Chess Classic Neuer alter Herausforderer gewinnt FiNet Chess960 Open Levon Aronjan holt sich mit einem Punkt Vorsprung überlegen das Recht um die Chess960 Weltmeisterschaft in 2006
13.08.2005 - Dass Levon Aronjan nach nur sieben Zügen seinem lettischen Großmeisterkollegen Zigurds Lanka ein Remis anbot, gefiel Organisator Hans-Walter Schmitt zunächst wenig. Doch letztlich konnte der Bad Sodener die rationalen Gründe des in Berlin lebenden Armeniers verstehen. Damit sicherte der Bundesligaspieler des SC Kreuzberg seinen Sieg beim FiNet Chess960 Open ab und erwarb sich zum zweiten Mal nach 2004 das Recht, den Weltmeister in dieser Form des kreativen Schachdenkens herauszufordern. Mit zehn Punkten stellte er dabei „en passant“ einen Rekord auf, denn noch nie hatte jemand mit einem derart guten Score den Alleinsieg geholt.
Ivan Sokolov (l.) gegen
Klaus Bischoff
In der Schlussrunde
hätte Ivan Sokolov,
der Co-Leader zur Halbzeit, durch einen Sieg zwar
aufschließen können, doch die
Feinwertung sprach ohnehin zu seinen Ungunsten. Allerdings unterlag der
gebürtige Bosnier, der am vergangenen Wochenende in
Göteborg mit den
Niederlanden Mannschaftseuropameister wurde, dem im Endspurt furios
aufspielenden Klaus Bischoff, wodurch der Deutsche auf die gleiche
Punktzahl
kam. Sokolov wies jedoch die bessere Feinwertung auf, da er
häufiger auf der
Bühne gegen die jeweilige Mitführenden
kämpfte. Der deutsche Spitzenspieler war
derweil bei seinem dritten Chess960-Turnier mit seinem Agieren im
Windschatten
und einem mächtigen Satz im Finish nicht unzufrieden:
„Mit den Siegen gegen
Weltklassespieler wie Sargissian, Morosewitsch und zum Schluss Sokolov
gelang
mir in den letzten drei Runden ein richtiger Lauf. Wenn es auf diesem
Spielniveau mehr Spielmöglichkeiten mit guten Preisgelder
geben würde, würde
ich mich öfter zu Chess960 ans Brett setzten“,
meinte der Tegernseer
Bundesligaspieler in seinem Resümee.
Blickt man auf die
Teilnehmerliste des
FiNet Chess960 Open 2005, so fällt auf, dass vor allem die
Profis und
ambitionierte Amateure die neue Spielart bevorzugen. 169 der 207
Teilnehmer
hatten eine Wertungszahl von über 2000, d.h. die Mehrheit
investiert ohnehin
überdurchschnittlich Zeit in ihr Schach – sei es als
Profi oder Amateur mit
viel Turnierpraxis. Fünf Weltklasse-Cracks kamen aus dem
exklusiven Club der
2700er, 16 Spieler gingen mit Wertungszahlen über 2600 ins
Rennen. Noch sind
also die von Schmitt als „Wenigzeitinhaber“
bezeichneten Kunden, die latent am
Schach interessiert sein mögen, nicht als aktive Gruppe
erreicht worden.
Dennoch müssten die Aussagen vieler Spieler auch gerade ihnen
Mut machen. Zwar
rangieren in der Endtabelle i.d.R. die Titelträger vorne, aber
die Argumente
für diese Spielart als Alternative oder Ergänzung zum
klassischen Schach sind
da. „Man muss vom ersten Zug an kreativ denken“,
führt Bergit Brendel als
wichtige Motivation an. Für die Spielerin von SC
Frankfurt-West war die Partie
gegen Top-Spieler Alexei Shirov der Höhepunkt des Turniers.
Überhaupt betonten
die Spieler ohne Würden des Weltschachverbands FIDE, dass
ihnen bei diesem
Turnier gefiel, häufiger gegen einen der guten Spieler
antreten zu können. Im
Gegensatz zum ersten Tag gab es jedoch am zweiten Turniertag weniger
Überraschungsergebnisse. In Runde sieben bezwang Wolfgang
Ruppert (Elo 2209)
vom SC Flörsheim den deutschen Großmeister Lothar
Vogt (Elo 2484), in Runde
acht unterlag GM Wolfgang Uhlmann (Elo 2400) dem Delmenhorster David
Höffer
(Elo 2198) und in der Schlussrunde zeigte Nikolas Nüsken (Elo
2271) von HSK
Post Hannover, dass die Remisen gegen Portisch und Stefanova am Vortag
keine
Eintagsfliegen waren, indem er GM Florian Handke (ELO 2460) bezwang. An der Spitze kam es bald
zu den
vorentscheidenden Partien: In der ersten Runde des zweiten Tages trafen
die
beiden verlustpunktfreien Super-Großmeister aufeinander,
wobei Sokolov gegen
Shirov die Oberhand behielt. Eine Uhrenumdrehung war er seine
Tabellenführung
allerdings los, da Aronian das direkte Duell für sich
entschied. Damit waren
die Weichen gestellt, denn dem späteren Turniersieger stand
auch das notwendige
Glück zur Seite: „Gegen Alexander Graf steckte ich
in Schwierigkeiten, aber
dann wendete sich in komplexer Stellung das Blatt – zumal als
er in Zeitnot
kam. Gegen Shirov wogte die Partie ebenfalls hin und her und am Ende
überschritt er in einem ausgeglichenen Turmendspiel die Zeit,
während mir noch
elf Sekunden blieben“, bilanziert der frühere
U-20-Jugendweltmeister. „Beim
Chess960 ist es nicht so wichtig, gute Züge zu finden, sondern
gute Pläne“,
gibt er als Erfolgsmaxime zu Protokoll. Dabei kommt ihm sein im
klassischen
Schach strategisch ausgerichteter Spielstil sicher zugute. Im
Vorderfeld der
Tabelle kamen nach den Treppchenplätzen die üblichen
Verdächtigen ein. Mit 8,5
Punkten trudelten vor allem die in der 11. Runde Siegreichen ein:
Shirovs
voller Punkt war gegen Chess Classic Stammgast Bodgan Lalic, den GM aus
England, eine Sekundenangelegenheit in einem Endspiel mit
ungleichgewichtigen
Materialverhältnissen. Etienne Bacrot, Lanka und Alexei Drejew
bilanzierten die
gleiche Punktzahl. Letzterer war stets ein Kandidat für
kapriolenreiche
Zeitnotschlachten. Als einziger Spieler neben Aronjan musste er kein
Mal die
Hand zur Aufgabe reichen. Dabei hatte ihn Weltmeisterin Antoaneta
Stefanova in
einer der letzten Partien im Turnier am Rande einer Niederlage. Dicht
umlagert
setzte die Bulgarin - mit einem zwischenzeitlichen Zeitpolster von
sieben
Minuten – dem Moskauer zu, doch der Bonus von zehn Sekunden
half, so dass die
Bedenkzeit Drejews konstant bis zu 30 Sekunden Restzeit pendelte.
Obwohl zwischenzeitlich
eine dreimalige Zugwiederholung auf dem Brett war, ging das Einhacken
auf die
Uhr weiter, wobei Stefanova nur unter positionellen
Zugeständnissen ihren seit
Partiebeginn auf h8 eingeklemmten Läufer befreien konnte. Am
Ende gewann der
Nervenstärkere.
Liviu-Dieter Nisipeanu gegen die beste Frau des Feldes Antoaneta
Stefanova
Dennoch platzierte sich
Stefanova mit
7,5 Punkten als beste Dame im Feld auf Platz 18. „Mein Sieg
gegen Europameister
Nisipeanu war meine beste Partie“, meinte sie nachdem der
erste Stress gewichen
war. Auf einen halben Punkt weniger kamen Alexandra Kosteniuk und
Elisabeth
Pähtz, die anno 2002 in Mainz das ereignisreiche
„Duell der Grazien“ bestritten
hatten. 6,5 Punkte erreichen bei den Frauen Grischuks Freundin Natalia
Zhukova,
Shirovs Ehefrau Viktoria Cmilyte, Nino Khurtsidze und Ketino
Kachiani-Gersinska.
Stefanova erwarb sich für 2006 das Recht auf ein Titelmatch in
dieser
Kategorie.
Bester Senior im Feld: Vlastimil Hort
Auch bei den Senioren und
zwei
Jugendalterklassen ist so etwas geplant. Bei den Senioren setzten sich
drei
Deutsche durch: Vlastimil Hort 7,5 Punkte vor Klaus Klundt und Wolfgang
Uhlmann
6,5 Punkte. Der frühere ungarischen WM-Kandidat Lajos Portisch
erreichte 6
Punkte.
Der U20 Gewinner von Mainz:
Arkadij Naiditsch
In der U20 gewann
Dortmund-Sieger Arkadij Naiditsch mit 7,5 Punkten vor
dem indischen GM-Kollegen Pentela Harikrishna, Nikolas Nüsken
und Elisabeth Pähtz,
die alle einen halben Punkt dahinter rangierten. Die U14 blieb in Hand
der
Familie Jussupow. Während CCM-Kommentator Artur Jussupow
Wertungsbester der mit
acht Punkten Platzierten wurde, holte Tochter Ekaterina 4,5 Punkte und
Sohn
Alexander 3,5 Punkte. Die Chess Classic Fans dürfen sich im
nächsten Jahr also
freuen, wenn der Vater über die Züge der Tochter
richten wird. Da Sponsor FiNet
bei der Siegerehrung für die kommenden Jahre eine Fortsetzung
seines
finanziellen Engagements ankündigte, gibt es in Mainz gewiss
weitere
Sternstunden bei dieser noch neuen, gleichwohl reizvollen
Denkherausforderung
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