Chess Classic Radjabow beherrscht Ordix Open - Chess-Classic-Rekord mit 546 Teilnehmern
25.08.2005 - Der 18-jährige Teimour Radjabow hat bei den Chess Classic Mainz seine Klasse bewiesen: Der Aserbaidschaner, den viele Großmeister für einen der kommenden Weltmeister halten, gewann das Ordix Open in der Rheingoldhalle. Als einziger Schachspieler unter den 546 Teilnehmern, die einen weiteren Rekord markierten, kam Radjabow auf 9,5:1,5 Punkte. Selbst gegen den zweitplatzierten Levon Aronjan stand das Ausnahmetalent auf Gewinn, verpasste dann aber den Durchmarsch. Im Bild: Der erst 14-jährige Reinhold Müller aus dem Saarland wäre fast zum Grischuk-Schreck geworden.(Schlußbericht zum Ordix-Open 2005)
Hinter dem Armenier Aronjan belegten in dem Weltklassefeld aus mehr als
30 Nationen Alexander Morosewitsch, Alexej Drejew, Alexander Grischuk
(alle Russland), Pentela Harikrishna (Indien), Gabriel Sargissian (alle
9:2) die Plätze. Bester Deutscher war Arkadij Naiditsch (8,5:2,5) Rang
acht. Der Dortmund-Sieger zeigte damit, dass sein Erfolg in seiner
Heimatstadt keine Eintagsfliege war. Mit schlechterer Wertung folgten
Alexej Schirow (Spanien), der Katernberger Igor Glek (Russland) sowie
die weiteren Weltklasseakteure Ivan Sokolov (Niederlande), Etienne
Bacrot und dem zweitbesten Deutschen, Igor Khenkin (TV Tegernsee). Mit
acht Punkten überzeugten überdies Rainer Buhmann vom OSC Baden-Baden,
Lothar Vogt (SC Leipzig-Gohlis), Jörg Hickl (SV 1920 Hofheim) und Leonid
Kritz (SF Katernberg). Knapp dahinter folgte als 24. Europameister
Liviu-Dieter Nisipeanu. Der Rumäne blieb als dritter Spieler neben
Drejew und Sargissian ungeschlagen. Mit fünf Siegen und sechs Remis
hatte Nisipeanu allerdings zwei Unentschieden mehr auf dem Konto.
Nachstehend der Verlauf des Ordix Open.
Der Mainzer Oberbürgermeister Jens Beutel
(rechts) traf zum Auftakt auf Alexander Morosewitsch. Fotos: Metz
Tag 1: Mancher Zuschauer und Spieler hatte am
Samstagmittag seine Augen verwundert gerieben: Saß da am vierten Brett
des Ordix Open wirklich Alexander Grischuk? Sicher, der Russe hatte in
den Vorjahren zweimal das weltbeste Schnellschach-Turnier in der Mainzer
Rheingoldhalle gewonnen. Doch dadurch hatte sich der 21-Jährige für die
WM gegen Viswanathan Anand qualifiziert und traf bei den Chess Classic
an den Abenden auf den indischen Weltranglistenersten. Eigentlich konnte
die Rochade vom Haupt- zum Vorkampf nicht sein. Es gab aber keinen
Zweifel mehr, als Grischuk seinen ersten Zug aufs Brett setzte: Der
Weltranglistenelfte war wieder im Ordix Open dabei. Den Grund konnte
jeder gleich ausmachen: Grischuk wirkte verunsichert, nachdem er
mehrfach aussichtsreiche Stellungen gegen Anand in Zeitnot verpatzt
hatte. Selbst gegen Reinhold Müller, einen jungen 14-jährigen Burschen
mit einer Ratingzahl von 2134, geriet er in Schwierigkeiten. Unter den
wachsamen Augen des „Tigers von Madras“, der in der ersten Runde den 546
Teilnehmern seine Aufwartung machte, bot Müller eine grandiose Leistung.
127 Züge lang hielt der Saarbrücker durch. Erst im ausgeglichenen
Turmendspiel verlor der Außenseiter die Übersicht und verdarb bei
knapper Bedenkzeit die Remis-Stellung. Beide Seiten hatten noch je einen
Turm, der russische Herausforderer von Anand zusätzlich noch den
h-Bauern. Da der weiße König aber nicht weit genug abgeschnitten stand,
hätte es zum Unentschieden reichen müssen - doch dem Saarländer ging es
wie Grischuk bei der Schnellschach-WM: Mit nur noch wenigen Sekunden auf
der Uhr versagten die Nerven.
Alexander Grischuk musste sich über 127 Züge
quälen, ehe er Reinhold Müller doch noch in die Knie zwang.
Anschließend spielte sich Grischuk aber wieder
in bekannte Ordix-Form: Der Freund von Großmeisterin Natalia Zhukova
räumte die nächsten Kontrahenten leichter aus dem Weg. Allerdings musste
Grischuk auch gegen Schnellschach-Europameister Artur Jussupow in der
fünften Runde am längsten kämpfen, ehe die Idealpunktzahl nach dem
ersten Tag auf seinem Konto war. Eine hübsche Mattkonstruktion bei
beidseitig verbliebenen 22 Sekunden gab den Ausschlag. Sechs weitere
Akteure standen außerdem mit makelloser Bilanz zu Buche: Die beiden
Jungstars aus Aserbaidschan und Deutschland, Teimour Radjabow und
Dortmund-Gewinner Arkadij Naiditsch, Alexander Morosewitsch,
Chess960-Ass Levon Aronjan, der Katernberger Igor Glek und der stärkste
titellose Teilnehmer, Rainer Buhmann. Der Bundesligaspieler vom OSC
Baden-Baden ist jedoch kein unbeschriebenes Blatt, verzichtete aber
bisher auf FM- wie IM-Titel. Mit 2549 Elo sollte auf die bisher einzige
GM-Norm auch bald der Großmeister-Titel folgen. Im fünften Durchgang
hielt Buhmann die indische Nummer drei Pentela Harikrishna nieder. Dem
glänzenden Start maßen Naiditsch und Glek keine sonderliche Bedeutung
bei. „Bisher habe ich alles locker gewonnen. Morgen kann aber alles
passieren. Die Konkurrenz ist groß“, befand der 19-jährige Naiditsch vom
TSV Bindlach Aktionär. Die Teilnahme von Grischuk „überraschte“ den
Dortmund-Bezwinger natürlich wie alle anderen. „Vielleicht will er sich
ja wieder für das Match gegen Anand qualifizieren“, sagte Naiditsch
augenzwinkernd. Glek verwies darauf, dass sich „erst in den letzten drei
Runden alles im Ordix Open entscheiden wird. Verlierst du die letzte
Runde, bist du weg“, weiß der ehemalige Top-Ten-Spieler, der in seiner
letzten Samstag-Partie Alexej Schirow unerwartet gut und leicht im Griff
hatte.
Zehn Spieler befanden sich mit 4,5 Punkten in
Reichweite des Führungsseptetts: Wadim Swagintsew, Michal Krasenkow,
Rustem Dautov, Alexej Drejew, Alexandra Kostenjuk, Merab Gagunaschwili,
der ukrainische IM Sascha Beleski, der topgesetzte Etienne Bacrot und
Jörg Hickl, die gegeneinander remisierten, Robert Ruck und der
Baden-Badener Fabian Döttling. Kostenjuk freute sich nicht nur über eine
Punkteteilung gegen Swagintsew in ihrer letzten Partie des Abends,
sondern vor allem über den Sieg in Runde vier: In dieser schlug die
russische Meisterin Ivan Sokolov. Eine besondere Genugtuung, berichtete
Kostenjuk und strahlte dabei glücklich. Im Chess960 stand die ehemalige
Europameisterin schon gegen den Wahl-Niederländer auf Gewinn, nahm
jedoch nicht einen einstehenden Turm und ließ sich beschwindeln. Dafür
gelang Kostenjuk die Revanche im Ordix Open. In der Damenwertung lagen
ihre Großmeister-Kolleginnen Zhukova, Maja Tschiburdanidse und Joanna
Dworakowska einen halben Zähler zurück. Weltmeisterin Antoaneta
Stefanowa stand bei lediglich 3,5 Punkten.
Überraschungen gab es bei der neuen Rekordzahl
von 546 Teilnehmern – ein minimales Plus von vier Spielern gegenüber dem
Vorjahr – natürlich zuhauf. So musste beispielsweise der frisch
gebackene Europameister Livi-Dieter Nisipeanu in Runde zwei gegen den
Karlsruher Zweitligaspieler Christoph Pfrommer mit einem Remis zufrieden
sein. Danach schieden sich jedoch ihre Wege. Nisipeanu stand nach fünf
der elf Runden bei vier Zählern. Insgesamt gingen 139 Titelträger an den
Start, darunter 55 Großmeister (inklusive drei Frauen mit
Herren-GM-Titel), 33 Internationale Meister (ebenso mit drei Damen) und
vier Frauen-Großmeister. Der Anteil des im Schach unterrepräsentierten
Geschlechts konnte sich auch sehen lassen mit einer Quote von 17
Prozent. Der Rating-Durchschnitt aller Teilnehmer lag bei exakt 2100.
Teimour Radjabow (rechts) musste Alexander
Morosewitsch unbedingt schlagen, um den Turniersieg im Auge zu
behalten.
Tag 2: Gleich am frühen Morgen geriet Teimour
Radjabow in Zugzwang. Er überspielte Levon Aronjan völlig und gewann die
Dame. Doch plötzlich verlor der 18-Jährige den Faden. Mit zwei Türmen
und Läufer gegen Dame und Turm bekam der Weltranglistenneunte aus Berlin
erst Gegenchancen und vollstreckte noch zum ganzen Punkt. „Ich spielte
so gut – bis ich die Mehrdame hatte und anfing, wie ein Patzer zu
spielen“, klagte Radjabow, wusste jetzt aber auch, „dass ich nun alles
gewinnen muss, um noch Erster zu werden.“ So lehnte der Aserbaidschaner
in Runde neun folgerichtig eine Remisofferte von Morosewitsch ab. „Die
Partie war entscheidend. Wenn ich ihn nicht bezwungen hätte, wäre ich
auch nicht Erster geworden“, befand Radjabow. Wie schon Aronjan
überspielte er mit Weiß den Sieganwärter. Diesmal ließ das Supertalent
jedoch den Kontrahenten nicht entkommen. Im Duell der großen
Nachwuchshoffnungen verbuchte Radjabow unerwartet leicht den Punkt.
Naiditsch schüttelte nur den Kopf nach der zehnten Runde: „Was ich da
spielte – unglaublich! Nach 18 Zügen stand ich platt, nach 20 hatte ich
die Qualität weniger und nach 25 Zügen musste ich aufgeben.“ Weil Alexej
Drejew sich am Schluss feige in zehn und zwölf Zügen durchremisierte
gegen Aronjan und Radjabow, reichte Letzterem der halbe Punkt zu Platz
eins. Die wilden Blicke von Organisator Hans-Walter Schmitt, der
schnelle Friedensschlüsse auf der Bühne hasst, genügten nur kurzzeitig,
um die Großmeister zu ein paar Zügen mehr als einen zu bewegen.
Leonid Kritz (rechts) remisierte gegen Alexej Schirow. In der
Schlussrunde stellte er einen Turm ein und unterlag Pentela Harikrishna
in nur 19 Zügen.
Aronjan schaffte es anschließend nicht, in einer
„sehr scharfen“ Begegnung Schirow in die Knie zu zwingen. Ansonsten
hätte der Chess960-Open-Sieger bei jeweils 9,5 Punkten die bessere
Fortschrittswertung als Radjabow aufgewiesen und als Erster das Triple –
inklusive der Kombinationswertung - geholt. Es wäre 8000 Euro wert
gewesen. „Es ist nicht möglich, beide Open zu gewinnen“, konstatierte
Aronjan dennoch zufrieden seinen zweiten Rang im Ordix Open mit neun
Zählern und den zusätzlichen Erfolg in der Kombinationswertung. In der
spielte Radjabow keine Rolle, weil er das Chess960-Turnier hatte sausen
lassen. Immerhin wurde sein Ordix-Sieg mit 3.575 Euro honoriert – und
der 18-Jährige träumt nun von einem Match gegen Anand: „Das wäre toll,
wenn ich die Chance dazu bekäme“, äußerte der Jungstar. Interesse hätte
allerdings auch Naiditsch, der sich mit einem Erfolg über
Senioren-Kombinationswertungssieger Vlastimil Hort auf 8,5 Punkte
hievte. „Das wäre natürlich eine ganz schwierige Aufgabe für mich. Anand
hat im Schnellschach alles gewonnen. Reizen würde mich die
Herausforderung“, erklärte der 19-Jährige.
Arkadij Naiditsch (rechts) bot bis auf die
Partie gegen Teimour Radjabow eine starke Vorstellung.
Sein Potenzial deutete der
Dortmund-Gewinner mit 6/6 an, ehe er seine Erwartungen selbst nicht ganz
erfüllen konnte. Entwickelt sich Naiditsch jedoch so weiter, dürfte der
Westfale ein heißer Kandidat auf die Schnellschach-WM gegen Anand sein.
Aus nationaler Warte hätte die erste deutsche Teilnahme an solch einem
Match einen besonderen Stellenwert.
Der Vorjahreszweite Morosewitsch erkämpfte sich
diesmal Bronze. „Ich kann zufrieden sein. Gegen Sokolov stand ich
gänzlich verloren. Ich hätte nur sieben Punkte holen dürfen“, machte der
eigenwillige Russe auf Understatement. „Man braucht Glück und Können, um
so ein Turnier zu gewinnen. Dafür spielte ich nicht stark genug.
Radjabow hat den Sieg verdient.“ Sokolov konnte durch die verpasste
Möglichkeit in der Schlussrunde den Sprung auf den geteilten zweiten
Rang nicht vollziehen. „Dann wäre alles okay gewesen. Vor zwei Jahren
lief es genau umgekehrt bei mir. Damals war ich im Chess960 schlechter.
Es ist wirklich bedauerlich, dass es nicht mehr Chess960-Turniere gibt.
Mir gefällt das“, führte der frisch gebackene niederländische
Mannschaftseuropameister aus.
Jörg Hickl genügten zwei Damen, um gegen drei Damen von Ivan Sokolov zu
gewinnen.
Sokolovs Niederlage in Runde sieben gegen
Hickl war besonders spektakulär. Gleich fünf Damen befanden sich
kurzzeitig auf dem Brett – und der Hofheimer setzte sich trotz
Wenigerdame durch!
Drejew zeigte bis zur zehnten Partie eine
vorzügliche Leistung. In der achten Runde beendete gar den
Ordix-Höhenflug von Grischuk.
29 Partien war der 21-Jährige ungeschlagen
geblieben, bevor ihn Drejew als Erster ausknockte. Ein ähnliches
Schicksal hatte die nicht minder beeindruckende Serie von Aronjan im
selben Durchgang ereilt, in der ihn Morosewitsch nach phänomenalen 17/18
(inklusive dem Chess960-Ergebnis) stoppte.
Grischuk zeigte sich
„enttäuscht, dass ich im Ordix Open nicht den Hattrick schaffte. Ein
schlechter Zug kostete mich alles gegen Drejew. Damit stellte ich die
Partie ein“. Trotzdem bedauerte es der Fünftplatzierte „keine Sekunde“,
das Open nach dem 0,5:3,5-Rückstand gegen Anand in Angriff genommen zu
haben.
Hans-Walter Schmitt mit den
Kombinationssiegerinnen Alexandra Kostenjuk (von links),
Weltmeisterin Antoaneta Stefanowa und Viktorija Cmilyte.