Chess Classic Aronian dominiert erneut Chess960 Open. Armenier qualifiziert sich mit einem Punkt Vorsprung wieder für FiNet Chess960 WM
22.08.2005 - Dass Levon Aronian nach nur sieben Zügen seinem lettischen Großmeisterkollegen Sigurds Lanka ein Remis angeboten hat, gefiel Organisator Hans-Walter Schmitt zunächst wenig. Doch letztlich konnte der Bad Sodener die rationalen Gründe des in Berlin lebenden Armeniers verstehen.
Chess960-Ass Levon Aronian
(rechts) remisierte sich in sieben Zügen gegen Sigurds Landa zum
Turniersieg. Fotos: Metz
Damit sicherte der Bundesligaspieler des SC
Kreuzberg seinen Sieg beim FiNet Chess960 Open ab und erwarb sich zum
zweiten Mal nach 2004 das Recht, den Weltmeister in dieser Form des
kreativen Schachdenkens herauszufordern.
Mit zehn Punkten stellte er
dabei „en passant“ einen Rekord auf, denn noch nie hatte ein Großmeister
mit einem derart guten Score den alleinigen Sieg geholt.
In der Schlussrunde hätte Ivan Sokolov, der zur
Halbzeit noch verlustpunktfrei mit Alexei Shirov geführt hatte, durch
einen Sieg zwar aufschließen können, doch die Feinwertung sprach zu
seinen Ungunsten. Allerdings unterlag der gebürtige Bosnier, der am
Wochenende zuvor in Göteborg mit den Niederlanden
Mannschaftseuropameister geworden war, dem im Endspurt furios
aufspielenden Klaus Bischoff.
Gegen Ivan Sokolov (links)
vollendete Klaus Bischoff seinen „Lauf“.
Dadurch kam der Deutsche auf die gleiche
Punktzahl. Sokolov wies jedoch die bessere Feinwertung auf, weil er
häufiger auf der Bühne gegen die jeweiligen Mitführenden gekämpft hatte.
Der zigfache deutsche Blitzmeister Bischoff war derweil bei seinem
dritten Chess960-Turnier mit seinem Agieren im Windschatten und einem
mächtigen Satz im Finish sehr zufrieden: „Mit den Siegen gegen
Weltklassespieler wie Sargissian, Morozevich und zum Schluss Sokolov
gelang mir in den letzten drei Runden ein richtiger Lauf. Wenn es auf
diesem Niveau mehr Spielmöglichkeiten mit guten Preisgeldern geben
würde, würde ich mich öfter zu Chess960 ans Brett setzen“, resümierte
der Tegernseer Bundesligaspieler.
Blickt man auf die Teilnehmerliste des FiNet
Chess960 Open 2005, so fällt auf, dass vor allem die Profis und
ambitionierte Amateure die neue Spielart bevorzugen. 169 der 207
Teilnehmer hatten eine Wertungszahl von über 2000. 63 Akteure besitzen
eine Elo von mehr als 2400, und mit 54 Großmeistern und Großmeisterinnen
lag der Anteil der höchsten Würdenträger bei mehr als einem Viertel!
Blieb neben Sieger Aronian als
einziger der 207 Teilnehmer im FiNet Chess960 Open ungeschlagen: Alexei
Dreev.
Das
heißt: Die Mehrheit investiert ohnehin überdurchschnittlich Zeit in ihr
Schach – sei es als Profi oder Amateur mit viel Turnierpraxis. Fünf
Weltklasse-Cracks kamen aus dem exklusiven Club der 2700er, 16 Spieler
gingen mit Wertungszahlen über 2600 ins Rennen. Die besten Zehn hatten
2695 Elo, die ersten 20 immer noch 2653 Elo und selbst der Durchschnitt
der Top 100 des FiNet Chess960 Open kam noch auf stolze 2454 Elo.
Noch sind also die von Schmitt als
„Wenigzeitinhaber“ bezeichneten Kunden, die latent am Schach
interessiert sein mögen, nicht als aktive Gruppe erreicht worden.
Dennoch müssten die Aussagen vieler Spieler auch gerade ihnen Mut
machen. Zwar rangieren in der Endtabelle in der Regel die Titelträger
vorne, aber die Argumente für diese Spielart als Alternative oder
Ergänzung zum klassischen Schach sind da. „Man muss vom ersten Zug an
kreativ denken“, führt Bergit Brendel als wichtige Motivation an. Für
die Spielerin von SC Frankfurt-West war die Partie gegen Topspieler
Alexei Shirov der Höhepunkt des Turniers.
Überhaupt schätzten die
Amateure die häufige Gelegenheit, bei diesem Turnier gegen gute Spieler
antreten zu können. Im Gegensatz zum ersten Tag gab es jedoch am zweiten
Turniertag weniger überraschende Resultate. In Runde sieben bezwang
Wolfgang Ruppert (Elo 2209) vom SC Flörsheim den deutschen Großmeister
Lothar Vogt (Elo 2484), in Runde acht unterlag Wolfgang Uhlmann (Elo
2400) dem Delmenhorster David Höffer (Elo 2198) und in der Schlussrunde
zeigte Nikolas Nüsken (Elo 2271) von HSK Post Hannover, dass die Remis
gegen Lajos Portisch und Weltmeisterin Antoaneta Stefanova am Vortag
keine Eintagsfliegen waren, indem er Großmeister Florian Handke (ELO
2460) bezwang.
An der Spitze kam es bald zu den
vorentscheidenden Partien: In der ersten Runde des zweiten Tages trafen
die beiden verlustpunktfreien Super-Großmeister aufeinander, wobei
Sokolov gegen Shirov die Oberhand behielt. Eine Uhrenumdrehung später
war der Wahl-Niederländer seine Tabellenführung allerdings los, da
Aronian das direkte Duell für sich entschied. Damit waren die Weichen
gestellt, denn dem späteren Turniersieger stand auch das notwendige
Glück zur Seite in den Partien mit 20 Minuten Bedenkzeit plus fünf
Sekunden pro Zug: „Gegen Alexander Graf steckte ich in Schwierigkeiten,
aber dann wendete sich in komplexer Stellung das Blatt – vor allem als
er in Zeitnot kam. Gegen Shirov wogte die Partie ebenfalls hin und her,
und am Ende überschritt er in einem ausgeglichenen Turmendspiel die
Zeit, während mir noch elf Sekunden blieben“, bilanzierte der frühere
U-20-Jugendweltmeister. „Beim Chess960 ist es nicht so wichtig, gute
Züge zu finden, sondern gute Pläne“, gibt er als Erfolgsmaxime zu
Protokoll. Dabei kommt Aronian sein im klassischen Schach strategisch
ausgerichteter Spielstil sicher zugute.
Antoaneta Stefanova spielte auch
Chess960 weltmeisterlich.
Im Vorderfeld der Tabelle lagen hinter den
Treppchenplätzen die üblichen Verdächtigen.
Mit 8,5 Punkten trudelten
vor allem die in der elften Runde siegreichen Profis ein: Shirovs
voller Punkt war gegen Chess-Classic-Stammgast Bodgan Lalic aus England
eine Sekundenangelegenheit in einem Endspiel mit ungleichgewichtigen
Materialverhältnissen.
Etienne Bacrot, Lanka und Alexei Dreev
bilanzierten die gleiche Punktzahl. Letzterer war stets ein Kandidat für
kapriolenreiche Zeitnotschlachten. Als einziger Spieler neben Aronian musste er kein einziges Mal die Hand zur Aufgabe reichen.
Dabei hatte
ihn Weltmeisterin Antoaneta Stefanova in einer der letzten Partien im
Turnier am Rande einer Niederlage. Dicht umlagert setzte die Bulgarin -
mit einem zwischenzeitlichen Zeitpolster von sieben Minuten – dem
Moskauer zu, doch der Bonus von fünf Sekunden half, so dass die
Bedenkzeit Dreevs konstant bis zu 30 Sekunden Restzeit pendelte.
Obwohl zwischenzeitlich
eine dreimalige Zugwiederholung auf dem Brett war, ging das Einhacken
auf die Uhr weiter, wobei Stefanova nur unter positionellen
Zugeständnissen ihren seit Partiebeginn auf h8 eingeklemmten Läufer
befreien konnte. Am Ende gewann der Nervenstärkere.
Elisabeth Pähtz konnte nur
im Chess960 mitspielen und gefiel dabei mit sieben Zählern.
Dennoch platzierte sich Stefanova mit 7,5
Punkten als beste Dame im Feld auf Platz 18. „Mein Sieg gegen
Europameister Nisipeanu war meine beste Partie“, meinte die Bulgarin,
nachdem der erste Stress gewichen war.
Auf einen halben Punkt weniger
kamen Alexandra Kosteniuk und Elisabeth Pähtz, die anno 2002 in Mainz
das ereignisreiche „Duell der Grazien“ bestritten hatten.
Kosteniuk
hatte schon nach dem ersten Tag, an dem sie nur Spitzenreiter Sokolov
unglücklich unterlegen war, konstatiert: „Überall bekam ich mehr oder
weniger schachtypische Stellungen, nur der Niederländer spielte seltsam,
indem er alle Bauern aggressiv vorschob,“ meinte die aktuelle russische
Landesmeisterin und zeigte sich von Chess960 begeistert. 6,5 Punkte
erreichten bei den Frauen Grischuks Freundin Natalia Zhukova, Shirovs
Ehefrau Viktoria Cmilyte, Nino Khurtsidse und Ketino Kachiani-Gersinska
vom OSC Baden-Baden. Stefanova erwarb sich für 2006 das Recht auf das
erstmals angesetzte Chess960-WM-Match der Frauen. Die zweite Spielerin
ist noch offen.
Maja Tschiburdanidse erwies sich als äußerst fair.
Ex-Weltmeisterin Maja Tschiburdanize fiel nach
vier Punkten am ersten Tag ab, fiel aber durch Fairness auf:
Die
44-Jährige hatte in der dritten Runde gegen Europameister Nisipeanu
zunächst einen vollen Punkt in der Resultatliste stehen, doch dann
einigte sich die Georgierin mit dem Rumänen auf eine Punkteteilung,
nachdem festgestellt wurde, dass sie eine falsche Rochade ausgeführt
hatte (der Turm schlug bei diesem Manöver regelwidrig eine Figur!) und
einer der Schiedsrichter die Schachregel falsch ausgelegt hatte.
Auch bei den Senioren und zwei
Jugendalterklassen ist eine Weltmeisterschaft geplant. Bei den Senioren
setzten sich drei Deutsche durch: Vlastimil Hort (7,5 Punkte) vor Klaus
Klundt und Wolfgang Uhlmann (6,5). Der frühere ungarische WM-Kandidat
Lajos Portisch erreichte sechs Zähler. Klundt steckte damit seine
Niederlage in nur zwei Zügen (!!) gegen Großmeister Fabian Döttling sehr
gut weg.
Fabian Döttling bezwang Klaus
Klundt in nur zwei Zügen!
Der Baden-Badener hatte den Läufer auf a1 mit b3 sogleich ins
Spiel gebracht. Anstatt darauf Sg8-f6 folgen zu lassen, unterlief Klundt
ein Fingerfehler mit Sh8-g6, wonach 2.Lxg7 folgte und auf f8 war noch
eine Qualität weg! Der Zweite der Seniorenwertung gab sofort auf!
Viel
länger musste in der ersten Runde der Berliner Oberliga-Spieler Michael
Schulz kämpfen, der nach fünf Zügen einen Turm und zwei Figuren mehr
hatte! In der Stellung S_D_T_K_L_L_T_S
(von der a- zur h-Linie gesehen) blockierte der Schwarzspieler
unvorsichtigerweise nicht den Zutritt nach h7, indem er Bauer oder
Springer nach g6 stellte.Es folgte 1.c4 e5 2.Dh7 b5
3.Dg8 b4 4.Df8 Db6 5.Dh8 und Weiß heimste irgendwann den vollen Punkt
ein.
Arkadij Naiditsch gewann die U20-Wertung
In der U20 gewann Dortmund-Sieger Arkadij
Naiditsch mit 7,5 Punkten vor seinem indischen GM-Kollegen Pentela
Harikrishna, Nikolas Nüsken und Elisabeth Pähtz, die alle einen halben
Punkt dahinter rangierten.
Die U14 blieb in der Hand der Familie Jussupow.
Während CCM-Kommentator Artur Jussupow Wertungsbester der mit
acht Punkten Platzierten wurde, holte Tochter Ekaterina 4,5 und Sohn
Alexander 3,5 Punkte.
Die Chess Classic-Fans dürfen sich also auf 2006
freuen, wenn der Vater über die Züge der Tochter richten wird.
Da der
Vorstandsvorsitzende des Sponsors FiNet, Peter Kunath, bei der
Siegerehrung für die kommenden Jahre eine Fortsetzung des finanziellen
Engagements ankündigte, gibt es in Mainz gewiss weitere Sternstunden bei
dieser noch neuen, gleichwohl reizvollen Denkherausforderung.