponsors
GrenkeLeasing AG entdeckte zwar eine „kleine Formschwäche“ in Korsika
bei Anand, der auf der Insel zum ersten Mal seit vielen Jahren ein
Schnellschach-Finale gegen den Schweizer Vadim Milov verlor. Als dennoch
„weiterhin stärksten Schnellschachspieler“ traut Grenke dem Spitzenmann
seines Bundesliga-Teams OSC Baden-Baden ein 5:3 zu. Gar eine
2,5:5,5-Niederlage von Radjabow erwartet Drebes, der beim
CCM-Organisationsteam Chess Tigers Vertriebsvorstand ist.
Enger geht es nach Meinung der Experten
bei der Clerical Medical Chess960-WM zu. Unter dem neuen Patronat des
britischen Versicherers prallen die Nummer drei und Nummer fünf der Welt
aufeinander – statistisch gesehen ist damit dieses Duell noch
höherwertiger als der Hauptkampf. Obwohl Swidler vor zwei Jahren seinem
erneuten Widersacher das Nachsehen gegeben hatte, setzen fast alle auf
den Herausforderer. „Es wird diesmal noch härter als beim ersten Mal
2004. Ich fühle, dass sich Aronjan lange Zeit in der absoluten
Weltspitze halten wird. Aber ich spüre auch noch einige gute Jahre in
mir. Ich habe deshalb Hoffnungen, aber keine Erwartungen“, sagt der
30-jährige St. Petersburger und rechnet mit einem „engen Ausgang“.
Peter Svidler verteidigte seinen
Chess960-WM-Titel
gegen Levon Aronian
Damit befindet sich Swidler auf einer
Linie mit den anderen Assen. „Ich drücke natürlich meinem russischen
Landsmann die Daumen – aber ich fürchte, am Schluss wird Aronjan die
Oberhand behalten. Er ist ein ungewöhnlich begabter Spieler“, urteilt
die Weltranglistendritte Kosteniuk. Knapp mit 4,5:3,5 vorn sehen auch
Pähtz und Drebes den Armenier. Freise traut Swidler immerhin ein 4:4 zu.
„Beide sind ja sehr scharfsinnige und unkonventionell denkende Cracks -
das verspricht ein Freudenfest für Querdenker. Im Tiebreak sehe ich
jedoch physische Vorteile für Levon, weil Peter überspielt wirkt“, meint
der starke Amateur, der Aronjan im Chess960-Simultan (16. August, 15.30
Uhr) aufs Zahnfleisch fühlen will. Schachsponsor Grenke hofft auch bei
der Clerical Medical Chess960-WM auf seinen Vereinskameraden beim
deutschen Meister OSC Baden-Baden: „Ich drücke ihm die Daumen, dass er
wie bei uns in der Bundesliga auftrumpft. Ich halte allerdings doch
Aronjan, der ihn in der Weltrangliste von Platz drei verdrängte, für
etwas stärker. Ich hoffe auf ein 4:4 und dem besseren Ende für Swidler
in der Verlängerung.“ Aronjan stellt den Vergleich mit seinem typischen
Humor unter das Motto „Die Freundschaft gewinnt, wie wir früher in der
Sowjetunion sagten. Wir sind beide gleich gut (oder schlecht)“. Der
Vorjahressieger des FiNet Chess960 Open verspricht zumindest „deutlich
höheres Niveau als vor zwei Jahren“. Daran hegt auch Swidler kaum
Zweifel, schätzten es doch beide Akteure im Vergleich zum normalen
Schach, „nicht von Eröffnungstheorie gehemmt zu werden“.
Elisabeth Pähtz (links) und Alexandra Kosteniuk
(rechts)
Erstmals sind den beiden Hauptkämpfen drei
Clerical Medical Chess960-Weltmeisterschaften der Damen, der Senioren
und der U20 (15. und 16. August, jeweils um 15, 16.15, 17:30 und 18.45
Uhr) vorgeschaltet. Große Aufmerksamkeit dürften wieder Kosteniuk und
Pähtz erfahren. Ihr „Duell der Grazien“ in Mainz hatte 2002 für immenses
Aufsehen gesorgt. Einen Nebenkriegsschauplatz beim Friseur wie vor vier
Jahren kann die Erfurterin diesmal nicht eröffnen. „Schön wär’s, wenn
das noch ginge – ich glaube, ich habe mittlerweile die kürzesten Haare
der Schachwelt“, jammert die Bundeswehr-Sportsoldatin. Außer auf dem
Laufsteg wird es gegen die schöne Russin, die schon in Filmen
mitspielte, ebenso auf den 64 Feldern schwierig. „Kosteniuk ist
psychisch stärker – und es ändert daran nichts, ob wir im Chess960
vorher die Figurenaufstellung auslosen“, bemerkt die ehemalige U18- und
U20-Weltmeisterin, die sich einen Zugewinn von 20 Elo Punkten und damit
den Sprung in die Top Ten zutraut. Momentan findet sich „Miss Eli“ auf
Rang 22 bei den Damen. Durch Platz zwei beim Frauenturnier in Dresden
hinter Susan Polgar fühlt sich Pähtz zusätzlich „motiviert gegen die
klare Favoritin. Vor vier Jahren hat mich Kosteniuk mit Mühe geschlagen,
diesmal sollte ich dran sein“, äußert die 21-Jährige mit einem Grinsen.
Die im Mai im „Penthouse“-Magazin ihrer Heimat interviewte Russin
erkennt an, dass beide Rivalinnen seit 2002 deutliche Fortschritte in
ihrem Spiel verzeichneten. Aus talentierten Küken sind arrivierte
Großmeisterinnen geworden. Kosteniuk macht sich weniger Gedanken über
das Endergebnis, sondern kündigt ein „extrem aufregendes Match“ an und
preist Chess960. „Chess960 ist eine wundervolle Erfindung, die das
schachliche Können ohne Eröffnungstheorie maximal fordert. Meine
Chess960-Partien aus dem FiNet Open des Vorjahres sind mir wegen der
ungewöhnlichen Startaufstellungen noch besser als andere Partien in
Erinnerung“, gerät die attraktive Weltranglistendritte ins Schwärmen und
vergleicht, „ich liebe Chess960! Es ist wie das richtige Leben. Man weiß
nicht, wo man beginnt, aber man muss sein Bestes geben, um Erfolg zu
haben!“ Den traut ihr Freise bei der Chess960-WM der Damen mit einem
4,5:3,5-Sieg zu. „Muss man den Damen vorher die Krallen stutzen? Es
reicht vermutlich schon, dass irgendwo in der Halle ein Playboy-Foto der
koketten Alexandra hängt - dann wird die Heilige Jung-Elisabeth ganz
unheilig zur Furie und stürzt sich einmal zu oft ins eigene Messer“,
scherzt der Jauch-Millionär. „Auf einen Effekt wie bei den deutschen
Fußballern und dass sich das WM-Fieber überträgt“, hofft Drebes, wenn er
ein 4,5:3,5 für Pähtz ankündigt.
Der Chess-Tigers-Vertriebsvorstand setzt
auch auf die deutschen Karten bei den Senioren und der U20: „Vlastimil
Hort schlägt Lajos Portisch ebenfalls 4,5:3,5, gleiches gilt für Arkadij
Naiditsch gegen Pentala Harikrishna.“ Obwohl der Inder als Nummer 25 der
Welt 21 Plätze vor Naiditsch rangiert, traut Freise „dem aufstrebenden
Arkadij ein 5:3 zu. Ihm müssten Chess960-Partien eigentlich liegen, bei
seinem Sinn für versteckte Möglichkeiten in der Stellung“. Bei seinen
„Lieblings-Senioren, die früher kompromisslose Angriffsspieler waren und
heute feinsinnige Strategen mit sehr viel Gefühl für ausgefallene
Stellungen sind“, glaubt der CCM-Dauergast an ein 4:4 mit nachfolgendem
Tiebreak-Erfolg von Hort.
Sind Open-Turniere bei den meisten Events
Beiwerk, gelten in Mainz diese ebenso als Highlights. Das hängt unter
anderem mit der schieren Masse zusammen. In den Vorjahren pilgerten
insgesamt mehr als 500 Spieler zum FiNet Chess960 Open (17./18. August,
Anmeldeschluss donnerstags um 11.45 Uhr) und Ordix Open (19./20. August,
Anmeldeschluss samstags um 11.45 Uhr). Voranmeldungen deuten darauf hin,
dass diese Zahl noch einmal übertroffen wird. „Wir sind für mehr als 600
Teilnehmer gewappnet“, erklärt Organisator Hans-Walter Schmitt. Mit 436
Voranmeldungen liegt die Zahl der Teilnehmer eine Woche vor dem ersten
Zug im Ordix Open um fast ein Drittel höher als im Vorjahr! Im FiNet
Chess960 Open sind trotz der Wochentagsspielzeiten auch bereits
mindestens 200 Akteure dabei. Beide Wettbewerbe zusammen sind mit 40.000
Euro dotiert. 7.500 Euro erhält der Sieger, sollte er in beiden
Wettbewerben Platz eins belegen. Das ist jedoch kaum zu schaffen. Selbst
Aronjan und Radjabow freuten sich 2005, dass sie überhaupt in einem
Mainzer Open ganz vorne lagen und sich für höhere Aufgaben empfahlen.
Von den Top 15 sind knapp die Hälfte in der Rheingoldhalle vertreten!
Aus diesem Kreis mischen drei im Ordix- und FINet-Turnier mit: Alexander
Morosewitsch (Russland), der Shootingstar des Jahres, Schachrijar
Mamedjarow (Aserbaidschan), sowie der „Hexer von Riga“, Alexej Schirow
(Spanien). Zum Favoritenkreis zählen außerdem die ehemaligen
Top-Ten-Asse Etienne Bacrot (Frankreich) und Alexander Grischuk (Russland).
Die U20-Duellanten Naiditsch und Harikrishna rechnen sich ebenso etwas
aus an den letzten vier Chess-Classic-Tagen wie den russischen
Nationalspieler Jewgeni Barejew, der Ukrainer Andrej
Wolokitin oder der bei der Schach-Olympiade herausragende Gabriel
Sargissian, der maßgeblich mit Aronjan für armenisches Gold sorgte.
Nicht zu vergessen Ex-Weltmeister Rustam Kasimdschanow, der in
Deutschland lebende Sportstar aus Usbekistan. Der Durchschnitt der
stärksten zehn Großmeister in beiden Open liegt nur leicht unter der
magischen Grenze von 2700! Bis Anfang August hatten schon 61 Großmeister
und 13 Großmeisterinnen gemeldet. Letztlich werden wohl weit mehr als
150 Titelträger in Mainz an den Start gehen!
Wer im FiNet Open seine Partien vorzeitig
beendet hat, kann am 17. und 18. August (jeweils ab 10 Uhr) neun Runden
beim Kampf um die Livingston Chess960-Computer-WM beobachten. Im Vorjahr
setzte sich überraschend „Spike“ der Lokalmatadoren Volker Böhm und Ralf
Schäfer durch. Die Amateur-Programmierer aus Mainz und Wiesbaden
erhalten einen Tag zuvor (16. August, 10.30 Uhr) Gelegenheit,
Chess960-Weltmeister Swidler zu fordern. Zeitgleich trifft
Rekord-Computer-Weltmeister „Shredder“ des Düsseldorfers Stefan
Meyer-Kahlen auf Radjabow. Zu den Mitfavoriten in der Livingston
Chess960-Computer-WM dürfte außer „Shredder“ und „Spike“ ein weiteres
deutsches Programm, „Jonny“ von Johannes Zwanzger, zählen.
Genug der Höhepunkte bei den Chess Classic
Mainz 2006? Noch nicht ganz. Die zwei Simultans dürfen nicht vergessen
werden. Am 15. August (15.30 Uhr) tritt zum ersten Mal seit 2001 wieder
Anand an. Der traditionsreiche Rundlauf geht wie stets entlang von 40
Brettern. Fans können entweder bei den Chesstigers einen Platz erwerben oder eines von 15 Brettern bei Ebay ersteigern.
Sieben der 20 Plätze werden per Online-Versteigerung für eine
Chess960-Partie gegen Aronjan vergeben. Stars befinden sich bei den
Simultans auf beiden Seiten des Bretts: Im Simultan mit Anand misst sich
die begeisterte Hobbyspielerin Caroline „Vaile“ Fuchs. Die Sängerin, die
einer der Stars der Serie „Marienhof“ ist, wird beim Champions Dinner
zwei Lieder anstimmen.
Hartmut Metz
Gesellschaft erhält sie im Anand-Simultan
wie beim abendlichen Empfang für Sponsoren und Spieler von den
berühmtesten Finn-Rockern, noch vor „Lordi“: HIM. Die Skandinavier
vertreiben sich auf ihren Touren rund um den Globus gerne die Zeit mit
dem königlichen Spiel. Bandleader Burton freut sich auf ein Treffen mit
Anand. Das estnische Topmodel Carmen Kass wird ebenso wieder Mainz seine
Aufwartung machen. Zu den Ehrengästen zählt überdies Bessel Kok. Den bei
der FIDE-Präsidentschaftswahl gescheiterten Geschäftsmann will
CCM-Organisator Schmitt für die zunehmend populärer werdende
Chess960-Gemeinde gewinnen.
Detaillierte Informationen und neue
Nachrichten zu den Chess Classic Mainz finden sich regelmäßig auf
www.chesstigers.de.