Chess Classic „Ich will Anand schlagen“ Kämpferherz Radjabow zeigt seit Kindesbeinen an wenig Respekt vor großen Namen / Schnellschach-WM im August: Duell mit Inder in Mainz
03.08.2006 - Teimour Radjabow gilt als Schach-Wunderkind: Mit vier Jahren hat der Aserbaidschaner das königliche Spiel erlernt. Mit 12 gewann er als jüngster Teilnehmer die U18-Europameisterschaft und wurde im Alter von 14 Jahren und 14 Tagen Großmeister. Ein weiterer Paukenschlag war sein Sieg über den ebenfalls in Baku geborenen Weltranglistenersten Garri Kasparow beim Topturnier im spanischen Linares. 2004 kam Radjabow bei der WM des Schach-Weltverbandes FIDE in Tripolis bis ins Halbfinale. Der selbstbewusste 19-Jährige rückte in der neuesten Weltrangliste auf Platz elf vor. Bei den Chess Classic Mainz (CCM) vom 15. bis 20. August steht der Jungstar vor der nächsten großen Herausforderung seiner Karriere: Der junge Unicef-Botschafter trifft in der GrenkeLeasing Rapid World Championship in acht Partien (17. bis 20. August, täglich um 18.30 und 20 Uhr) auf Schnellschach-Seriensieger Viswanathan Anand (Indien). Mit Radjabow unterhielt sich Hartmut Metz
Frage: Herr
Radjabow, nach Ihrem Vorjahressieg im Ordix Open trugen Sie
Chess-Classic-Organisator Hans-Walter Schmitt gleich Ihren sehnlichsten
Wunsch vor, gegen Viswanathan Anand antreten zu dürfen.
Radjabow: Es ist
für mich ein besonderes Match. Ich möchte gegen einen der absolut Besten
meine Kräfte messen. Ich habe bisher nur 2002 einmal gegen Vishy in
Dubai im Schnellschach gespielt. Da bin ich noch vor Ehrfurcht erstarrt.
Ich war zu jung und voller Bewunderung. Ich glaubte, der Bursche sei
überragend und superstark. In den vier Partien des vom Weltverband FIDE
organisierten Grand Prix’ im Schnellschach lief es dann aber ganz gut.
Ich bekam das Gefühl, dass ich doch eine Chance habe. Letztlich unterlag
ich dennoch mit 1:3. Ich bin seitdem stärker geworden, Vishy hat jedoch
auch sein Repertoire stark verändert. Es ist somit sehr schwer, sich auf
ihn vorzubereiten.
Frage: Im
Schnellschach gilt Anand als eine Klasse für sich.
Radjabow: Ich
weiß. Er ist im Schnellschach der Beste und ein großer Spieler. Ich will
mich aber nicht zu sehr damit beschäftigen, sondern einen harten Kampf
bieten. Ich kümmere mich nicht um die Meriten meines Gegners. Ich will
das Match gewinnen.
Frage: Sie haben
nach Ihrem Sieg im Ordix Open im Vorjahr sogar angeboten, auf jegliche
Antrittsgage zu verzichten, um die Chance gegen den weltbesten
Schnellschachspieler zu erhalten. Sind Sie immer so begierig?
Radjabow: Schach
ist mein Leben. Da halte ich es ganz mit dem viermal älteren Viktor
Kortschnoi, von dem diese Aussage stammt. Ich kümmere mich nicht zu sehr
um Geld. Wenn ich viel bekomme, fein. Wenn nicht, bin ich auch
glücklich. Mein oberstes Ziel besteht darin, Weltmeister zu werden. Dem
ordne ich alles unter.
Frage: Welche
Chancen rechnen Sie sich gegen Anand aus?
Radjabow: Ich
habe kein bestimmtes Resultat im Auge. Wir könnten sieben Remis schieben
und in einer langen Partie das Duell auskämpfen. Dann wäre es knapp
4,5:3,5 für einen Spieler – aber das wäre bescheuert für die Fans und
mich. Ich will kämpfen und die Qualität der Partien muss höchsten
Ansprüchen genügen. Wenn ich alles gegeben habe und dann verliere, macht
es mir nichts. Aber natürlich möchte ich Vishy schlagen.
Frage: Es
scheint, dass Sie keine Furcht vor großen Namen haben. Bedingen das
Erfolge wie Siege über Garri Kasparow in jungen Jahren?
Herausforderer
GM Teimour Radjabow
Radjabow: Ich
bin es von Kindesbeinen an gewohnt, gegen die Topspieler anzutreten.
Seit ich 14 oder 15 bin, messe ich mich mit den Besten. Spätestens als
ich Garri in Linares schlug, hielt mich jeder für einen aufsteigenden
Stern. Es macht natürlich einen Unterschied aus, ob ich auf einen Gegner
mit 2200 Elo oder einen mit 2800 wie Garri treffe und schlage – ich
versuche aber, immer in jeder Partie alles zu geben.
Frage: Kasparow
stammt wie Sie aus Baku. Ist er Ihr großes Vorbild?
Radjabow: Als
Schachspieler kann man ihn nicht übergehen oder gar unterschätzen. Er
hat die Schachwelt geprägt und zahllose Erfolge gefeiert.
Frage: Nach
Bewunderung hört sich das aber nicht an.
Radjabow: Ich
bewundere seinen Stil! Keine Frage, er ist ein großer Spieler. Meine
Favoriten sind jedoch Michail Botwinnik, Anatoli Karpow und Bobby
Fischer. Nicht zu vergessen Michail Tal! Er sticht aus der Menge hervor
und war sehr wichtig für die Entwicklung des Schachs. Mit solch einem
aggressiven Stil Weltmeister zu werden, ist außerordentlich. Ich liebe
sein taktisches Vorgehen, die Motive, die er einbrachte.
Frage: Am
liebsten würden Sie also im Stile eines Michail Tal spielen?
Radjabow: Ich
kann nicht behaupten, einer bestimmten Stilrichtung anzugehören. Ich
versuche mich den Stellungsgegebenheiten anzupassen. Wenn positionelles
Spiel erforderlich ist, versuche ich das, wenn Taktik und Aggressivität
verlangt wird, schreite ich damit zur Tat. Ich kämpfe immer, das schlägt
sich in meiner Bilanz mit wenigen Unentschieden und mehr Siegen und
Niederlagen nieder.
Frage: Während
viele Großmeister mit Schwarz auf den halben Punkt erpicht sind,
erinnere ich mich bei Ihnen an manch lebhafte Königsindisch-Partie …
Radjabow
(lacht): Ja, stimmt. Mein Sieg über Weltmeister Wesselin Topalow beim
diesjährigen Turnier in Morelia/Linares fällt auch unter diese Rubrik.
Frage: Da dürfen
wir sicher ein paar weitere spektakuläre Königsindisch-Partien erwarten,
wenn Sie im WM-Duell zweier schneidiger Kämpfer Topalow herausfordern.
Radjabow: Das
sind natürlich Eröffnungsgeheimnisse. Aber zugegeben, ich bereite
natürlich einiges für ihn vor.
Frage: Im
nächsten Jahr knüpfen Sie sich nach Anand den nächsten Großen vor:
Wesselin Topalow. Wie bewerten Sie Ihre Chancen auf einen Sieg über den
FIDE-Weltmeister?
Radjabow: Auch
hierbei gilt: Ich sorge mich nicht zu sehr um das Endergebnis, auch wenn
mein Ziel lautet, irgendwann Weltmeister zu werden. Ich will neue
Eröffnungsideen und taktische Motive zeigen, eine bestimmte Kreativität.
Das zählt. Gelingt es mir, kann ich jeden Gegner in die Knie zwingen.
Frage: Wie kam
es, dass in Aserbaidschan eine Million Dollar aufgetrieben wurde, um die
Herausforderung des Weltmeisters zu ermöglichen? Die Schachwelt zeigte
sich überrascht von der Offerte.
Radjabow: In
meinem Heimatland mögen viele Schach, und das Interesse wächst weiter.
Der Staatspräsident unterstützt jede Art von Sport. Das hilft natürlich.
Auf die Idee mit dem WM-Match gegen Topalow verfiel unser Sportminister,
der auch alle Verhandlungen führte. Ich will Weltranglistenerster werden
und auch Weltmeister. Als die FIDE im Vorjahr die Titel-Regularien
änderte, kam die Chance schneller als gedacht. Ich nehme die
Herausforderung an. Und wenn ich verlieren sollte, was macht’s? Ich bin
jung.
Frage: Ist
Schach so populär in Ihrem Heimatland? Gibt es noch andere Sportarten,
die die Fans ähnlich begeistern?
Radjabow:
Fußball natürlich, auch wenn die momentan kein Weltklasseniveau haben.
Im Ringen sieht das schon anders aus. Da besitzt Aserbaidschan einige
Weltmeister bei den Herren und im Nachwuchsbereich.
Frage: Was
passiert, wenn Topalow im Herbst beim Wiedervereinigungsmatch der
Weltmeister gegen Wladimir Kramnik unterliegen sollte?
Radjabow: Keine
Ahnung. Ich bin in die Verhandlungen und die Schachpolitik nicht
eingebunden. Ich mutmaße allerdings, dass unser Sportminister und unser
Schachverband dann Verhandlungen mit Kramnik aufnehmen würden.
Frage: Sie
erhalten von den Jungstars die schnellste Gelegenheit, den WM-Thron zu
besteigen. Wie schätzen Sie die anderen Talente ein?
Radjabow: Sie
meinen diese Carlsens, diese Karjakins? Mehr sind da nicht, oder?
Alexander Grischuk und Ruslan Ponomarjow sind schon über 20 und zählen
als Etablierte nicht mehr dazu. Zu meiner Generation zähle ich Leute wie
Hikaru Nakamura. Carlsen und Karjakin werden natürlich immer stärker.
Ich möchte nicht egoistisch erscheinen, aber ich achte mehr auf meine
eigene Entwicklung.
Frage: Im
letzten Jahr war mehr von den noch jüngeren Großmeistern wie dem
16-jährigen Sergej Karjakin und dem 15-jährigen Magnus Carlsen die Rede.
Fühlen Sie sich im Vergleich zu denen unterschätzt?
Hartmut Metz
Radjabow: Mit 16
wäre ich vielleicht neidisch gewesen. Mit 19 plagen mich solche Gefühle
nicht mehr. Ich bin mit Karjakin befreundet. Carlsen kenne ich zu wenig.
Ich sehe nur seine Erfolge, die er bei Turnieren feiert.
Ich traf erst jetzt bei
der Olympiade auf ihn, und wir lieferten uns einen heißen Tanz. Ich
denke, beide gehören zu der kommenden Generation im Kampf um den Titel –
und deswegen muss ich sie im Auge behalten.