Chess Classic „... weil Chess960 vom ersten Zug an spannend ist“ Die Chess960 Computer Weltmeister Volker Böhm und Ralf Schäfer im Gespräch.
07.08.2006 - Nicht nur einen Weltmeistertitel müssen Volker Böhm und Ralf Schäfer in wenigen Tagen bei der zweiten Livingston Chess960 Computer Weltmeisterschaft verteidigen. Darüber hinaus haben sich die beiden Computerschach-Experten in einem Projekt der Chess Tigers engagiert, bei dem es darum geht, die Zuschauer in der Rheingoldhalle live über das Spielgeschehen auf der Bühne zu informieren. Und außerdem treten die beiden im Rahmenprogramm der Chess Classic auch noch in einem Match „Mensch gegen Maschine“ an, und zwar gegen keinen geringeren als Super GM und Chess960 Weltmeister Peter Svidler. Mit welchen Erwartungen kommen die beiden nach Mainz? Worum geht es in dem gemeinsamen Projekt mit den Chess Tigers? Wo liegen die Unterschiede zwischen traditionellem Schach und Chess960 aus der Sicht von Computerschach Experten? Mark Vogelgesang spricht mit den Weltmeister-Programmierern.
Was war Eure Motivation, Spike Chess960 fähig
zu machen? Wie groß der Aufwand?
Volker: Unsere Motivation war die Einladung der
Chess Tigers zur Chess960 Weltmeisterschaft, die im August letzen Jahres im
Rahmen der Chess Classic Mainz ausgetragen wurde. Die Einladung klang recht
verlockend und so haben wir uns spontan entschlossen, mit zu machen. Der
Aufwand war nicht so hoch, vielleicht ein Manntag, als ich die Rochade
eingebaut habe, plus vielleicht noch einen weiteren Tag Testarbeit. Die Arbeit
begann ungefähr acht Wochen vor dem Event, den letzten Fehler habe ich drei
Wochen vor dem Event gefunden. Ich habe dann noch eigens für die WM eine
Benutzeroberfläche für Spike geschrieben.
Volker Böhm (links) und Ralf Schäfer bei der Livigston Computer WM in 2005
Ralf: Ursprünglich hatten wir vor, eine eigene
Bewertungsfunktion für Chess960 zu entwickeln. Wir waren beide überzeugt, dass
dies notwendig sei, um bei einem so stark besetzten Event nicht unterzugehen.
Dann hat uns aber eine Reihe von Testpartien gezeigt, dass unsere
Bewertungsfunktion auch im Chess960 gute Ergebnisse liefert. Wir spielten
damals Testmatches gegen andere starke Chess960 Engines, insbesondere gegen
Pharaon, The Baron und Glaurung. Die Ergebnisse waren für uns insofern
überraschend, da Spike mit seiner Bewertungsfunktion aus dem traditionellen
Schach auch im Chess960 sehr gut zurecht kam. Das hat uns überrascht, hat aber
auch die Teilnahme an der Chess960 WM erleichtert.
Welche besonderen Stärken bietet Spike? Hat es auch
Schwächen?
Ralf: Spike ist inzwischen ein guter All-rounder,
mit einer gewissen Vorliebe zum aggressiven Spiel. Früher hatte Spike gegen die
starken Programme Vorteile im rein taktischen Bereich, heute aber können wir
diese Vorteile nicht mehr erkennen. Der Ruf von Spike, ein „Taktikmonster“ zu
sein, ist heute zumindest im Vergleich zu den Top Engines überholt.
Eine kleine Schwäche sehe ich eventuell im Bereich
Königsangriff. Spike spielt gerne aggressiv, treibt auch einen Königsangriff,
nachdem er einmal gestartet ist, gut voran. Problematisch sind aber manchmal
Situationen, in denen beide Engines einen Königsangriff starten. Dann fällt es
Spike manchmal schwer, abzuschätzen, welcher Angriff gefährlicher ist und
schneller zum Durchbruch führt - gelegentlich mit fatalen Folgen.
Volker: Schwächen kann es immer nur im Vergleich mit
anderen Programmen geben. Im Vergleich zu Rybka zum Beispiel ist Spike nicht so
stark beim Übergang vom Mittelspiel ins Endspiel, aber gerade da ist Rybka im
Moment sicher das Maß aller Dinge im Computerschach.
Wenn Spike eine besondere Stärke hat, dann sehe ich
die im Bereich „effektive Figurenentwicklung“ oder allgemein „Figurenspiel“
oder noch besser „wirkungsvoller Einsatz der Figuren im Mittelspiel“. Spike
bring seine Figuren auch ohne spezielles Eröffnungsbuch schnell auf Felder, wo
sie Wirkung entfalten können. Genau das ist wahrscheinlich auch der Grund,
warum Spike im Chess960 besonders gut abschneidet.
Was habt Ihr mit dem Preisgeld gemacht, das
ihr letztes Jahr in Mainz gewonnen habt?
Volker: Wir haben natürlich gerecht geteilt! Meinen
Anteil am Preisgeld habe ich ausgegeben, um einen speziellen Schach-Rechner zu
bauen, der ganz gezielt aufs Computerschach hin optimiert ist. Mit diesem
Rechner sind wir dann in Turin bei der Computer WM im traditionellen Schach
angetreten und haben das Event als bestes Amateur-Team beendet.
Wie habt Ihr Euch die Arbeit an Spike
aufgeteilt?
Ralf: Ich bin zuständig für die Bewertungsfunktion,
Volker macht alles andere, also die Suchfunktion, die Benutzeroberfläche und
Programmteile wie zum Beispiel den Code für den Zugriff auf die Endspiel
Datenbanken.
Wie kam es zu dieser Aufgabenteilung? Ist
Ralf der stärkere Schachspieler von Euch beiden?
Volker: Von stärker oder schwächer kann man was
unser Schachspiel angeht kaum reden. Früher haben wir manchmal gegeneinander
gespielt. Daher weiß ich, wir sind beide schwach. Nein, der Grund, warum ich
den Search, also die Suchfunktion, mache und Ralf die Bewertung hat einfach
damit zu tun, wie das Projekt Spike damals angefangen hat.
Wie fing das Projekt Spike
denn an?
Volker: Wir saßen im März 2004 im Winterurlaub
nach dem Schifahren zusammen und haben uns überlegt, wie eine spielstarke
Schach-Engine eigentlich aufgebaut sein müsste. So fing alles an. Wir hatten
beide vorher schon unabhängig voneinander Schachprogramme geschrieben und da
wir vieles gemeinsam unternehmen, haben wir damals beschlossen, auch gemeinsam
ein Schachprogramm zu schreiben. Nach dem Schiurlaub hatte ich noch eine Woche
Urlaub und fing mit dem Programmieren an. Und anfangen muss man mit einem
Zuggenerator und einer Suchfunktion. Der Aufgabenteilung liegt also nicht
irgendeine tiefsinnige Überlegung zugrunde, sondern einfach die Tatsache, dass
ich nach dem Schiurlaub noch eine Woche frei hatte.
Wie sieht eure Vorbereitung auf die WM in
Mainz aus?
Volker: Wir werden noch mal prüfen, ob Spike die
Rochade im Chess960 regelgerecht spielt.
Ralf: Eine spezielle Vorbereitung gibt es nicht, da
wir festgestellt haben, dass Bewertungsfunktion von Spike für Chess960 nicht
angepasst werden muss. Wir werden mit der neuen Version Spike 1.3 x1 antreten.
Dabei steht x1 für „experimentell“. Unser Ziel ist es, nochmals rund 20 ELO an
Spielstärke gegen der aktuellen Version 1.2 rauszuholen. Wir entwickeln Spike
bis kurz vor der WM weiter, aber eine Woche vor dem Turnier wird die
Entwicklung eingestellt und es wird nur noch getestet.
Wird es Spike nach der WM weiterhin kostenlos
geben? Oder habt Ihr konkrete Pläne, ins Lager der kommerziellen Programmierer
zu wechseln?
Ralf: Das ist eine schwierige Frage, über die wir
auch selbst diskutieren. Für uns ist Computerschach ein Hobby, es macht uns
viel Spaß. Ich habe kein Interesse daran, dieses Hobby mit den ganzen
„overhead“ zu belasten, der mit einer kommerziellen Verwertung von Spike nun
mal einher gehen würde. Auf der anderen Seite haben wir aber auch nicht die
Absicht, den Programmieren, die tolle Arbeit im Bereich Computerschach machen
und davon leben, durch eine kostenlose Version von Spike das Leben noch schwer
zu machen. Wer heute vom Schach-Programmieren leben will, hat es sowieso schon
schwer genug.
Volker: Die Lösung aus unserer Sicht ist
wahrscheinlich, dass es Spike solange kostenlos geben wird, solange Spike nicht
stärker ist wie die kommerziellen Engines auf dem Markt. Sollten wir
feststellen, zum Beispiel bei der Chess960 Computer WM, dass wir gegenüber den
bekannten kommerziellen Programmen die Nase vorne haben, dann werden wir
entweder Spike zur privaten Engine machen, oder aber schweren Herzens doch dem
Thema kommerzielle Verwertung näher treten müssen. Was wir auf keinen Fall
wollen, ist, den ohnehin kleinen Markt für kommerzielle Schach-Engines durch
einen kostenlosen Spike noch kleiner zu machen.
Welches Programm ist für Euch der
Turnierfavorit, welches Euer Geheimtipp?
Ralf: Shredder ist schon so etwas wie der
„offizielle“ Favorit für das Event. Ich glaube, dass Stefan mit der Performance
von Shredder bei der Chess960 WM im letzten Jahr nicht zufrieden war, und
deshalb hoch motiviert ist, in diesem Jahr ganz vorne mitzuspielen. Geheimtipp
ist für mich Jonny. Aber auch Pharaon traue ich den Turniersieg zu.
"Offzieller" Favorit gegen Geheimtipp: Stefan Meyer-Kahlen (Shredder) gegen Franck Zibi (Pharaon) bei der Livigston Computer WM in 2005
Volker: Loop List von Fritz Reul ist ja inzwischen
kein Geheimtipp mehr, weil allen Experten klar geworden ist, wie enorm stark
dieses Programm spielen kann. Fritz hat einen phantastischen Job gemacht. Jonny
von Johannes Zwanzger ist mein Geheimtipp. Wenn die Fähigkeiten als
Schachspieler den Ausschlag gegen würden, dann würde Johannes uns alle ziemlich
alt aussehen lassen.
Was macht Ihr beruflich?
Volker: Ich bin Diplom-Informatiker, habe in
Kaiserslautern studiert und arbeite heute als „Software Architekt“ an der Entwicklung
von Software im Bereich Architektur.
Ralf: Ich bin genau wie Volker ebenfalls
Informatiker mit Abschluss aus Kaiserslautern. Heute arbeite ich bei einer
Versicherung in der Software-Entwicklung. Volker und ich kennen uns schon seit
vielen Jahren, genau genommen seit 1985.
Welche Unterschiede habt Ihr festgestellt
zwischen traditionellem Schach und Chess960?
Volker: Im traditionellen Schach gibt’s
Eröffnungsbücher, im Chess960 nicht. Und die Rochaderegeln sind anders! Aber
mal im ernst: wir glauben, dass die Unterschiede nicht so groß sind. Die
Tatsache, dass wir mit der gleichen Bewertungsfunktion im Chess960 und im
traditionellen Schach gute Ergebnisse erzielen können, scheint das zu
bestätigen.
Wie kamt Ihr in Berührung mit dem
Computerschach?
Ralf: Schon sehr früh. Ich habe mit 12 Jahren meinen
ersten Schachcomputer bekommen, und habe dann Wettkämpfe organisiert, in denen
ich mit meinem Computer gegen die Computer meiner Freunde angetreten bin.
Nachdem ich 16 wurde, standen aber erst mal andere Interessen im Vordergrund.
Volker: Mit 16 oder 17 habe ich mir von meinem
gesparten Taschengeld einen Mephisto MM2 gekauft und ziemlich oft gegen ihn
gespielt. Außerdem habe ich immer eifrig die Computerschach & Spiele
gelesen. Mit großer Spannung habe ich als Jugendlicher besonders die
Computerschach WMs verfolgt. Damals war das Programm Cray Blitz von Bob Hyatt
das Maß aller Dinge. Eine einzige Rechenstunde auf dem Cray-Superrechner, auf
dem das Programm lief, hat damals 10 000 Dollar gekostet. Diese Zahl hat mich
enorm beeindruckt, so dass ich mich heute noch an diese Zahl erinnern kann.
Habt Ihr für das Match der Weltmeister „Spike
gegen Peter Svidler“ schon Rechenzeit auf einem Cray gemietet?
Volker: Wir spielen auf einem Laptop, der von dem
Sponsor und Namensgeber der Computer WM zur Verfügung gestellt wird, der Firma
Livingston. Bei dem Rechner handelt es sich um einen Laptop mit Dual-Core, also
ein Gerät, dass bei rechenintensiven Aufgaben gut abschneidet.
Ralf: Dieser Cray von damals für 10 000 Dollar die
Stunde hat an Rechenpower vielleicht so viel wie mein Handy. Mit dem Dual-Core
Laptop kann man das schon gar nicht mehr vergleichen. 6 bis 8 Halbzüge war
damals das Maximum, mit dem Dual-Core sind da schon mal 17 bis 18 Halbzüge
drin.
Was reizt Euch am Computer-Schach?
Volker: Wir sind dabei, weil wir Spaß daran haben,
sozusagen wettkampf-mäßig zu programmieren. Für mich ist Computer Schach eine
schöne Form der Freizeitgestaltung.
Ralf: Außerdem kann ich in der Schachprogrammierung
endlich mal viele Techniken einsetzen, die ich mir im Studium mühevoll
angeeignet habe, die aber im Berufsleben einfach nicht einsetzen kann.
Was interessiert Euch persönlich am Chess960?
Ralf: Die Profis unter den Schachprogrammierern
haben für Turniere optimierte Eröffnungsbücher. Da ist es kaum noch möglich,
eine Stellung aufs Brett zu bekommen, mit der das Profiprogramm nicht gut
umgehen kann. Bei Chess960 erhoffen wir uns hier mehr Möglichkeiten. Außerdem
liegt für mich ein Reiz darin, dass im Chess960 eine Partie wirklich schon mit
dem ersten Zug beginnt. Das macht Chess960 für mich so spannend. Man sieht
schon vom ersten Zug an, was das Programm spielt, und muss nicht erst durch
eine mehr oder weniger langweilige Eröffnungsphase hindurch, in der das
Programm nichts zu tun hat. Solange aus dem Buch gespielt wird, ist eine
Computer Partie im traditionellen Schach für mich als Programmierer nicht so
spannend. Beim Chess960 wird vom ersten Zug an gespielt.
Außer der Titelverteidigung im Computerschach
wartet auf der Chess Classic noch ein ganz besonderes Match auf Euch: der Kampf
gegen den Chess960 Weltmeister Peter Svidler. Welche Chancen seht Ihr für Spike
im Kampf gegen einen Super GM?
Volker: Wie unsere Chancen stehen, darüber habe ich
mir überhaupt keine Gedanken gemacht. Wir freuen uns einfach auf die
Gelegenheit, gegen einen der stärksten Spieler der Welt antreten zu können. Wir
haben Spike noch nie gegen einen wirklich starken Großmeister spielen gesehen.
Wir sind einfach nur wahnsinnig neugierig, was dann passiert.
Ralf: Wenn uns jemand vor zwei Jahren gesagt hätte,
dass wir in 2006 auf der Bühne der Rheingoldhalle gegen Peter Svidler ein Match
spielen werden, dann hätten wir ihn für verrückt erklärt. Ich freue mich
einfach auf dieses Match, das Ergebnis sehe ich nicht so verbissen.
Mensch gegen Maschine 2005: Chess960 Weltmeister Svidler besiegt "The Baron" von Richard Pijl 1,5:0,5. Kann er auch Spike schlagen?
Wie seht Ihr die Zukunft der Wettkämpfe
Mensch gegen Maschine?
Volker: Ich glaube, dass der Wettkampf Mensch gegen
Maschine immer noch eine Menge zu bieten hat. Leider habe ich aber inzwischen
den Eindruck, dass Begegnungen zwischen Mensch und Maschine auf dem höchsten
Niveau immer schwerer zu organisieren sind und nur noch sehr selten zustande
kommen. Woran das liegt, vermag ich nicht genau zu sagen. Vielleicht sind diese
Begegnungen einfach zu sehr mit Klischees aufgeladen worden. Hier sollte mit
weniger Verbissenheit agiert werden. Die Freude am Spiel und am Experiment soll
im Vordergrund stehen.
Ralf: Bei dem Match gegen Peter Svidler geht es auch
nicht darum, dass unser Programm Spike einen Menschen oder gar die Menschheit
besiegt. Mit solchen Formulierungen kann ich nichts anfangen. Ich freue mich
einfach darauf, gegen einen wirklich starken Großmeister antreten zu können,
egal, wie das Match ausgeht.
Volker: Bei den Mensch Maschine Matches, die im
Rahmen der Chess Classic ausgetragen werden, ist es ja auch Teil des
Regelwerkes, dass das Schach-Programm ohne Endspiel-Datenbank antritt. Also ist
Spike nicht nur in der Eröffnung, sondern auch im Endspiel auf sich alleine
gestellt und muss selbst entscheiden, welcher Zug der beste ist. Ohne
Endspiel-Datenbank anzutreten war für uns überhaupt kein Problem, wir finden
das völlig okay.
Hat der Mensch im Kampf gegen den Computer im
Chess960 einen Vorteil, weil das Eröffnungsbuch wegfällt? Oder einen Nachteil,
weil von Anfang an gerechnet werden muss?
Volker: Ich glaube, der Mensch ist hier im Nachteil,
weil er nicht in gewohnte Stellungsbilder und Positionen hineinkommt. Der
Computer kennt dieses Problem nicht, und der Wegfall des Eröffnungs-Buches ist
für Schach-Programme heute kein großes Problem mehr. Moderne Programme können
sich auch ohne Eröffnungs-Buch gut entwickeln. Außerdem ist Eröffnungswissen
beim Menschen mehr als nur eine Ansammlung von auswendig gelernten Zügen. Ein
Großmeister weiß zum Beispiel, wie er Eröffnungsfehler des Gegners bestrafen
kann, ohne dafür eine bestimmte Zugfolge auswendig gelernt zu haben. Dieses
Spezial-Wissen hilft ihm aber beim Chess960 nicht unbedingt weiter.
Wer ist Euer Favorit im Kampf um die Krone im
Chesss960? Euer Gegner Peter Svidler oder sein Herausforderer Levon Aronian?
Ralf: Ich traue mir keine Prognose zu. Derjenige,
der den vorletzten Fehler macht. Levon kam ja im letzten Jahr oft bei der
Computer WM zum Kibitzen vorbei. Er wirkte ziemlich entspannt. Ob er aber einen
Spieler vom Format von Peter Svidler schlagen wird, kann ich nicht einschätzen.
Eurer Engine Spike soll auf der CCM6 ja nicht
nur im Wettkampf eingesetzt werden, sondern auch die Zuschauer im Saal darüber
informieren, wie Spike die Stellung der Partien zwischen Anand und Radjabov und
zwischen Svidler und Aronian einschätzt. Wie kam es zu diesem Projekt?
Ralf: Die Idee kommt nicht von uns, sondern von den
Organisatoren der Chess Classic. Die Chess Tigers haben uns angesprochen, ob
wir damit einverstanden wären, dass Spike als offizieller Chess960 Computer
Weltmeister dafür eingesetzt wird, die Zuschauer in der Rheingoldhalle „live“
darüber zu informieren, wie Spike die Stellung der Partien zwischen Anand und
Radjabov und zwischen Svidler und Aronian einschätzt.
Volker: Im Gespräch hat sich dann gezeigt, dass
unsere Spike-Benutzeroberfläche mit bestimmten Modifikationen für diese Aufgabe
eingesetzt werden kann. Die Chess Tigers haben die Anforderungen definiert, und
wir haben eine Spezial-Version der Spike Benutzeroberfläche entwickelt, die auf
diese Aufgabe zugeschnitten ist.
Spike muss doch ständig überprüfen, ob auf
der Bühne ein neuer Zug ausgeführt wurde. Trotzdem soll sich Spike möglichst
tief in eine Stellung hineinrechnen. Wie vereinbart ihr diese beiden
gegensätzlichen Ziele?
Volker: Grundsätzlich sind das zwei verschiedene
Aufgaben. Spike macht nichts anderes, als ständig die Stellung auf dem Brett zu
analysieren. Die Benutzeroberfläche prüft, ob auf der Bühne ein neuer Zug
ausgeführt wurde. Nur dann, wenn ein neuer Zug vorliegt, übergibt die
Oberfläche die neue Stellung an Spike. Solange also kein neuer Zug vorliegt,
rechnet Spike ohne Unterbrechung an der Stellung, über die auch die Großmeister
auf der Bühne brüten.
Ist das Programm, das die Zuschauer
informiert, identisch mit dem Programm, mit dem ihr euren WM-Titel verteidigen
werdet?
Ralf: Ja, hier kommt genau das Programm zum Einsatz,
mit dem wir die Computer WM bestreiten.
Was genau wird denn für die Zuschauer
gezeigt?
Volker: Die Stellungsbewertung, also eine Zahl, die
anzeigt, wie Spike die Stellung einschätzt. Plus 2 bedeutet Spike sieht Weiß
mit zwei Bauerneinheiten vorne, minus 0.5 bedeutet, Schwarz liegt mit einer
halben Bauerneinheit vorne. Außerdem zeigen wir die Historie dieser
Stellungsbewertung in Form eines Charts. Ein Zuschauer kann sich also durch
einen Blick auf den Chart ein Bild davon verschaffen, wie der Vorteil in der
Partie zwischen den beiden Kontrahenten bislang hin- und hergewandert ist.
Die Zuschauer live über den Partieverlauf informieren: die siebte Partie des
Matches Anand Grischuk nach 14 Zügen
Wie seht Ihr die Gefahr, dass Spike die
Stellung auf dem Brett nicht versteht?
Ralf: Es kann schon passieren, dass Spike eine
Position falsch einschätzt. Wahrscheinlich ist das bei der Spielstärke von
Spike aber nicht. Viel wahrscheinlicher ist es, dass Spike für die Zuschauer
taktische Überseher eines Spielers auf der Bühne durch einen dramatischen
Ausschlag anzeigt. Es kann also sein, dass wie bei der Fußball-WM ein Raunen
durch die Menge geht, wenn ganz plötzlich eine Riesen-Torchance entsteht.
Wenn Spike ein Matt findet, was wird dann
angezeigt?
Ralf: Spike informiert dann darüber, wie viele Züge
es bei bester Verteidigung noch dauert, bis es zum Matt kommt. Ein akustisches
Warnsignal gibt es nicht, auch kein schadenfrohes Lachen aus dem Lautsprecher
des Computers.
In der Computer WM im traditionellen Schach,
die im Rahmen der Schach-Olympiade in Turin stattfand, konnte sich Stefan
Meyer-Kahlens Programm Shredder vor Spike platzieren, auch wenn die Partie
Shredder gegen Spike remis ausging. Im Chess960 hatte Spike bei der WM in Mainz
klar die Nase vorn, und schlug mit den schwarzen Steinen Shredder im direkten
Aufeinandertreffen der beiden Programme überzeugend. Wie erklärt Ihr Euch die
besondere Stärke von Spike im Chess960?
Vorentscheidung in 2005: Shredder gegen Spike aus der Sicht von Shredder
Ralf: Das ist enorm schwer zu sagen. Eine Partie
lässt natürlich keinen Rückschluss darüber zu, welche Engine wirklich stärker
ist. Ich vermute aber, dass die Fähigkeit von Spike, Figuren schnell und
effizient zu entwickeln gerade beim Fehlen von Eröffnungsbüchern voll zum
Tragen kommt. Shredder hat hier im letzten Jahr manchmal Schwächen gezeigt, zum
Beispiel in der Partie gegen Zoltan Almasi, aber auch in der Partie gegen uns,
in der die Dame zu früh ins Spiel kam und Spike sich so mit Tempo entwickeln
konnte.
Ist in eurer Einschätzung Computer Chess960
stärker von Taktik geprägt als traditionelles Schach? Oder entscheiden im
Chess960 eher die Fähigkeiten des Programms im Bereich der Strategie und der
Stellungsbeurteilung?
Ralf: Klassisches Schach ist nur eine von 960
möglichen Stellungen im Chess960. Damit ist das traditionelle Schach eine
Untermenge des Chess960. Warum sollten im normalen Schach andere Regeln gelten
wie im Chess960? Unsere Arbeit an Spike lässt mich vermuten, dass Taktik im
Chess960 keine größere Rolle spielt als im traditionellen Schach.