Chess Classic Jens Beutel stählt die Gegner für Platz zwei: Mainzer Oberbürgermeister mit Leib und Seele bei Chess Classic dabei
11.07.2006 - Mit Jens Beutel verbinden Schachspieler seltener das Amt des Mainzer Oberbürgermeisters. Für die Denkstrategen steht er als Garant der Chess Classic Mainz. Fünfmal machte das weltbekannte Turnier seit seiner Übersiedlung von Frankfurt Station in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt. Dabei ist der am 12. Juli seinen 60. Geburtstag feiernde Sozialdemokrat immer mit Leib und Seele mit von der Partie – das Stadtoberhaupt nimmt sich auch diesmal Urlaub, um vom 15. bis 20. August in der Rheingoldhalle selbst mitspielen zu können. Als erfahrener Oberligaspieler hat Beutel schon manchem Profi im Ordix Open schwer zugesetzt. Mit Oberbürgermeister Beutel unterhielt sich Hartmut Metz.
Frage: Herr Beutel, das halbe Dutzend Chess Classic Mainz wird vom 15. bis
20. August voll. Wie lautet Ihr Fazit nach fünf Austragungen?
Beutel: Sie waren überwältigend! Die fünf Veranstaltungen bescherten auch
der Stadt Mainz weltweit ein positives Image. Ich als schachbegeisterter
Oberbürgermeister freue mich natürlich besonders, Jahr für Jahr die
Weltklasse begrüßen zu können.
Frage: Was waren Ihre ersten Gedanken, als sich 2001 die Chance bot, das
weltberühmte Turnier von Frankfurt nach Mainz zu lotsen?
Beutel: Ich kannte Organisator Hans-Walter Schmitt bereits ein bisschen
von Frankfurt her. Es freute mich natürlich, dass so viel Vertrauen in die
Stadt Mainz und mich investiert wurde. Natürlich war das auch für mich
eine enorme Aufgabe, denn ganz ohne finanzielle Unterstützung geht das ja
nicht. Diese Erwartungen konnten wir gut erfüllen. Mich freut besonders,
dass es uns langfristig gelang, das Turnier an die Stadt zu binden und
Sponsoren bei der Stange zu halten. Die Verlässlichkeit ist wichtig für
die Organisatoren wie die Spieler, die sich nach dem letzten Zug schon auf
den nächsten Event im Jahr darauf in Mainz freuen können.
Frage: Wie sehen Sie die Entwicklung des weltweit bekannten Schachturniers
in Mainz, das neben Fußball-Bundesligist 1. FSV 05 die größte sportliche
Ausstrahlung für die Stadt hat.
Beutel: Die Chess Classic erzielen innerhalb der Stadt nicht nur bei denen
Aufmerksamkeit, die selbst dem Denksport frönen. Viele schnuppern einfach
mal rein, um sich von der Atmosphäre gefangen nehmen zu lassen. Daher
glaube ich, dass die Veranstaltung dem Schachspiel ein neues Publikum
zuführt, bei dem man vorher gar nicht daran dachte, dieses gewinnen zu
können.
Duell gegen die Weltmeisterin: Jens Beutel fordert die Bulgarin Antoaneta Stefanowa in
Mainz.
Frage: Welches ist Ihr persönlicher Höhepunkt aus
dem umfangreichen Programm 2006?
Beutel: Ich gönne mir immer in der Zeit der Chess Classic Urlaub, um
nahezu freie Tage – ganz freie sind es nie - zu haben. Neben der
Schnellschach-Weltmeisterschaft zwischen Anand und Radjabow und der
Chess960-WM zwischen Swidler und Aronjan finde ich auch stets das Ordix
Open beeindruckend. Mehr als 500 Teilnehmer dieser Güte hat man rund um
den Globus nirgends in einem offenen Wettbewerb versammelt.
Der Oberbürgermeister als Schirmherr der Chess Classic
Frage: Sie werden doch sicher auch wieder mitspielen?
Beutel: Ja, natürlich. Ich habe ansonsten leider viel zu wenig Zeit für
Schach. Ab und an spiele ich morgens eine Partie im Internet. Deshalb
freue ich mich stets darauf, wenigstens für ein paar Tage im Schach
versinken zu können. Ich nehme am Ordix Open wie am FiNet Chess960 Open
teil. Mal abwarten, was das Chess960 für mich bringt. Zudem möchte ich
sehen, was der Weltranglistendritte Levon Aronjan kann – gegen ihn trete
ich im Simultan an.
Frage: Wie sind Sie zum Schach gekommen?
Beutel: Durch Eigeninitiative mit 13 Jahren. Für heutige Verhältnisse ist
das schon alt. Mancher ist da heutzutage bereits Großmeister. Ich brachte
es mir aus einem Buch selbst bei. Kurz danach interessierten sich auch
einige Schulkameraden dafür, so dass es zu Klassenmeisterschaften kam. In
den Verein trat ich erst mit 19 ein.
Frage: Dafür sind Sie aber erstaunlich stark geworden.
Beutel: Zwischen 13 und 20 übte ich auch intensiv. Dass ich mich erst so
spät einem Klub anschloss, lag daran, dass es in meinem Ort, in Fritzlar,
gar keinen Schachverein gab. Als ich mit 19 nach Mainz kam, trat ich
gleich in einen Klub ein.
Frage: Und wie hat sich Ihre Laufbahn entwickelt?
Beutel: Ich hatte nicht einen sooo großen sportlichen Ehrgeiz. Bis zum
Aufstieg in die Oberliga reichte es. Ich wurde auch zweimal
Rheinhessen-Meister und mehrfacher Mainzer Stadtmeister, als diese
Titelkämpfe noch stark besetzt waren. Überregional nahm ich jedoch an
keinem Wettbewerb teil, nimmt man zwei Rheinland-Pfalz-Meisterschaften
aus, für die ich mich qualifiziert hatte. Da gelang mir indes nichts
Besonderes.
Frage: Trainieren Sie noch?
Beutel: Nein, nur ab und an spiele ich – wie bereits erwähnt - morgens im
Internet. Außerdem halte ich mich durch die Lektüre der „Rochade Europa“,
des „Schach-Magazin 64“ und des „New in Chess“ auf dem Laufenden. Die drei
Hefte studiere ich relativ intensiv und entdecke in einigen Partien, auch
wenn ich sie nicht auf dem Brett nachspiele, das ein oder andere
Interessante.
Frage: Morgens blitzen Sie?
Beutel: So um 5 Uhr bin ich noch nicht ganz hellwach, weshalb ich
Fünf-Minuten-Blitzpartien spiele mit Zugabe von fünf Sekunden je Zug. Ich
werde schließlich bald 60, da ist man nicht mehr so schnell. Ich muss
schauen, dass ich noch mithalten kann (lacht).
Frage: Haben Sie weitere Hobbys?
Beutel: Im Handball war ich gut und spielte in der Regionalliga. Zudem
spielte ich Fußball – eigentlich betrieb ich alle Ballsportarten mit
Ausnahme von Volleyball. Und jetzt sind die Knie kaputt, deshalb muss ich
Oberbürgermeister spielen …
Frage: Bitte tippen Sie die Endresultate der Zweikämpfe: In der
GrenkeLeasing-Schnellschach-WM will der junge Aserbaidschaner Teimour
Radjabow Seriensieger Viswanathan Anand ablösen.
Beutel: Radjabow wird mit seinen 19 Jahren zunehmend stärker, aber kann
noch längst nicht mit Anand mithalten. Angesichts dessen riesiger
Erfahrung prognostiziere ich einen klaren Sieg für den
Weltranglistenzweiten, sagen wir 5:3.
Frage: Im Chess960, bei dem die Grundstellung der Figuren vor der Partie
ausgelost wird, fordert der Weltranglistendritte Levon Aronjan den
–vierten, WM-Titelverteidiger Peter Swidler.
Beutel: Das ist ein ganz schwerer Kampf. Da halte ich nahezu jedes
Ergebnis für möglich. Ich lege mich jedoch auf ein 4,5:3,5 für Aronjan
fest. Er hat in den letzten Monaten toll gespielt bei all seinen Erfolgen
im Weltcup, im spanischen Linares und beim armenischen Gold-Gewinn bei der
Schach-Olympiade.
Frage: Erstmals gibt es dank Namenssponsor Clerical Medical gleich vier
Chess960-Weltmeisterschaften. Kann bei den Damen die Erfurterin Elisabeth
Pähtz die Russin Alexandra Kosteniuk bezwingen?
Beutel: Ich halte Kosteniuk doch noch für stärker und glaube, dass sie
unser Damen-Aushängeschild mit 4,5:3,5 schlagen wird.
Frage: Bei der U20-WM trifft die deutsche Nummer eins Arkadij Naiditsch
auf den Inder Pentala Harikrishna.
Beutel: Da bin ich auch unschlüssig, alle Resultate sind denkbar. Ich
tippe deshalb auf ein 4:4 und eine Entscheidung in der Blitz-Verlängerung.
Frage: Und bei den Senioren messen sich Publikumsliebling Vlastimil Hort
und der Ungar Lajos Portisch.
Beutel: Ich favorisiere den jüngeren Hort. Portisch ist mit 69 sieben
Jahre älter – das macht etwas aus.
Der Oberbürgermeister stählt die Konkurrenz wie Alexander Morosewitsch
(links) persönlich. Fotos: Metz
Frage: Das Ordix Open und das FiNet Chess960 Open
sind eine klare Sache. Unter den mehr als 500 Teilnehmern mit zahllosen
Großmeistern kann nur Oberbürgermeister Jens Beutel Platz eins belegen …
Beutel: Das stimmt. Für mich ist allerdings noch unklar, wer Zweiter wird
(grinst).
Frage: Wen haben Sie diesbezüglich auf der Rechnung?
Beutel: Meine Erstrunden-Gegner aus den Vorjahren sind nun so gestählt,
dass sie jetzt reif für den Sprung nach vorne sind! Den Russen
Morosewitsch, Grischuk und Drejew traue ich Platz zwei zu.
Nachstehend eine Kostprobe des Könnens von Jens Beutel aus dem Jahre 1982.
Die Partie kommentierte FIDE-Meister Gerd Treppner für die Fachzeitschrift
„Rochade Europa“ (Ausgabe 7/2006).
Beutel,J - Bandl [B28]
1982
(Gerd Treppner)
1.e4 a6 Es war damals noch nicht so lange her, dass Miles mit dieser
Eröffnung Karpow besiegt hatte (1980), und so fand er sicherlich eine
Anzahl von Nachfolgern! Bei dem Aufbau in der Partie ist der Sinn des
Zuges a6 allerdings fraglich, da der Kampf um das Feld d4 geht. 2.c4 c5
3.Sf3 d6 4.d4 Lg4 5.Le2 Sc6 6.d5 Lxf3 7.gxf3 Sd4 8.Le3 Sxe2 9.Kxe2 Abseits
aller Schablone gespielt, und durchaus sinnvoll, denn der König steht hier
ziemlich sicher und macht die Turmverbindung auf der 1. Reihe frei. Weiß
erzielt damit einen gewissen Entwicklungsvorsprung. 9...Sf6?! Wohl eine
Ungenauigkeit, denn nun kommt Weiß schnell zum Spiel am Damenflügel.
Besser sieht zuerst g6 nebst Lg7 aus, um den Zug b4 zu erschweren. 10.Sa3
g6 11.b4 cxb4 Nach 11...b6 12.bxc5 bxc5 13.Tb1 bekommt Weiß die b-Linie.
12.Da4+ Dd7 13.Dxb4 Tc8 Schwarz hat schon Mühe, b7 zu halten, wie zum
Beispiel 13...Lg7 14.Tab1 Tb8 15.La7 Ta8 16.Dxb7! Txa7 17.Db8+ beweist.
Eine Notlösung, um dies zu verhindern, wäre 13...e5 (nun hätte der König
zum Schluss das Feld e7), aber schön sieht dies für Schwarz gewiss nicht
aus. 14.Tab1 Tc7 15.Lb6 Tc8 16.La7 b5 Da auf 16...Tc7 17.Lb8 folgt, hat
Schwarz keine andere Fortsetzung. 17.cxb5! Ein intuitives Positionsopfer,
das Weiß jedenfalls eine Menge Kompensation verspricht. Wenn überhaupt,
sind die Probleme für Schwarz zumindest am Brett kaum zu lösen. 17...Dxa7
18.b6 Db7 19.Thc1 Sd7? Danach ist Schwarz bereits ziemlich forciert
verloren. Auch nach 19...Lg7 20.Txc8+ Dxc8 21.b7 Db8 22.Da4+ Sd7 (22...Kf8
23.Sc4 Lh6 24.Sa5 Kg7 25.Sc6 Dc7 26.b8D Txb8 27.Txb8+-) 23.Sc4 nebst
erneut Sa5 und Sc6. Der einzige Rettungsversuch scheint 19...Lh6!? zu
sein. 20.Tc7 (20.Txc8+ Dxc8 21.b7 Db8 22.Sc4 0–0 23.Sa5 Sd7 24.Sc6 Dc7
25.Sxe7+ Kh8 26.Sc6 Te8 27.Da5 Dxa5 28.Sxa5 Lf4 29.Sc6 Sb8 30.h3 dürfte
Remis sein.) 20...Db8 (20...Txc7? 21.bxc7 Dxc7 22.Db8+ Dd8 23.Dxd8+ Kxd8
24.Tb8+ Kc7 25.Txh8) 21.Da4+ Kf8 22.Txc8+ Dxc8 23.b7 Db8 24.Sc4 Kg7 25.Sa5
Dc7 26.Sc6 Sd7 27.Dxa6 Lf4 28.a4! e6 29.Da7 Sb8 30.Db6 Dxb6 31.Txb6 exd5
32.Sxb8 Txb8 33.a5 dxe4 34.a6 d5 35.a7+-. 20.Txc8+ Dxc8 21.b7 Dc7 Auf
21...Db8? geht schon 22.Dc3 mit Blick nach c8 und h8. 22.Da4!
Hartmut Metz
Natürlich ist Weiß nicht mit 22.b8D+ Dxb8 23.Dxb8+
Sxb8 24.Txb8+ Kd7 zufrieden. Jetzt droht die Bauernumwandlung aber
wirklich. 22...Kd8 Auf 22...Db8 folgt auch 23.Sc4, wonach außer Sa5-c6
auch 23...Lg7 24.Sb6! droht. 24...Dxb7 25.Sxd7! Dxb1 26.Sf6+ Kf8 27.De8
matt. 23.Sc4 e6 23...Sb8 hält Weiß nicht von seinem Plan 24.Sa5 ab.
Dann droht entscheidend das Springerschach auf c6.
24...Lg7 25.Sc6+ Sxc6 26.dxc6 Db8 27.Da5+ Ke8 28.c7. 24.Sa5 Dc5 Oder
24...Lg7 25.Sc6+ Ke8 26.b8D+ Sxb8 27.Txb8+ Kd7 28.Sa5+ Ke7 29.Tb7+-.
25.Sc6+ Kc7 26.b8D+ Sxb8 27.Sxb8 1:0.