Chess Classic Naiditsch will „eine Schippe drauflegen“ Deutsche Nummer eins spielt in Mainz um U20-WM im Chess960
26.07.2006 - Arkadij Naiditsch und der Deutsche Schachbund (DSB): Eine große Liebesgeschichte wird es wohl nie werden. Immerhin rauften sich die Beteiligten endlich zusammen, und der gebürtige Rigaer vertrat nach zehn Jahren in seiner neuen Heimat die deutsche Nationalmannschaft bei der Schach-Olympiade. Die Nummer 46 der Welt bewies in Turin am Spitzenbrett, dass er mit den ganz Großen der Zunft mithalten kann. Dies möchte der 20-Jährige auch wieder bei den Dortmunder Schachtagen (29. Juli-6. August) zeigen, bei denen er vor der eigenen Haustür die Elite 2005 sensationell hinter sich ließ. Anschließend tritt die deutsche Nummer eins bei den Chess Classic Mainz (15.-20. August) an. Mit Arkadij Naiditsch, der bereits mit 15 Großmeister wurde, unterhielt sich Hartmut Metz.
Arkadij Naiditsch
Frage: Herr
Naiditsch, wie war es bei der Olympiade in Turin, erstmals für
Deutschland zu spielen?
Naiditsch: Wir
haben sicher nicht allzu gut abgeschnitten. Wir waren an Position 14
gesetzt und belegten Platz 15. Meiner Meinung nach hätten wir weiter
vorne landen können. Mein eigenes Ergebnis möchte ich als gut
einschätzen. Ich lag vor meiner zweiten Niederlage bei einer Performance
von 2780 Elo. Letztlich lag sie knapp über 2700.
Frage: Ihr
Abschneiden am Spitzenbrett war exzellent mit 6/10. Remis gegen die
Ex-Weltmeister Anand und Kasimdschanow, nur Niederlagen gegen
Weltmeister Kramnik und den 15-jährigen Schach-Mozart Carlsen, der Sie
einmal mehr noch übertölpelte.
Naiditsch: Gegen
Carlsen läuft es gar nicht für mich. Schon in Wijk aan Zee hatte ich mit
einer Qualität mehr gegen ihn verloren. In Sarajevo erging es mir kaum
besser: In der ersten der zwei Partien stand ich völlig auf Gewinn und
verpatzte es ins Remis.
Frage: Liegt es am
außergewöhnlichen taktischen Geschick des jungen Burschen?
Naiditsch: Jeder
hat eben Gegner, die einem besser oder schlechter liegen. Gegen Carlsen
tue ich mir schwer, dafür ist Sergej Karjakin mein Lieblingsgegner.
Gegen ihn habe ich 5,5/6 – normalerweise kann man die nicht holen. Er
spielt gegen mich eben sehr schlecht, oder vielleicht nicht schlecht,
sondern unglücklich.
Frage: Dann gleicht
es sich für Sie wenigstens gegen die beiden Jungstars aus. Doch zurück
zum Abschneiden des Teams: Ihr Fazit mit dem geteilten elften Platz
klingt sehr enttäuscht.
Naiditsch: Ich
hoffte auf einen Platz unter den ersten Zehn, dass wir weiter nach vorne
kommen.
Frage: Weshalb
wurde Ihr Ziel verpasst?
Naiditsch: Unserer
Mannschaft fehlen Profis. Die meisten meiner Mannschaftskameraden
schnitten eher durchschnittlich ab. So wird es natürlich unmöglich, ganz
nach vorne zu stoßen. Man muss jedoch Verständnis für die Zwänge aller
haben, die ihr Salär verdienen müssen.
Frage: Obwohl Sie
seit zehn Jahren in Dortmund leben: Warum hat es so lange gedauert, bis
Sie endlich für die deutschen Farben antraten? Es gab einigen Knatsch.
Naiditsch: Zunächst
einmal benötigt man einen deutschen Pass, um für Deutschland spielen zu
dürfen. Den bekam ich leider spät, nach acht Jahren – das war ein
bisschen unglücklich. Der DSB hätte eigentlich mehr bemüht sein müssen,
meine Einbürgerung zu beschleunigen – hat aber leider nicht viel dazu
beigetragen.
Frage: Das geht in
anderen Sportarten flotter.
Naiditsch: In der
Tat, das ginge flotter.
Frage: Der Zwist
ist ausgeräumt und Sie sehen sich bereit für weitere Großtaten im
deutschen Team?
Naiditsch: Ich
freue mich bereits auf die Olympiade 2008 in Dresden! Ich hoffe darauf,
dass ein paar junge Spieler nachrücken, um eine Mannschaft zu haben, die
etwas erreichen kann. Nur ein Team zu stellen, das mit dem olympischen
Gedanken „Dabei sein ist alles“ antritt, ist mir zu wenig.
Frage: Mit Levon
Aronjan wären die Aussichten darauf rosiger. Der Berliner war auch
kurzzeitig für den Deutschen Schachbund gemeldet. Nicht auszudenken,
wenn der Weltranglistendritte auch wie Sie für das Team von
Bundestrainer Uwe Bönsch antreten würde – so gewann Aronjan mit seinem
Heimatland Armenien Gold bei der Olympiade.
Arkadij Naiditsch (links) gegen
Levon Aronian (rechts)
Naiditsch: Mit ihm
würde unsere Mannschaft natürlich ganz anders abschneiden, das hat Levon
in Turin gezeigt. Er ist ein guter Kerl und wollte für Deutschland
spielen. Meiner Meinung nach ist auch da viel falsch gelaufen.
Frage: Immerhin
steckte Aronjan für Sie die Prügel ein bei der Olympiade: Hätte Daniel
Gormally bei der Schach-Olympiade nicht Sie attackieren müssen? Aronjans
Tanz mit der attraktiven Australierin Arianne Caoili ließ den liebes-
und alkoholtrunkenen britischen Großmeister ausrasten. Wie man sich
erzählt, begleiteten Sie jedoch Caoili mit zur Bermuda-Party.
Arienne Caoili
Naiditsch (lacht):
Das hat mich auch überrascht, schließlich war ich während des ganzen
Turniers mit Arianne unterwegs. Für Gormallys Attacke bestand überhaupt
kein Grund. Er hat sich wie ein englischer Hooligan im Fußballstadion
benommen. Es hätte jeden treffen können, aber ausgerechnet der arme
Levon war sein Opfer! Bei mir hätte es Gormally ruhig versuchen können –
ich mache seit fünf Jahren Karate …
Frage: Bleibt die
brennende Frage für Schach-Deutschland: Ist unser bester Spieler nun
auch mit der hübschen Australierin liiert?
Naiditsch: Wir
kennen uns schon seit zehn Jahren von Weltmeisterschaften. Wir spielten
bereits in Bad Wiessee gegeneinander, als ich 13 und sie zwölf war. Wir
finden uns beide sehr sympathisch.
Frage: Wollte
Arianne Caoili nicht nach Deutschland kommen und hier studieren?
Naiditsch: Ja, in
Frankfurt – sie hat aber vieles vor.
Frage: Zurück zu
den Damen auf dem Brett: Bei den Chess Classic Mainz treffen Sie am 15.
und 16. August (ab 15 Uhr) in der Chess960-Junioren-WM auf Pentala
Harikrishna. Wie bewerten Sie Ihre Chancen in den acht Partien? 2005
lagen Sie hauchdünn im Open vor dem indischen Großmeister.
Pentala Harikrishna
Naiditsch: Im
Vorjahr spielte ich nicht besonders bei den Chess Classic. Ich möchte
schon noch eine Schippe drauflegen. Auf Harikrishna bin ich noch nie in
einer Turnierpartie getroffen. Auch wenn er in der Weltrangliste knapp
vor mir liegt als Nummer 25, betrachte ich mich nicht als Außenseiter.
Ich gehe positiv in das Duell. Die Aussichten dürften ungefähr
ausgeglichen sein. Er hat sich in den letzten Jahren stark verbessert.
Frage: Kommt Ihnen
Chess960 entgegen oder sehen Sie sich eher als Spieler, der Vorteile in
der Eröffnung herauskitzelt?
Naiditsch: Für mich
persönlich sehe ich Vorteile ohne Eröffnungstheorie. Heutzutage besteht
ein großer Teil der Arbeit darin, sich mit Eröffnungen zu beschäftigen,
Neues zu finden und sich all das auch noch zu merken. Das ist ganz schön
schwierig! Bei Chess960 fallen diese Aspekte raus, man setzt sich ans
Brett und spielt. Ich mag Chess960, obwohl ich es für eine ganz andere
Art von Schach halte. Es hat jetzt nichts mit Poker im Casino zu tun,
aber Chess960 erscheint mir irgendwie doch wie ein anderes Spiel.
Frage: Parallel
treten zudem Vlastimil Hort und Lajos Portisch in der Senioren-WM sowie
Ihr weibliches deutsches Pendant, die Erfurterin Elisabeth Pähtz, bei
den Damen gegen die russische Weltranglistendritte Alexandra Kosteniuk
an. Ihre Prognosen für die Clerical Medical
Chess960-Weltmeisterschaften?
Naiditsch: Ich
tippe bei den Senioren auf Portisch. Hort ist kaum noch aktiv, während
Portisch hie und da an Turnieren teilnimmt. Von der Elo-Zahl her steht
bei den Damen außer Frage, dass Kosteniuk stärker ist. Im Chess960 hat
sie vermutlich geringere Vorteile gegenüber Elisabeth.
Frage: Anschließend
mischen Sie in Mainz auch wieder im FiNet Chess960 Open (17.-18. August)
und dem Ordix Open (19.-20. August) mit? Vor allem im Ordix Open
trumpften Sie auf.
Naiditsch: Ich
begann mit 6/6. Dann verlor ich mit einer Mehrfigur eine ganz wichtige
Partie gegen Aronjan. Meine Chancen hängen natürlich auch vom
Teilnehmerfeld ab. Das ist allerdings stets hochkarätig. Ich möchte
wieder unter die ersten Zehn kommen. Mehr kann man bei der Vielzahl der
starken Gegner kaum sagen.
Frage: Der
19-jährige Radjabow trifft vom 17. bis 20. August bei der Grenke Leasing
Rapid-WM auf Viswanathan Anand. Sie waren als deutsche Nummer eins
ebenfalls im Gespräch. Hätten Sie sich diese Herausforderung gegen den
weltbesten Schnellschachspieler zugetraut?
Naiditsch: Gegen
die lebende Schnellschach-Legende anzutreten, ist für jeden Spieler
etwas Besonderes. Allein das wäre schon ein schönes Erlebnis. Wie das
ausginge, ist die andere Frage. Ich habe vor einiger Zeit auf Korsika
Vishy gefragt, ob er irgendein Schnellschach-Match verloren hat. Er
dachte kurz darüber nach und meinte dann: „Ich weiß es nicht genau.“
Dass er dann auf Korsika im Finale gegen Vadim Milov den Kürzeren zog,
war eine Sensation. Er ist der Beste im Schnellschach, man kann ihn nur
schwer schlagen.
Frage: Wie weit
sehen Sie sich noch von Anand oder den Top Ten entfernt?
Naiditsch: Ich
finde, ich habe mich im vergangenen Jahr gesteigert und gut gespielt.
Schwächer agierte ich bei der russischen Mannschaftsmeisterschaft und in
Sarajevo. Ich trainiere jedenfalls fleißig dafür, die 2700-Elo-Grenze zu
knacken. Sollte mir das gelingen, muss ich weitersehen, ob ich
Einladungen zu Topturnieren erhalte und einen Sponsor finde, um mir
einen eigenen Trainer leisten zu können. Die 2700-Schallmauer traue ich
mir bis Ende des Jahres zu.
Frage: Vor den
Chess Classic Mainz stehen die Dortmunder Schachtage an. Im Vorjahr
sorgten Sie mit Ihrem Sieg vor den Weltmeistern Wladimir Kramnik und
Wesselin Topalow sowie Peter Leko und Michael Adams für Furore. Ist
diese Sensation zu wiederholen?
Naiditsch (lacht):
Ich bin bestimmt erneut nicht der Favorit, zumal ich viermal Schwarz und
nur dreimal Weiß habe. Dennoch glaube ich, ein gutes Turnier absolvieren
zu können. Ich spiele in Dortmund, in meiner Heimatstadt, sehr, sehr
gerne und gebe alles. In solchen Turnieren kann ich unheimlich viel
lernen. Ich bin froh, dass ich diese Möglichkeit habe, daran
teilzunehmen. Es ist ein schönes Gefühl für mich, in der Opern-Halle
anzutreten.
Frage: Kramnik
scheint sich von seinen gesundheitlichen Problemen etwas erholt zu
haben. Bei der Olympiade bewies er auch gegen Sie alte Klasse. Ist der
sechsfache Rekordsieger nun wieder Favorit in Dortmund?
Naiditsch: Aronjan
spielt auch mit, er ist enorm stark und kann jedes Turnier gewinnen. In
Dortmund kann jeder jeden schlagen. Kramnik gehört aber gewiss zu den
Sieganwärtern. Ich denke, die Chancen von Aronjan sind allerdings nicht
schlechter als die von Kramnik.
Hartmut Metz
Frage: Lassen Sie
uns einen letzten Ausblick wagen: Zweitligist TSV Bindlach-Aktionär
führten Sie ins deutsche Oberhaus. Was trauen Sie Ihrem Team, das mit
den Großmeistern Navara, Baklan, Bischoff, Bezold und Baramidze
aufgerüstet wurde, in der Bundesliga zu?
Naiditsch: Wir
haben meines Erachtens eine sehr gute Mannschaft, das gilt auch für das
Management mit Klaus&Klaus, Klaus Steffan und Klaus Mühlnikel. Mir macht
es Spaß, für den Verein zu spielen. Dort stimmt alles, die Atmosphäre,
der Teamgeist. Ich hoffe, dass wir um die ersten drei Plätze kämpfen.