Chess Classic Almasi trifft das leere Tor nicht - Swidler bleibt Chess960-Weltmeister
23.08.2005 - Ungewöhnliches Eingeständnis des alten und neuen Weltmeisters im Chess960: „Zoltan Almasi hätte das Match gewinnen müssen“, befand Peter Swidler. Der 28-jährige Weltranglistensechste im normalen Schach bleibt dennoch in dem Denksport, bei der die Grundstellung der Figuren vor jeder Partie unter 960 Positionen ausgelost wird, die Nummer eins. Der Russe schlug Almasi glücklich, aber letztlich so deutlich wie keinen der anderen Herausforderer 2004, Levon Aronjan, und 2003, Peter Leko (Endstand jeweils 4,5:3,5).
Aronjan kehrt auch wieder 2006 zurück. Im FiNet
Chess960 Open führte der in Berlin lebende Armenier die Konkurrenz vor
und qualifizierte sich für ein zweites Duell mit Swidler. Die Chess
Classic Mainz finden 2006 vermutlich vom 15. bis 19. August wieder in
der Rheingoldhalle statt.
Die Zusagen einiger Sponsoren liegen bereits
vor. So zeigte sich der FiNet-Vorstandsvorsitzende Peter Kunath von der
innovativen Schachvariante Chess960 sehr angetan. FiNet hatte nach einem
kurzzeitigen Abgang eines Sponsors neben dem Chess960 Open auch das
Namenssponsoring der Chess960-WM übernommen. Die Stadt Mainz und einige
örtliche Sponsoren bleiben sowieso bei der Stange. Garant dafür ist Jens
Beutel. Der umtriebige Mainzer SPD-Oberbürgermeister war auch diesmal
wieder in mehreren Veranstaltungen selbst mit von der Partie und ist ein
Glücksfall für die Chess Classic. Nachstehend der Verlauf der
Chess960-WM von Tag eins bis vier in chronologischer Folge:
FiNet-Chef Peter Kunath (links) sponsert
weiter Chess960. „Seinem“ Weltmeister, Peter Swidler, übergab er die
Siegestrophäe.
1. Tag: Zum Auftakt der FiNet Chess960-WM zog
Peter Swidler gleich mit 1,5:0,5 in Führung. Zoltan Almasi verlor den
ersten Vergleich mit Schwarz, remisierte immerhin den zweiten.
Der
29-Jährige trauerte aber mehreren verpassten Chancen nach. „Die zweite
Partie hätte ich auf alle Fälle gewinnen müssen. Nach g5 stand ich
völlig auf Gewinn“, urteilte der Herausforderer.
Swidler war heilfroh,
dass er die Damen tauschen konnte. „Ich befürchtete ein Matt mit dem
König auf e8. Aber das Endspiel war natürlich genauso verloren“,
berichtete der 28-Jährige von seinen Empfindungen während des Duells und
freute sich, „heute zweimal Glück gehabt zu haben.“ Zum Auftakt besaß
der Chess960-Weltmeister bestenfalls akademischen Vorteil. Mit einem
Turmeinsteller warf Almasi Weiß den Punkt förmlich in den Rachen. Der
Großmeister konnte sich selbst nur einen Trost spenden: „Morgen gibt es
neue Hoffnung!“
Zoltan Almasi (rechts) entschied die
Eröffnungsduelle für sich – Peter Swidler die Partien. Fotos: Metz
2. Tag: In den Runden drei und vier gab es zwei
Unentschieden, womit Swidler den Vorsprung verteidigte. Almasi war
diesmal „weitaus glücklicher als nach dem ersten Tag, aber ganz
zufrieden bin ich auch nicht“.
Die Aussage bezog der Ungar vor allem auf
die dritte Partie des Wettkampfs über acht Vergleiche. „Meine Figuren
standen alle zu weit weg vom König. Ich war echt in Sorge“, gestand
Chess960-Weltmeister Swidler. Mit dem „trickreichen 26…f5, das ich
spielen musste, um nicht erdrückt zu werden“, zog der St. Petersburger
noch nicht ganz den Kopf aus der Schlinge. Auch das Damenendspiel blieb
kritisch. „Aber mit einer Minute auf der Uhr ist es schwierig wegen all
der Schachs, den korrekten Gewinn zu finden“, analysierte der Russe.
Aus
dem Damen- wurde ein Bauernendspiel, das er sicher in den Remishafen
schipperte. In der vierten Runde wiederholten die Kontrahenten die Züge: Almasi, weil er nur noch fünf Minuten auf der Uhr hatte und „bei vollem
Brett“ kein Risiko eingehen wollte, und Swidler, weil er „leicht
schlechter, aber solide“ stand. „Das sei meine erste korrekte
Chess960-Partie gewesen, ulkten meine Kumpels“, erzählte der Führende
und hob zu einer ellenlangen Ausführung an. Die Quintessenz: „Ich denke,
ich bin ein halbwegs ordentlicher Spieler – aber ich kann einfach die
Eröffnungen im Chess960 nicht spielen. Schon in den WM-Endspielen gegen
Leko 2003 und Aronjan 2004 geriet ich in Schwierigkeiten. Und diesmal
habe ich genau die gleichen Probleme.“
3. Tag: Peter Swidler baute am dritten Tag
seinen Vorsprung auf 4:2 aus. Zunächst befand sich der Titelverteidiger
aber wieder gegen Almasi in Schwierigkeiten. Die symmetrische Position
ergab zunächst nicht viel für Weiß. „Dann misshandelte ich sie. Und mein
Bauernopfer war nicht so vielversprechend, wie ich dachte“, räumte
Swidler ein. In der Schlussstellung sei er etwas schlechter gestanden,
urteilte der 28-Jährige. Sein ein paar Monate älterer Widersacher
akzeptierte dennoch die Remisofferte – der lieben Zeitnot wegen. „Immer
die Zeit!“, stöhnte Almasi angesichts der verbliebenen knapp 30 Sekunden
gegenüber viereinhalb Minuten. Pro ausgeführten Zug gibt es bei der
FiNet Chess960-WM aber auch wieder zehn Sekunden dazu. In der sechsten
Partie war Swidler die „andauernde Symmetrie leid“ und durchbrach sie
auf Teufel komm raus. Zunächst schien dies ein Fehler zu sein. „Mit
Läuferpaar und all den Figuren, die auf meine Königsstellung schielten,
fürchtete ich ein Matt“, gestand der Weltranglistensechste. Erst nach
vollbrachtem f4 nebst Se6 sei er „stabil gestanden“. Als Almasi die Zeit
davonrannte, attackierte plötzlich sein Kontrahent erfolgreich.
Kricket-Fan Peter Swidler kennt sich auch
sehr gut im Fußball aus, wie er bei der Analyse des WM-Zweikampfs
belegte.
4. Tag: Mit zwei weiteren Unentschieden sorgte
Swidler dafür, dass er weiter Chess960-Weltmeister bleibt. Ein Titel,
der offenbar langsam an Renommee gewinnt. Selbst die FIDE stellte den
Teilnehmer ihres WM-Turniers in Argentinien Ende September jetzt als
Chess960-Weltmeister vor!
Swidler selbst wusste jedoch, dass er gegen
Almasi am Rande einer Niederlage stand. Sein 5:3-Erfolg erinnerte ihn an
ein englisches FA-Cup-Finale im Fußball zwischen Arsenal London und
Manchester United.
„ManU griff an und vergab eine Chance nach der
anderen. Das ersatzgeschwächte Arsenal legte es von Beginn an auf ein
Elfmeterschießen an, das London dann auch gewann. Zoltan griff ebenso
an, schoss aber keine Tore. Ich verwertete dagegen meine wenigen
Chancen“, befand der St. Petersburger. Der unterlegene Ungar bilanzierte
„enttäuscht: Ich habe tausend gute Züge ausgelassen und tausend Chancen
verpasst“.
Zoltan Almasi plant für 2007 die Rückkehr
ins WM-Finale.
Seine Zeitnotprobleme verblüfften Almasi, denn im Vorjahr
hatte er im Chess960 Open „überhaupt keine Sorgen mit der Bedenkzeit“.
Das mag aber auch daran liegen, dass Chess960-Weltmeister Swidler etwas
zäher ist als diverse Open-Teilnehmer. Trotzdem gilt: Der Herausforderer
verdarb ein besseres Resultat in ganz normalen Mittelspiel-Stellungen
die auch im herkömmlichen Schach aufs Brett kommen können. Der Russe
kann sich nun auf ein Wechselspielchen bei der FiNet Chess960-WM
zwischen Aronjan und Almasi einstellen, geht der Plan des Ungarn auf:
„Ich will mich 2006 wieder im Chess960 Open für das Match
qualifizieren!“, kündigte der unterlegene Großmeister an.